Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Uraufführung: »Pornographie« von Simon Stephens im Schauspielhaus HamburgUraufführung: »Pornographie« von Simon Stephens im Schauspielhaus HamburgUraufführung:...

Uraufführung: »Pornographie« von Simon Stephens im Schauspielhaus Hamburg

Premiere 05.10.2007 20.00 Uhr

Es gibt eine Homepage, auf der Menschen aus allen Regionen der Welt Fotos veröffentlichen, die eine kollektive Botschaft verkünden: »We are not afraid.«

Wir haben keine Angst – vor Attentaten, vor fundamentalistischem Terror. Interessant ist, dass die meisten Bilder aus Ländern stammen, in denen gar keine Anschläge stattgefunden haben. Die Seite ist eine Galerie internationaler Solidarität, ein Psychogramm gemeinsam empfundener Bedrohung. Simon Stephens hat ein Stück über dieses Lebensgefühl geschrieben. »Pornographie « lautet der Titel, und es geht nicht um Sex oder Milieu, sondern um das, was man die Pornographie des Alltags nennen könnte. Es ist die Geschichte einer westlichen Metropole: eine Stadt, ein Tag, sieben Episoden. »Als Schriftsteller muss man die Fähigkeit haben, die Welt mit offenem Mund und kindlichem Staunen zu betrachten«, sagt Stephens. Die Stadt, über die er staunend schreibt, heißt London, und der Tag, den die Figuren erleben, ist der 7. Juli 2005, als vier Selbstmordattentäter die U-Bahn sprengten und 52 Menschen ihr Leben verloren. Doch der Terroranschlag spielt nur eine marginale Rolle, ist lediglich ein Blitzlicht am Rande des menschlichen Daseins. Denn die Bewohner Londons hatten in dieser Woche mehrere »Großereignisse« zu verkraften: Es wurde entschieden, dass die Olympischen Spiele 2012 in der Themsestadt ausgetragen werden und gleichzeitig fand »Live8« statt, das größte Benefiz-Rockkonzert der Welt. Der ganz normale Wahnsinn, der sich in jeder Metropole ereignen kann.

Stephens’ Talent, Realität zu beschreiben, verbindet sich mit einer atemberaubenden, ungewöhnlichen Erzähldramaturgie. Puzzleartige Textbausteine fügen sich zu einer Art Menschenmosaik zusammen. In loser Szenenfolge erzählt Stephens Alltagsetüden, berührende Momentaufnahmen aus dem Leben von Großstadtmenschen am Rande einer Katastrophe, deren Schilderung jedoch ausgespart bleibt. Es ist ein Stück über Menschen, die sich nicht brauchen, ein Stück über Menschen, die einfach nehmen, ohne zu fragen. »Images of hell. They are silent.«, heißt es immer wieder in »Pornographie «. »So wie die Pornographie sexueller als sexuell ist, weshalb sie gar kein Sexuelles mehr an sich hat«, schreibt Jean Baudrillard, sei es auch mit der »Hypergewalt« des modernen Terrorismus: eine sinnlose Gewalt ohne Geschichte und Perspektive, ohne Richtung auf ein konkretes Ziel oder gar eine Person. »Wir wissen nichts anzufangen mit dieser Gewalt. Sie verpufft.« Und so begleiten wir acht Menschen an diesem außergewöhnlichen Tag durch das Verkehrsnetz der Großstadt. Sie lieben, leben, arbeiten, essen und trinken fast so, als wäre die Welt noch in Ordnung. »Man kann ein Gedicht über einen Baum oder einen Song über einen See schreiben. Aber ein Stück muss von Menschen handeln«, sagt Simon Stephens.

Sebastian Nübling, geboren 1960, inszenierte u.a. am Jungen Theater Basel, am Theater Basel, am Staatstheater Stuttgart, an den Münchner Kammerspielen und am schauspielhannover. In den letzten Jahren war er regelmäßiger Gast beim Berliner Theatertreffen, u.a. mit den Uraufführungen von Händl Klaus »Wilde oder Der Mann mit den traurigen Augen« (2004) und »Dunkel lokkende Welt« (2006) sowie in diesem Jahr mit der Basler Inszenierung »Dido und Aeneas«. Am Schauspielhaus inszenierte er »Die Krönung Richards III.« von Hans Henny Jahnn.

Regie: Sebastian Nübling

Bühne: Muriel Gerstner

Co-Bühnenbild und Assistenz: Jean-Marc Desbonnets

Kostüme: Marion Münch

Musik: Lars Wittershagen

Licht: Roland Edrich

Dramaturgie: Nicola Bramkamp / Regina Guhl

Mit: Sonja Beißwenger*, Christoph Franken*, Peter Knaack*, Angela Müthel*, Jana Schulz, Monique Schwitter, Daniel Wahl, Samuel Weiss

Vorstellungen:

29.10.2007 20.00

05.11.2007 20.00

Ein Auftragswerk des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg.

Eine Koproduktion mit dem schauspielhannover und dem Festival Theaterformen

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 18 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

Scheinheilig -- "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" von Bertold Brecht im Schauspielhaus Düsseldorf

Eine Maschine die alles vereint: Fleischwolf, Transportband, Verbrennungsofen, multifunktional, dominiert die Bühne im Düsseldorfer Schauspielhaus. Aus ihren zwei großen Röhren, quellen ganz langsam…

Von: Dagmar Kurtz

MELODISCHER ZAUBER -- Neue CD: "Segovia" - Carlotta Dalia spielt auf einer seltenen Hauser-Gitarre bei Berlin Classics

Die junge Gitarristin Carlotta Dalia aus Italien spielt hier auf einer historischen Gitarre, die vom deutschen Gitarrenbauer Hermann Hauser für den berühmten spanischen Gitarristen Andres Segovia…

Von: ALEXANDER WALTHER

SINGENDE MELODIE -- Neue CD: Ludwig van Beethoven - Klaviersonaten Edition 2 mit Moritz Winklemann bei Berlin Classics

Auch die neue CD mit dem Stuttgarter Pianisten Moritz Winkelmann überzeugt aufgrund einer klaren künstlerischen Aussage. Für Winkelmann ist das Allegro der Klaviersonate Nr. 9 in E-Dur op, 14/1…

Von: ALEXANDER WALTHER

VERANKERUNG IN RITUALEN -- "Muttertier" von Leo Lorena Wyss im Kammertheater STUTTGART

"Ich verstehe dich...Aber immer, wenn ich den Mund öffne, immer wenn ich etwas sagen will, dann ist da nur der Muttermund..." Drei Geschwister tollen, taumeln und tauchen im Becken eines Hallenbads.…

Von: ALEXANDER WALTHER

JUGENDLICHE SCHWUNGKRAFT -- 6. Staatsorchesterkonzert im Beethovensaal der Liederhalle STUTTGART

Sehr jugendlich wirkt Felix Mendelssohn Bartholdys Sinfonie Nr. 1 in c-Moll op. 11. Sie trägt noch die Handschrift der Streichersinfonien. Und stellenweise blitzt sogar der Einfluss der…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