Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
CARMEN von Georges Bizet im Theater MünsterCARMEN von Georges Bizet im Theater MünsterCARMEN von Georges Bizet...

CARMEN von Georges Bizet im Theater Münster

Premiere: Samstag, 6. September 2014, 19.30 Uhr, Großes Haus. -----

Bizets am 3. März 1875 in der Pariser Opéra-Comique uraufgeführte CARMEN hat den ungeteilten Beifall aller Seiten und gehört mittlerweile zum Inventar der abendländischen Musik. Nach wie vor zeitlos aktuell, besticht ihre Musik durch sinnlichen Reiz sowie rea-listische Kontur und Schärfe.

 

Die andalusische, in einer Zigarrenfabrik arbeitende Zigeunerin Carmen, die zornig den Flamenco-Rhythmus in den Boden stampft und die Seguidilla tanzt, verkörpert eine vor-rationale, magische Erotik. Als schöne Zigeunerin ist sie prädestiniert, für jemanden ge-halten zu werden, der über besondere Kräfte verfügt, mehr als andere von der Liebe ver-steht und in der Leidenschaft zügellos ist. So sieht es zumindest die Gesellschaft, in der Carmen lebt. Und Carmen spielt diese Rolle, die ihr die Gesellschaft zugewiesen hat, besser: in die sie gezwungen wurde auf Grund ihrer Herkunft und ihres Milieus, in dem sie sich bewegen muss. Wie es scheint, gehorcht Carmen ihrer Rolle: sie präsentiert sich als das Lustobjekt, das die Männer in ihr zu sehen wünschen, singt und tanzt, um die Män-nerwelt zu unterhalten, dient Lillas Pastia, dem Kneipenwirt, als Lockvogel und Animier-dame und setzt für die Schmuggler ihre Reize bei Zöllnern und Wachen ein. Es gibt jedoch auch Anzeichen dafür, dass sie sich gegen ihre Rolle wehrt. Sie versucht, aus dem Käfig, in den die Rolle sie einsperrt, auszubrechen. (Egon Voss)

 

Die tödlich ausgehende Liebesgeschichte zwischen der treulosen Carmen und dem bra-ven, naiven, jedoch jähzornigen, ihren Reizen verfallenen Soldaten Don José, der um ihretwillen seine bürgerliche Karriere und ein beschauliches Glück mit seiner Heimat-freundin Micaëla aufgibt, ist eine Geschichte von Wegen, Umwegen und Irrwegen, die unausweichlich ins Dunkle führen. Der Kern der Tragödie ist, dass Carmen sich in José massiv getäuscht hat. Auch er ist nicht der Mann, der sie wahrhaft als Subjekt akzeptiert, als lebendiges Gegenüber mit eigenen Vorstellungen vom Leben. Carmen ist für ihn ge-wiss nicht das Lustobjekt, das sie für die anderen ist, aber dafür stellt er einen totalen und rigorosen Besitzanspruch an sie: Wiederkehr des allgemeinen Herrschaftsanspruchs der Männer in der Männergesellschaft. (Egon Voss)

 

José möchte Carmen genauso besitzen, wie die Blume, die sie ihm zuwarf. Carmen wendet sich von ihm ab und Escamillo zu. Doch ihr Zusammensein mit dem virilen, ei-gentlich nur in sich selbst verliebten, gefeierten Stierkämpfer lässt in Carmen schluss-endlich die Gewissheit reifen, dass ihre Vorstellung einer freien, selbstbestimmten Le-bens- und Liebesweise in dem sie umgebenden Gesellschaftskäfig nicht möglich ist. Der Stierkampf, eine raffinierte Verbindung von Archaik mit moderner Zivilisation, ist das An-schauungsmodell einer Männergesellschaft, in der nur Furchtlosigkeit, Stärke, Disziplin und vor allem die Kraft zum Töten als Tugenden gelten, Männlichkeit allemal dadurch de-finiert ist, dass sie keine Schwäche kennt. (Egon Voss)

 

Carmen sieht für sich und ihr Leben keinen wirklichen Ausweg aus dieser Männerge-sellschaft. Die notwendige Alternative, die von ihr so sehnlichst gewünschte Freiheit, ist nur mehr noch im Tod zu finden: Carmen gerät weder zufällig noch gegen ihren Willen in die anscheinend ausweglose Lage, in der nur der eigene Tod oder der Verrat am eigenen Selbst als Alternativen übrigbleiben. Vielmehr ist sie es selbst, die die Begegnung mit Jo-sé im vierten Akt sucht. Sie ist es, die – als sei sie von einer fixen Idee ergriffen – in der Schlussszene immer aufs Neue vom Tod spricht. Sie ist es, die José auffordert, sie zu tö-ten, die ihn geradezu in die Enge treibt, so dass ihm gar nichts anderes übrig bleibt, als sie zu töten. Sie provoziert ihren Tod … (Egon Voss)

 

Die Vergeblichkeit der jeweils investierten Gefühle macht das tragische Grundmuster der Geschichte aus: Micaëla bleibt als jungfräuliche Witwe zurück, Escamillo berauscht sich an neuen Leidenschaften, und José tötet Carmen aus seiner prinzipiellen Unfähigkeit heraus, mit ihrer Lebens- und Liebesansicht zurechtzukommen. Umgeben, nahezu stän-dig belauert, sind die Protagonisten von einer Ansammlung aufrechter Bürger/Innen, die jede Abweichung von der Norm als störend empfinden. Und Carmen war störend.

