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Das Künstlerkollektiv GOB SQUAD: Performer des wirklichen Lebens – von Mirjam WiesemannDas Künstlerkollektiv GOB SQUAD: Performer des wirklichen Lebens – von Mirjam...Das Künstlerkollektiv...

Das Künstlerkollektiv GOB SQUAD: Performer des wirklichen Lebens – von Mirjam Wiesemann

GOB SQUAD ist das geistige Kind englischer Studenten, wurde in Nottingham ins Leben gerufen, agiert inzwischen zweisprachig, englisch und deutsch, ist jetzt vierzehn Jahre alt und immer auf der Suche nach „Schönheit, Bedeutung und Menschlichkeit zwischen den glitzernden Fassaden und dunklen Ecken der zeitgenössischen Kultur“. Eine herumliegende Kassette mit der Aufschrift „Gob“, was soviel wie Mund oder Maul heißt, inspirierte besagte Studenten zur Namensgebung. „Squad“ bedeutet Mannschaft und lässt erahnen, dass dieses geistige Kind gleich über mehrere „Teilpersönlichkeiten“ verfügt.

 

Die „Maulmannschaft“ GOB SQUAD besteht aus den sechs ständigen Mitgliedern Johanna Freiburg, Sean Patten, Berit Stumpf, Sarah Thom, Bastian Trost und Simon Will. Sie entwickeln Gesamtkunstwerke ohne Regisseur und festes Script, teilweise streng choreografiert, teilweise improvisiert, immer mit dem Anliegen, „die Komplexität und Absurdität des heutigen Lebens zu erkunden.

 

Diese „furchtlosen Performer des wirklichen Lebens“ erschaffen im kollektiven Prozess ihre mulitmedialen Projekte mit Elementen von Performance, Theater, Installation, Musik und Videokunst, die an urbanen Schauplätzen wie Hotelzimmern, U-Bahnen, Büroräumen, Museen, Parkplätzen, auf der Straße, aber auch in Theatern und Galerien, inszeniert werden.

Mitspieler sind neben den Performern auch Privatpersonen, die zum Mitmachen eingeladen werden. Der Ablauf der jeweiligen Performance ist in wesentlichen Bestandteilen ebenso unberechenbar und einmalig wie das Dasein selbst.

 

Auf der Bühne des Lebens stehen die Darsteller jedes Mal mit einer bestimmten Mission, die es zu erfüllen gilt. Sie sprechen beispielsweise Passanten auf der Straße an, um sie für Rollen in einer fiktiven banalen Serie zu gewinnen, die in einem Raum innerhalb des Theaterraums live gespielt und auf Leinwand übertragen wird. Im Stück „Room Service-help me make it through the Night“ sitzen die Performer allein in ihren Hotelzimmern, lediglich über Telefone und Kameras mit der Außenwelt verbunden. Die Kameras übertragen die anrührenden, kindischen, einsamen, peinlichen, kreativen und manchmal auch gewagten Vorgänge in den Hotelzimmern live über vier nebeneinander angebrachte Bildschirme in einen großen Zuschauerraum im selben Hotel. Unterschiedliche Wirklichkeitsebenen treffen auf diese Weise zusammen und führen zu absurden Situationen und sich befruchtenden Widersprüchen, stark mitgeprägt durch die räumlichen Gegebenheiten, die Ausgangspunkt der sich entwickelnden Szenen und Inhalte sind: Es geht um Einsamkeit, Langeweile, Sehnsucht nach Gesellschaft, imaginäre Freunde, die Lust an Verwandlung, Veränderung, Bewegung, und sei es nur durch eine seltsame Perücke, ein abstruses Tennismatch mit sich selbst oder das Anprobieren unzähliger Kleider. Künstlerische Form und zufällige Alltäglichkeit, Banalität und Komplexität, Abgründigkeit und Albernheit, Spaß und Schmerz, Verbundenheit und Getrenntsein, Intimität und Außenschau befinden sich in ständiger Wechselwirkung.

 

„Unglaublich cool und berührend normal“, erlebte das inzwischen feste Mitglied Bastian Trost die Beteiligten bei seiner ersten Begegnung mit Gob Squad. Und vor allem: ganz anders als das „normale“ Theater. „Auf der Schauspielschule hieß es, man muss eine Rolle entwickeln. In den Stücken Gob Squads war jeder nur er selbst und trotzdem ein Star. Ich hatte am Theater das große Dreieck Autor-Regisseur-Schauspieler genügend kennen gelernt, in dem meistens der Regisseur oben steht. Plötzlich war ich Teil eines Kollektivs, in dem wir alle dieses Dreieck zu sein schienen und noch Kostüm-, Bühnenbildner, Videokünstler und Sounddesigner dazu“, sagt Trost.

