Die Aufklärung diente in ihrer historischen Entstehung der Befreiung. Durch Rationalisierung von Gefühlen, Emotionen, Erinnerung und Fantasie wurde Selbstkritik möglich. Und Kunst und Wissenschaft verhalfen, die Menschen aus ihrer »selbst verschuldeten Unmündigkeit« zu entlassen. Die sichtbarste Folge davon war die Säkularisierung der Gesellschaft im europäischen Raum mit genau definierten Wertmaßstäben für die bürgerliche Gemeinschaft. Was bleibt nun nach diesen so wichtigen Schritten übrig? Max Frisch sprach schon vor einigen Jahrzehnten vom Ende der Aufklärung, an deren Stelle das goldene Kalb getreten sei. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob der Motor des globalen Turbokapitalismus nicht schon längst zu stottern begonnen
hat und keine Garantie mehr für eine freiheitlich demokratische Grundordnung darstellt.
Zieht man also Bilanz, so ist das Ergebnis des aufgeklärten Geistes ernüchternd: Übertriebener Rationalismus, totale Abstraktion von Gefühl und Emotion, die mit nur rechnendem Verstand als störend abgewertet werden, Bilderfluten, die nur noch Simulacren bilden, führen unsere Gesellschaft in kühlen Ökonomismus, in die Aufblähung des letztlich einsamen Ichs und den Zerfall sozialer Verbände. Ein Ich, das sich selbst nur noch zum Inhalt nimmt, erklärt sich auch als einzigen Maßstab und vergißt darüber den anderen und muß schlußendlich verlieren.
Bereits Adorno diagnostizierte, daß die »vollends aufgeklärte Erde im Zeichen triumphalen Unheils strahlt«, denn die Aufklärung führte einerseits zur Überbelichtung der Realität, in der diese konturlos verschwindet, andererseits zu einer Verklärung des Menschen, dem zugetraut, aber auch zugemutet wird, Realität nur noch für sich selbst zu konstruieren. Die Balance zwischen Verstand und Gefühl, zwischen lebendigem kulturellem Gedächtnis und nüchternem Datenvermerk in elektronischen Medien ist aus dem Lot. Keineswegs jedoch wäre eine Umkehr in das Gefühlige, Kultische oder in die ausschließlich tröstliche Erbauung ein Ausweg. Theater verhält sich hierzu antipodisch, als lebendiges und auf Zusammenkunft setzendes Medium. Es arbeitet der irrigen Annahme entgegen, Erinnerung wäre ein zu musealisierender Gegenstand, arbeitet mit Emotionen und Grenzüberschreitungen, versetzt Verstand und Gefühl in ein zu diskutierendes Verhältnis, manchmal verstörend, manchmal erbauend. Auf jeden Fall
versucht es, der kulturellen Amnesie, der fortschreitenden geistigen Verarmung, die soziale Kompetenz und Verantwortung ausblendet, entgegenzuwirken. Rund um diesen Verlust an kulturellen Werten kreist unsere Spielzeit und hinterfragt auch die Hintergründe und wie es dazu kommen konnte. Die einstige Glücksverheißung »Selig sind die Armen im Geiste« erscheint heute pervertiert und verweist auf eine gesellschaftliche Unruhe und einen sich andeutenden Zerfall sämtlicher Kulturen, der sich nicht nur auf das ökonomische Elend, das jeden von uns treffen kann, bezieht, sondern auch auf den drohenden Verlust von kulturellem Gedächtnis, Verlust von sozialen Beziehungen, Verlust der Kultivierung unserer Gefühle, unserer Emotionen, unserer Sinne und unserer Wahrnehmung. Wenn die einseitige Aufklärung uns die Leere, die Inhaltslosigkeit beschert hat und wir bereits von einer Oberflächentextgesellschaft sprechen können, so bietet das Theater, gegen die strahlenden zweidimensionalen Pixelflächen des Computerbildschirmes, Begegnung, Berührung, persönliche Kommunikation und emotionale Auseinandersetzung. Und vielleicht auch den Mut, gemeinsame Utopien zu ersinnen und die soziale Phantasie der Zuschauer anzuregen und zu bereichern.
/ Produktionen Spielzeit 06/07
DIE JUNGFRAU VON ORLEANS
/ Eine romantische Tragödie von Friedrich Schiller
/ Regie: Simone Blattner
/ ab 15. September 2006 / Großes Haus
HÖRST DU MEIN HEIMLICHES RUFEN
/ von Thomas Jonigk / Uraufführung
/ Regie: Tina Lanik
/ ab 16. September 2006 / Kleines Haus
..WENN ICH MICH UMDREHE … (ARBEITSTITEL)
/ Ein Projekt in 12 Etappen
/ Konzept und Regie: Wanda Golonka
/ ab 17. September 2006 / Verschiedene Spielorte
FAHRENHEIT 451
/ nach dem Roman von Ray Bradbury
/ Regie: Florian Fiedler
/ ab 30. September 2006 / schmidtstrasse12
KLEINER MANN, WAS NUN?
/ nach dem Roman von Hans Fallada
/ laiensclub / Textfassung und Regie: Alexander Brill
/ ab 7. Oktober 2006 / Kleines Haus
DIE ORESTIE
/ von Aischylos
/ Regie: Karin Neuhäuser
/ ab 14. Oktober 2006 / Großes Haus
KÖNIG ARTHUR
/ für Kinder und Jugendliche ab 8 Jahren
/ von Wolfgang Deichsel nach dem Original von John Dryden
mit Musik von Henry Purcell
/ Regie: Corinna von Rad
/ ab 4. November 2006 / Großes Haus
HEXENJAGD
/ von Arthur Miller / Regie: Martin Nimz
/ ab 24. November 2006 / Großes Haus
LIEBESRUH
/ von Jan Neumann / Regie: Jan Neumann
/ ab 25. November 2006 / Kleines Haus
PERDITA DURANGO
/ nach dem Roman von Barry Gifford / Uraufführung
/ Regie: Sebastian Baumgarten
/ ab 30. November 2006 / schmidtstrasse12
PRINZ FRIEDRICH VON HOMBURG
/ von Heinrich von Kleist / Regie: Armin Petras
/ ab 21. Dezember 2006 / Großes Haus
/ schauspielfrankfurt in Koproduktion mit dem
Maxim Gorki Theater Berlin
TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN
/ Stück in zwei Akten und einem Requiem von Arthur Miller
/ Regie: Florian Fiedler
/ ab 22. Dezember 2006 / Kleines Haus
MAX BLACK
/ Musiktheater von Heiner Goebbels
nach Texten von Paul Valéry, Georg Christoph Lichtenberg,
Ludwig Wittgenstein und Max Black
/ 29. – 31. Dezember 2006 / Großes Haus
/ Gastspiel des Théâtre de Vidy-Lausanne E.T.E.
DIE DREIGROSCHENOPER
/ Ein Stück mit Musik
von Bertolt Brecht und Kurt Weill / Regie: André Wilms
/ ab 17. Januar 2007 / Großes Haus
// GOTTHELM ODER MYTHOS CLAUS
/ Eine Trophobie von Michael Lentz / Uraufführung
/ Regie: Christiane J. Schneider
/ ab Januar 2007 / Kleines Haus
KÖNIG HEINRICH IV.
/ Ein Fallstaff-Projekt nach William Shakespeare
/ Regie: Peter Kastenmüller
/ ab Februar 2007 / Großes Haus
ZAUBERBERG. POSITIONEN AM ABGRUND
/ von Friederike Heller und Marcel Luxinger
nach dem Roman von Thomas Mann / Uraufführung
/ Regie: Friederike Heller
/ ab Februar 2007 / Kleines Haus
DER AUFTRAG
/ von Heiner Müller
/ Regie: Martin Nimz
/ ab Februar 2007 / schmidtstrasse12
// KASIMIR UND KAROLINE
/ Volksstück von Ödön von Horváth
/ Regie: Christof Nel
/ ab März 2007 / Großes Haus
ROBERTO ZUCCO
/ von Bernard-Marie Koltès / Regie: Corinna von Rad
/ ab März 2007 / Kleines Haus
// DIE FAMILIE SCHROFFENSTEIN
/ Projekt nach Heinrich von Kleist / Regie: Simon Solberg
/ ab März 2007 / schmidtstrasse12
DIE QUELLE
/ von Marcel Luxinger / Uraufführung
/ Regie: Marcel Luxinger
/ ab März 2007 / Glas Haus
/ schauspielfrankfurt in Koproduktion mit dem
Hebbel-am-Ufer (HAU) Berlin u.a.
TARTUFFE
/ Komödie von Jean-Baptiste Molière / Regie: Simone Blattner
/ ab April 2007 / Großes Haus
// ROBINSON CRUSOE
ODER WIE GEHT FREIZEIT?
/ Ein Projekt von Robert Lehniger
/ ab April 2007 / schmidtstrasse12
// DAS TRUNKENE SCHIFF
/ von Paul Zech / Regie: Florian von Hoermann
/ ab Mai 2007 / Kleines Haus
NACH D – ERLEBNIS RELIGION
/ von Anja Gronau und Marcel Luxinger
nach August Strindberg / Uraufführung
/ Regie: Anja Gronau
BETWEEN WORK AND PARADISE
/ Alexander Paul Englert / Fotoprojekt
/ Kuratorin: Leonore Leonardy
/ September 2006 – Juni 2007
/ schauspielfrankfurt und Außenraum
// FRANKFURTER DIALOGE:
GEISTIGE ARMUT – KULTURELLE AMNESIE
/ Philosophische Salons von und mit Wolfgang Engler
/ Glas Haus
FEEL@HOME – DER KONGRESS
/ Kunst und Theorie zu Heimat heute
/ Kurator: Matthias von Hartz
/ Frühsommer / Foyers Großes Haus
/
NACHTSCHWÄRMER
/ HART AM RAND DER HIRNRINDE
/ Stücke und Projekte über den freien Willen, inszeniert von
Assistenten und Ensemblemitgliedern des schauspielfrankfurt
/ Zwischendeck
BUCOVINA CLUB
/ präsentiert von Shantel und schauspielfrankfurt
/ Foyers Großes Haus
/ Änderungen vorbehalten