 

Regisseur Georg Köhl erregte mit Interpretationen von Stoffen wie z. B. DON GIOVANNI, DER ROSENKAVALIER, TOD IN VENEDIG, ARABELLA, KATJA KABANOWA oder LOHENGRIN bei Publikum und Presse eine nachhaltige Aufmerksamkeit. In über 50 In-szenierungen belegte er seine Vielseitigkeit. Stationen seines Wirkens sind Münster, Wiesbaden, München, Köln, Kiel, Maastricht, Amsterdam, London, Krefeld und Wupper-tal. Seine 2013 am Theater Münster gezeigte Inszenierung der SALOME wurde von der DEUTSCHEN BÜHNE in der Kategorie Beste Regie nominiert.

 

Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy, nach der Novel-le von Prosper Mérimée

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

 

Musikalische Leitung: Fabrizio Ventura

Inszenierung: Georg Köhl

Bühne: Martin Warth

Kostüme: Ursina Zürcher

Chor: Inna Batyuk

Dramaturgie: Margrit Poremba

 

Mitwirkende:

Adrian Xhema (Don José, Sergeant), Gregor Dalal (Escamillo, Stierkämpfer), Youn-Seong Shim (Dancaïro, Schmuggler), Philippe Clark Hall (Remendado, Schmuggler), Juan Fernando Gutiérrez (Moralès, Sergeant), Plamen Hidjov (Zuniga, Leutnant), Tara Venditti (Carmen, Zigeunerin), Sara Daldoss Rossi/ Henrike Jacob (Micaëla, Bauernmäd-chen), Eva Bauchmüller (Frasquita, Zigeunerin), Lisa Wedekind (Mercédès, Zigeunerin)

 

Opernchor und Extrachor des Theaters Münster

Sinfonieorchester Münster

Theaterkinderchor Gymnasium Paulinum

(Leitung: Margarete Sandhäger, Jörg von Wensierski)

Statisterie

 

Weitere Vorstellungen im September:

Freitag, 12. September, 19.30 Uhr, Großes Haus

Mittwoch, 17. September, 19.30 Uhr, Großes Haus

Sonntag, 21. September, 19.00 Uhr, Großes Haus

Donnerstag, 25. September, 19.30 Uhr, Großes Haus

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 28 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

EXPLOSIVE KLANGMISCHUNG -- "Eine florentinische Tragödie" von Alexander Zemlinsky bei NAXOS (BR KLassik)

Nicht sonderlich erfolgreich geriet die Stuttgarter Uraufführung der einaktigen Oper "Eine florentinische Tragödie" von Alexander Zemlinsky im Jahre 1917 unter der Leitung von Max von Schillings. In…

Von: ALEXANDER WALTHER

Die ganze Wahrheit? -- „True Crime“ - Andrey Kaydanovskiy | Hege Haagenrud | Demis Volpi in der Deutschen Oper am Rhein

Drei tänzerische Perspektiven zu Wahrheit und Fiktion: Andrey Kaydanovskiy „Chalk“, Hege Haagenrud „The Bystanders“, Demis Volpi „Non-Fiction Études“  

Von: Dagmar Kurtz

SZENEN OHNE ILLUSIONEN -- "Tosca" von Giacomo Puccini in der Staatsoper Stuttgart

Kann Kunst unsere Wirklichkeit beeinflussen? Diese Frage steht als zentrales Thema im Zentrum der Inszenierung von Willy Decker, dessen Figuren sich in Puccinis "Tosca" in einem schwarzen Kasten…

Von: ALEXANDER WALTHER

RETTET DIE FRAUEN! -- Premiere "Zertretung" von Lydia Haider im Schauspiel Nord STUTTGART

Die 1985 in Oberösterreich geborene Lydia Haider hat hier einen radikalen Text vorgelegt, der zuweilen an Rainald Goetz erinnert. Die zentrale Frage lautet: Wie geht man mit einem System um, das…

Von: ALEXANDER WALTHER

ATEMLOSE HÖHENFLÜGE -- SWR Symphonieorchester mit Busoni und Sibelius im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Zwei unterschiedliche Zeitgenossen standen diesmal im Zentrum: Jean Sibelius und Ferrucio Busoni. Immerhin weiß man, dass beide in Helsinki Schumanns Klavierquintett in Es-Dur gemeinsam musizierten.…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