 

Der geschickte Einsatz multimedialer Mittel ermöglicht die Umsetzung der verschiedenen Ebenen in Form von Live- Film- und Musikelementen.

 

„»Room Service« wurde mein richtiger Einstieg in die Gruppe“, erzählt Bastian Trost. „Statt in einem Theater spielt es in einem Hotel, statt zwei Stunden dauert es eine Nacht lang...Wir können die anderen Performer nicht sehen und hören, doch manchmal verbinden uns, durch Musik gesteuert, choreografierte Momente. Dann tanzen wir zusammen oder heulen alle gleichzeitig wie Wölfe die Fenster an, jeder in seinem Zimmer. Oft habe ich zu Beginn keine Ahnung, was mich erwartet. Die Nacht liegt vor mir wie ein leeres Blatt. Performance-Theater stellt immer auch eine Aufgabe. Bei »Room Service« schreiben wir uns und den Zuschauern diese Aufgabe in den Untertitel: »Room Service – Help me make it through the night«. Hilf uns, durch die Nacht zu kommen. Das gilt für alle Beteiligten: Wir helfen euch und ihr helft uns. Und wenn wir nicht mehr weiterwissen, greifen wir zum Zimmertelefon und rufen den Zuschauerraum an. Dann sind wir nicht nur auf der Bühne unserer Zimmer, sondern nehmen direkt Kontakt auf. Plötzlich guckt den Zuschauer ein Gesicht aus dem Fernseher an, und das Telefon stiftet die Verbindung... „

 

Manchmal werden Zuschauer nicht nur per Telefon oder Kamera, sondern auch inhaltlich ohne direkte Interaktion mit einbezogen. Beispielsweise anwesende Familienmitglieder. Inszeniert wird die Situation eines beziehungslosen „Familienessens“, das die vier Darsteller in ihren Hotelzimmern jeweils für sich allein zelebrieren, einzig durch die vier nebeneinander stehenden Bildschirme optisch für die Zuschauer miteinander in Verbindung gebracht. Die Rahmenbedingungen sind hier vorgegeben: Jeder der Darsteller sitzt an seinem Tisch, deckt diesen je nach wirklicher oder herbeiphantasierter Persönlichkeit des Verwandten mit den aberwitzigsten Gegenständen ein und spielt eines der Familienmitglieder, die während des gemeinsamen Essens miteinander ins Gespräch kommen. Die Inhalte entstehen aus der jeweiligen Situation, je nach emotionaler Verfassung der Darsteller, Eigenarten der anwesenden Verwandten oder Eigendynamik der Improvisation. So kann es passieren, dass sehr persönliche Botschaften über den künstlerischen Ausdruck in direkt-indirektem Fernsehblick weitergegeben werden, beispielsweise vom darstellenden Bruder an die zuschauenden Schwestern: „Wir müssen es nicht wie unsere Eltern machen...Wir sind die, die bleiben...“ oder, im Gegenteil, dass die Darsteller, die die Verwandten nicht kennen, diese vollkommen absurd zur Schau tragen. Hier spürt der Zuschauer deutlich die „Freiheit, die in dieser Form steckt“, von der Bastian Trost spricht, diese „Momente des Glücks, sich selbst in den seltsamsten Situationen wiederzufinden, die man ohne den Rahmen der Kunst so nie erlebt hätte.“

 

„Manchmal habe ich das Gefühl, Performances, wie die von »Gob Squad«, haben mir den Spaß an »normalem« Theater verdorben“, resümiert Trost. „Diese Verabredung: Da vorn ist ein Schauspieler, der eine einstudierte Rolle in Richtung einer vierten Wand spielt, ist schwerer zu genießen, wenn man weiß, wie es ist, alles, was man darstellt, selber mitentwickelt zu haben, und auch das Einmalige der Situation, in der man sich beim Schauen und Machen befindet, nicht zu leugnen. Hinzu kommt der Luxus, dass die Stücke, die wir spielen, immer ein Element enthalten, das jeden Abend einmalig macht.“...

 

So wird GOB SQUAD vor allem zu einem Versprechen auf ein einzigartiges Erlebnis.

 

GOB SQUAD schaffte zunächst den Sprung von England nach Deutschland und tourt inzwischen in deutsch-englischer Besetzung um den ganzen Erdball.

 

Weitere Informationen und alle Termine unter : www.gobsquad.com

 

 

 

 

 

 

 

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