Aber ähnlich wie die Shakespeare’schen Dramen halten die Wagner’schen viel aus, ohne dass die Substanz sich verflüchtigt. Der Holländer hat eine Aufführungstradition in der jüngeren Vergangenheit hinter sich, die sich subsumieren lässt unter dem Motto „Sentas Traum“. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass der Druck auf die Regie, die Geschehnisse um die sehnsuchtsvoll auf ihren Erlöser wartende Senta und den Holländer, für den sie wiederum als Erlöserin zum Tode fungiert, in irgendeiner plausibel-realistischen Interpretation dieser Verstiegenheiten darstellen zu müssen. Aber schon Brecht hat gesagt, dass Realismus die Darstellung von Wahrscheinlichkeiten sei – also sprach Sentas Traum immer nur davon, wie es sein könnte. Prekärer wird es, die Geschichte als reale zu behaupten. Und da werden die Kanten schärfer in der erzählerischen Konzentration auf zwei Menschen, die in einer gleichermaßen mythischen wie psychologischen Verstrickung agieren. Den Traum bevölkern Personen, die der Autor (der Träumer) inszeniert, hier haben wir es zu tun mit zwei Menschen, von denen der eine – der Holländer - ein externes Leben führt (symbolisiert in der Oper durch die Selbstverfluchung eines Menschen, der gegen Gott und Natur sich versteigt), der andere – Senta - auf dem besten Weg ist, sich in einen geistigen Raum zu flüchten, den sie ihren Leuten nicht mehr vermitteln kann und will. Beglaubigt wird diese Sicht im Werk, wenn Erik Senta seinen visionären Alptraum erzählt, der die Vereinigung von Senta und Holländer sieht. Am Ende muss Erik erkennen: „Der Traum ist wahr“.
Wenn die Geschichte so gesehen wird, fallen dem aufmerksamen Beobachter durchaus Menschen (Paare) ein, die eine ähnlich „exaltierte“ Wahl füreinander getroffen haben. Heinrich von Kleist und seine Freundin Henriette Vogel waren zwei Menschen, die in denkbar heiterster Entspanntheit den Tod als Erlösung vom Leben begriffen - Kleist war „auf Erden nicht zu helfen“, Henriette Vogel war unheilbar krebskrank. Das bei Wagner doch ein wenig ausgedachte und zurechtgezimmerte Mythische (das bei Heine noch so herrlich romantischironisch daherkam) lässt sich durchsichtig machen und öffnet den Blick auf zwei Menschen, die eine Grenze überschritten haben. Eine ähnliche Funktion wie der Holländermythos hat die mittelalterlich-mythische Maskerade in Kleists Stück Käthchen von Heilbronn, das sich als Parallelstück auch deshalb anbietet, weil da zwei Menschen sich in einer Sphäre treffen, die nicht Teil dieser Welt, aber auch explizit kein Traum ist.
Musikalische Leitung: Hilary Griffiths
Inszenierung: Jakob Peters-Messer
Bühne und Lichtdesign: Guido Petzold
Kostüme: Sven Bindseil
Choreinstudierung: Jens Bingert
Dramaturgie: Johannes Blum
Mit: Kay Stiefermann (Der Holländer), Michael Tews (Daland), Alison Oakes (Senta), Johan Weigel (Erik), Joslyn Rechter / Miriam Ritter (Mary), Boris Leisenheimer/Christian Sturm (Der Steuermann)
Statisterie der Wuppertaler Bühnen
Chor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen
Sinfonieorchester Wuppertal
Die nächsten Vorstellungen sind am 22. und 25. September sowie am 02. / 19. / 22. und 28. Oktober 2011 im Opernhaus.