Ihre vorbei fliegenden Worte, oft nur Sprachfetzen, schlagen das jeweilige Thema an. Langsam richtet sich der Blick des Chronisten auf drei Einzelne – darunter den "Zwischenrufer“ – die unter den Vielen aus der Menge herausgehoben werden. Kleine Situationen entstehen ein Kreuz wird vorbei getragen, ein Mann wird wie zur Hinrichtung geführt und unter den Vorbeigehenden entsteht Panik. Langsam gerät der Chronist in einen Zwiespalt zwischen seiner Rolle als bloßer Beobachter oder auch Beteiligter und wird zum Mitspieler. Am Schluß steht eine Vision von Freiheit, eine Befreiung von Zwängen, die das Leben mit sich bringt. Bis das groß entworfene Panoramabild mit einem "Oh, Entschuldigung!“ verschwindet. Worte und Schritte verklingen.
Handke hat eine eigene, originelle Art von Welttheater geschrieben. Es basiert nicht auf Mythen oder Allegorien, es ist kein Heldenepos, Bildungsroman, Gottsucherstück, auch keine Parabel oder was es sonst noch für Modelle gibt, um die Welt zu erzählen. Es ist vielmehr ein einfaches Stationendrama. Es sind wie auf einer Kette aneinander gereihte Episoden und Fragmente, aus denen der Momente- und Gegenwartssammler Handke ein Ganzes formt. So ergibt sich eine Art Pilgerweg, der von Kreuz zu Kreuz den gesamten Lebenskreis ausschreitet und durch die ganze Welt führt. Jede Station hat ihren eigenen Charakter, ihre eigene Besonderheit, ihr eigenes angedeutetes Drama. Handke hat sozusagen einen "Jedermann“ geschrieben, der aus vielen "Jedermännern“ besteht. Einen Schlüssel zum Verstehen des Stückes und der Haltung Handkes liefert die Geschichte vom verirrten Vogel im verlassenen Haus: Seine hinterlassenen Spuren sind größer und gewaltiger als der kleine Vogel je war. Diese Spuren überliefert das Stück. Es sind dies Spuren, die der Mensch auf seinem Weg durchs Leben hinterläßt, ein Leben, dessen Drama darin besteht, ein Gefängnis zu sein, aus dem es kein Entkommen gibt.
Regie: Claus Peymann
Voraufführungen: 10., 11., 12. und 16. Februar (Sonderpreise für die Voraufführungen: Kartenkategorie A und B 15,- € (erm. 7,- €), Kategorie C und D 5,- €)
Weitere Vorstellungen: 18., 21. und 22. Februar
Premiere auf der Probebühne
SELBSTBEZICHTIGUNG & HILFERUFE zwei frühe Stücke von Peter Handke
Tanja Weidner, die als erste Regiearbeit im BE Anne Franks TAGEBUCH zeigte, inszeniert zur Uraufführung SPUREN DER VERIRRTEN zwei frühe Sprechstücke von Peter Handke: SELBSTBEZICHTIGUNG & HILFERUFE. Beide Stücke sind interessante Exkursionen in hochmusikalisch, mit der Sprache und dem Sprechen jonglierendes „Terrain“: scheinbar ohne Handlung, nach Klangelementen der Beatmusik gebaut, machen sie die Sprache selbst zum Thema. Der junge Peter Handke unternahm mit diesen Stücken den Versuch, auf dem Theater unsere verschleierte Wirklichkeit durch Sprache zurückzugewinnen. Witzig, intelligent und spannend!
Premiere: Donnerstag, 15. Februar, 19.30 Uhr, weitere Vorstellungen 22. und 26. Februar