Wir haben keine Angst – vor Attentaten, vor fundamentalistischem Terror. Interessant ist, dass die meisten Bilder aus Ländern stammen, in denen gar keine Anschläge stattgefunden haben. Die Seite ist eine Galerie internationaler Solidarität, ein Psychogramm gemeinsam empfundener Bedrohung. Simon Stephens hat ein Stück über dieses Lebensgefühl geschrieben. »Pornographie « lautet der Titel, und es geht nicht um Sex oder Milieu, sondern um das, was man die Pornographie des Alltags nennen könnte. Es ist die Geschichte einer westlichen Metropole: eine Stadt, ein Tag, sieben Episoden. »Als Schriftsteller muss man die Fähigkeit haben, die Welt mit offenem Mund und kindlichem Staunen zu betrachten«, sagt Stephens. Die Stadt, über die er staunend schreibt, heißt London, und der Tag, den die Figuren erleben, ist der 7. Juli 2005, als vier Selbstmordattentäter die U-Bahn sprengten und 52 Menschen ihr Leben verloren. Doch der Terroranschlag spielt nur eine marginale Rolle, ist lediglich ein Blitzlicht am Rande des menschlichen Daseins. Denn die Bewohner Londons hatten in dieser Woche mehrere »Großereignisse« zu verkraften: Es wurde entschieden, dass die Olympischen Spiele 2012 in der Themsestadt ausgetragen werden und gleichzeitig fand »Live8« statt, das größte Benefiz-Rockkonzert der Welt. Der ganz normale Wahnsinn, der sich in jeder Metropole ereignen kann.
Stephens’ Talent, Realität zu beschreiben, verbindet sich mit einer atemberaubenden, ungewöhnlichen Erzähldramaturgie. Puzzleartige Textbausteine fügen sich zu einer Art Menschenmosaik zusammen. In loser Szenenfolge erzählt Stephens Alltagsetüden, berührende Momentaufnahmen aus dem Leben von Großstadtmenschen am Rande einer Katastrophe, deren Schilderung jedoch ausgespart bleibt. Es ist ein Stück über Menschen, die sich nicht brauchen, ein Stück über Menschen, die einfach nehmen, ohne zu fragen. »Images of hell. They are silent.«, heißt es immer wieder in »Pornographie «. »So wie die Pornographie sexueller als sexuell ist, weshalb sie gar kein Sexuelles mehr an sich hat«, schreibt Jean Baudrillard, sei es auch mit der »Hypergewalt« des modernen Terrorismus: eine sinnlose Gewalt ohne Geschichte und Perspektive, ohne Richtung auf ein konkretes Ziel oder gar eine Person. »Wir wissen nichts anzufangen mit dieser Gewalt. Sie verpufft.« Und so begleiten wir acht Menschen an diesem außergewöhnlichen Tag durch das Verkehrsnetz der Großstadt. Sie lieben, leben, arbeiten, essen und trinken fast so, als wäre die Welt noch in Ordnung. »Man kann ein Gedicht über einen Baum oder einen Song über einen See schreiben. Aber ein Stück muss von Menschen handeln«, sagt Simon Stephens.
Sebastian Nübling, geboren 1960, inszenierte u.a. am Jungen Theater Basel, am Theater Basel, am Staatstheater Stuttgart, an den Münchner Kammerspielen und am schauspielhannover. In den letzten Jahren war er regelmäßiger Gast beim Berliner Theatertreffen, u.a. mit den Uraufführungen von Händl Klaus »Wilde oder Der Mann mit den traurigen Augen« (2004) und »Dunkel lokkende Welt« (2006) sowie in diesem Jahr mit der Basler Inszenierung »Dido und Aeneas«. Am Schauspielhaus inszenierte er »Die Krönung Richards III.« von Hans Henny Jahnn.
Regie: Sebastian Nübling
Bühne: Muriel Gerstner
Co-Bühnenbild und Assistenz: Jean-Marc Desbonnets
Kostüme: Marion Münch
Musik: Lars Wittershagen
Licht: Roland Edrich
Dramaturgie: Nicola Bramkamp / Regina Guhl
Mit: Sonja Beißwenger*, Christoph Franken*, Peter Knaack*, Angela Müthel*, Jana Schulz, Monique Schwitter, Daniel Wahl, Samuel Weiss
Vorstellungen:
29.10.2007 20.00
05.11.2007 20.00
Ein Auftragswerk des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg.
Eine Koproduktion mit dem schauspielhannover und dem Festival Theaterformen