Das Werk zeichnet nicht nur minutiös das Schlachtgetümmel zwischen den Armeen von Pompeius und Julius Cäsar nach samt detaillierter Berichte über das Sterben der Soldaten, sondern entwirft anhand des römischen Bürgerkriegs (49 bis 45 v. Chr.) ein erschütterndes Historienbild. Seine Verse sind eine universelle Anklage – gegen die Götter, das Schicksal, das Volk und gegen die Politik seiner Potentaten. Regisseur Achim Lenz setzt diese «Kosmologie des Grauens der Welt» ganz in antiker Theatertradition in Szene, indem er den Text chorisch sprechen lässt. Und es sind nicht Männer, die dem Geschehen ihre Stimmen leihen, sondern Frauen – jenes Geschlecht also, das zwar am Krieg nicht aktiv teilnahm, aber dennoch die grössten Verluste erlitt. Vehement beklagen sie den Tod ihrer Männer, Brüder und Söhne.
Aussprechen des Unaussprechlichen
Für Lenz ist – nachdem die Epen von Homer, Vergil und Ovid im Theater bis zur Gänze ausgeschlachtet worden sind – nun die Zeit für Lucan gekommen. Der römische Dichter habe seine Versdichtung «äusserst theatral» gestaltet. Die Anatomie der Gewalt, die Lucan in seinem Epos aufzeigt und der er selbst machtlos gegenübersteht, hat auch nach bald 2000 Jahren nichts von ihrer Aktualität verloren. Die
Mechanismen von Bürgerkriegen sind damals wie heute dieselben. In seiner Inszenierung will Regisseur Lenz aufzeigen, wie der einzelne Mensch nur Spielball einerPolitik der Grossen ist, die in Tat und Wahrheit gar nicht so gross sind. Ihn interessiert das kollektive Trauma, das sich nach Ende kriegerischer Ereignisse in den Nachfolgegenerationen fortpflanzt. Das Aussprechen des Unaussprechlichen ist daher die einzige Handhabe zur Aufarbeitung der Vergangenheit.
Theaterarbeit konsequent fortgesetzt
Achim Lenz, der 2008 seine Regieausbildung an der Folkwang Universität der Künste in Essen abschloss und heute dort als Dozent tätig ist, hat ein spezielles Verhältnis zum Altertum. Denn vor seiner Theaterarbeit studierte er Klassische Philologie und Alte Geschichte an der Uni Basel. Bereits seine Abschlussarbeit in Essen trug ihm Meriten ein. Für seine Umsetzung des Kriminalromans «Tannöd» wurde Lenz mit dem Max-Reinhard-Preis des österreichischen Bundesministeriums ausgezeichnet. Mit Lucans «Bürgerkrieg» setzt er seine bisherigen Theaterarbeiten konsequent fort. 2010 brachte er mit Max Frischs «Graf Öderland» im Theater Chur die dramatische Chronik einer zweifelhaften Rebellion auf die Bühne, 2012 sorgte er an gleicher Stelle mit «Die Wolfshaut» für Furore. In seiner Bühnenfassung des Romans von Hans Lebert liess Lenz die düstere Geschichte eines Dorfes durch dessen Bewohner
schildern – notabene über weite Passagen, die chorisch gesprochen wurden.
Kopfkino des Publikums
Die Form des Sprechchors, der sich Achim Lenz auch in Lucans «Bürgerkrieg» bedient, hat für den Regisseur einen besonderen Reiz: Zum einen wird die Handlung objektiviert, also vom Kollektiv erzählt, zum anderen setzt sie die Fantasie des Publikums in Gang, das die Geschehnisse wie ein Kopfkino an seinem geistigen Auge vorüberziehen lässt. Im Gegensatz zur «Wolfshaut» ist der Chor mit nur sechs Stimmen quasi auf ein Kammerspiel reduziert. Zum Ensemble gehören die Schauspielerinnen Newa Grawit, Charlotte Kath, Nina Mariel Kohler, Hanna Schwab, Sarah Speiser und Anna Staab. Die Ausstattung besorgt Silke Bauer, die mit dem BerlinerKollektiv copy&waste arbeitet, regelmässig an der Volksbühne Berlin Ausstattungen realisiert und Ensemblemitglied am Theaterdiscounter Berlin ist. Im Januar 2013 hat sie mit Regisseur Georg Scharegg die Verkaufsshow «Die Fremdenindustrie» für das
Theater Chur erarbeitet.
Das Werk und sein Dichter
«Selbst der Tod flieht oft vor einem Mann», heisst es im Vers-Epos Lucans. Dem Dichter selber war dieses Glück nicht beschieden. Aus der Gunst des Kaisers gefallen, legte Marcus Annaeus Lucanus im Alter von nur 26 Jahren Hand an sich an und tötete sich – auf Geheiss Neros. Die Aufführungen des Vers-Epos im Theater Chur werden durch einen Vortrag und ein Podiumsgespräch begleitet. Am Samstag, 11. Januar 2014 um 18 Uhr wird die Philologin Christine Walde das Werk des römischen
Dichters beleuchten – unter dem Titel «Lucans Epos vom Bürgerkrieg – Eine menschengemachte Katastrophe». Anschliessend findet ein Gespräch zwischen Walde und Regisseur Lenz statt.
«Der Bürgerkrieg»: Chortheater von Achim Lenz nach Marcus Annaeus Lucanus
Mit: Newa Grawit, Charlotte Kath, Nina Mariel Kohler, Hanna Schwab, Sarah Speiser, Anna Staab
Regie/Konzept/Fassung: Achim Lenz
Raum/Ausstattung: Silke Bauer
Licht: Roger Stieger
Maske: Annina Schmid
Dramaturgie: Matthias Frense, Prof. Hanns-Dietrich Schmidt
Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Christine Walde
Regieassistenz: Mona Brinkmann
Produktionsleitung: Anita Willi
Administration: Brigitte Balzer-Brunold
Produktion: Achim Lenz
Koproduktion: Theater Chur, Ringlokschuppen Mülheim a.d.R., Schlachthaus Theater Bern
Unterstützt von: swisslos/Kulturförderung Kanton Graubünden, Stadt Chur, Pro Helvetia/Schweizer Kulturstiftung, Ernst Göhner Stiftung, Kunststiftung NRW, Ars Rhenia Stiftung, Bürgergemeinde Chur, Beitragsfonds Graubündner Kantonalbank, Boner Stiftung für Kunst und Kultur, Stiftung Stavros S. Niarchos, Stiftung Dr. M.O. Winterhalter, ACT Theater-Videofonds
Einführungen: Mi 8. / Fr 10. / Sa 11. Jan. 2014 jeweils 19.30 Uhr im Seitenfoyer
Publikumsgespräch: So 12. Jan. 2014 im Anschluss an die Vorstellung
Churer Podium: Sa 11. Jan. 2014 um 18 Uhr in der Café-Bar (Eintritt frei)
Weitere Aufführungen Saison 2013/14
Ringlokschuppen Mülheim a.d.R. Fr 17. / Sa 18. Jan. 2014
Schlachthaus Theater Bern Mi 19. / Do 20. / Sa 22. März 2014
Online-Ticketing www.theaterchur.ch
Kasse Theater Chur Mo bis Fr 17 – 19 Uhr, T +41 (0)81 252 66 44
sowie bei Chur Tourismus im Bahnhof Chur, T +41 (0)81 252 18 18