Philipp trägt sich schon seit langem mit Selbstmordgedanken, hatte es aber nicht fertiggebracht, vor der Mutter zu sterben. Nun könnte er endlich, doch kann er sich nicht überwinden. Seine Schwester Agnes hat die Trauerfeier den Erwartungen gemäß ausgestattet und kommt nur schwer mit der Echtheit ihrer überwältigenden Trauer zurecht.
An Philipps Seite ist sein Freund, Trinkkumpan und Ex-Sozialarbeiter Heiner, mit dem er sich wodkaselig austauscht. Die Kulturjournalistin Johanna hat den Auftrag, über das Begräbnis zu berichten. Sie ist an Chorea Huntington erkrankt, ihr droht damit das geistige Verschwinden. Ihr Mann Reimo produziert Blockbusterdramen, das ganz reale Drama zuhause jedoch überfordert ihn. Und der Pfarrer, der den Trauergottesdienst für die Prominente hält, die zeit ihres Lebens gegen die Kirche wetterte, hat vor allem seine Karriere im Kopf.
Komplettiert wird dieser kleine Ausschnitt aus der Schar der Trauernden von der namenlosen „Grauhäutigen Theaterautorin“. Vor Jahrzehnten war sie mit der Verstorbenen befreundet, hatte ihre Karriere sogar zur gleichen Zeit begonnen und wurde schließlich ihre Konkurrentin. Mittlerweile ist sie voll und ganz aus dem Kulturbetrieb verschwunden, weil sie ein Stück ohne Probleme geschrieben hatte, ein Affront für die gesamte Theaterszene.
„Was bleibt? Was wird für immer verschwunden sein? Wie erinnern sich Erben?“ – zentrale Fragen in dem Auftragswerk, das Thomas Melle für das Landestheater Tübingen verfasst hat. Thomas Melle zeigt eine Trauergesellschaft, die zwischen grotesker Selbstbespiegelung und der Frage nach angemessener Trauer oszilliert. Denn die private Trauer und die der angereisten Kulturschickeria unterscheiden sich gewaltig.
Thomas Melle machte 2010 von sich reden, als sein erster Roman „Sickster“ in die Longlist des Deutschen Buchpreises aufgenommen wurde. Bis dahin war er vor allem als Übersetzer und Autor von Kurzprosa und Theaterstücken in Erscheinung getreten. Melle, der in Tübingen, Austin (Texas) und Berlin Komparatistik und Philosophie studierte, erhielt 2008 für „Raumforderung“ den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis sowie 2009 den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen. Eine Dramatisierung seines Romans „Sickster“ war in der Spielzeit 2012/2013 am Theater Bremen zu sehen. An den Wuppertaler Bühnen kam 2013 sein Stück „Aus euren Blicken bau ich mir ein Haus“ zur
Inszenierung: Maria Viktoria Linke /
Ausstattung: Julia Plickat /
Musik: Ulf Steinhauer /
Dramaturgie: Armin Breidenbach
Mit: Susanne Bredehöft / Christian Dräger / Jessica Higgins / Britta Hübel / Benjamin
Janssen / David Liske / Patrick Schnicke
Weitere Vorstellungen: 12.06. / 13.06. / 21.06. / 27.06. / 03.07. / 10.07. jeweils um
20 Uhr, letzte Vorstellung am 18.07. um 18 Uhr.