Salome sieht in Titus, der neu im Dorf ist, einen Leidensgefährten und verliebt sich in ihn. Aber Titus' Schicksal erfährt eine Wendung als das durchgegangene Pferd des Friseurs Monsieur Marquis bändigt, und dieser ihm zum Dank eine schwarze Perücke schenkt. Die Perücke wird für Titus zum Talisman und verhilft ihm, neben Beliebtheit bei den Damen, zu einer Anstellung im Schloss. Salome erkennt ihn auch mit der Perücke wieder, verrät ihn jedoch nicht.
Als der eifersüchtige Marquis ihm die Perücke im Schlaf wieder vom Haupt nimmt, besorgt sich Titus einen blonden Haarschopf, und trägt später auch die graue Perücke des seligen Gärtners. Die gefälschte
Haarpracht und Titus' Wortgewandtheit lassen ihn immer wieder aufsteigen, jedoch folgt die Aufdeckung des Schwindels jedes Mal auf dem Fuß. Am Ende der Verwirrungen um Geld, Ehre, Erfolg und Liebe siegt doch die Aufrichtigkeit, und Salome, die sich als einzige nicht von Äußerlichkeiten beeindrucken
lässt, heiratet Titus.
Im Talisman von Johann Nepomuk Nestroy geht es um das Thema der gesellschaftlichen Ausgrenzung - also einen Gegenstand von höchster Aktualität und Brisanz in der heutigen Zeit. Die roten Haare von Titus
Feuerfuchs sind Symbol für das Anderssein nicht nur aufgrund von kulturellen, religiösen oder nationalen Unterschieden. In der heutigen Gesellschaft gibt es viel subtilere Formen der Ausgrenzung, wenn z.B. wirtschaftlicher
Erfolg und materieller Wohlstand zum Maßstab gesetzt werden, Menschen ohne Arbeit und Geld ins Abseits der Gesellschaft verdrängt werden. Auch Kinder und Jugendliche sind heute mehr denn je mit
unterschiedlichsten Formen von Ausgrenzung konfrontiert, als Opfer, Täter oder Zeugen. Die Figur des Titus Feuerfuchs ist aus einem zweiten Grund auch aus heutiger Sicht sehr spannend: er ist ein Opportunist in Reinstform, er kennt keine Loyalität, ist nur auf seinen Vorteil bedacht, dem er alles und
jeden in seiner Umgebung unterordnet. Auch dies ist ein Phänomen, von dem unser Wirtschafts- und Arbeitsleben, unser aller Alltag geprägt ist.
In diesem Sinne wurde eine zeitneutrale Inszenierung konzipiert, welche die im Stück impliziten gesellschaftlichen Phänomene analysiert, auf diese Weise die Aktualität des Stoffes nachvollziehbar macht und Identifizierungsmöglichkeiten für DarstellerInnen und ZuschauerInnen zuläßt. Ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeit ist die Auseinandersetzung mit der Sprache Nestroys, die einerseits - ganz aus dem Geist ihrer Zeit heraus - sehr blumig, überschwenglich und wortreich ist, andererseits zahlreiche Momente von krassem Realismus aufweist, der - anders als etwa in der “Märchen”-Sprache Raimunds - auf hochmoderne Weise den Menschen in seiner Abgründigkeit bloßstellt. Die charmante Komik der Figuren und ihre oftmals gewinnende Eloquenz stellen den Ausgleich zu dieser Drastik her. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit den jungen Darstellerinnen und Darstellern in unserer
Inszenierung ein Gleichgewicht dieser beiden Elemente der Nestroyschen “Posse” zu finden.
Das Wiener Kindertheater
Das Wiener Kindertheater inszeniert seit fünfzehn Jahren mit großem Erfolg Werke der klassischen und modernen Theaterliteratur mit Kindern und Jugendlichen. Ziel unserer Arbeit ist es, den Kindern einen Zugang zu den Theaterstücken zu vermitteln, sie mit der (Kunst-)Sprache vertraut zu machen und an die Inhalte heranzuführen, indem sie lernen, die im Stück behandelten Themen, Konflikte, Emotionen auf ihre eigene Realität zu beziehen, in ihre eigenen Lebenszusammenhänge zu übertragen. Dies funktioniert über eine zeitgemäße Inszenierung, die den Mitwirkenden das Gefühl vermittelt, sich in einer Handlung wiederzufinden, die sie unmittelbar betrifft, die heutige Probleme behandelt. Für unsere Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen haben wir eine spezielle Methode entwickelt, die sie über Workshops spielerisch an das Theaterspielen heranführt und schließlich in die Auseinandersetzung mit einem ausgewählten Stück mündet, das dann in einer professionellen Theaterproduktion realisiert wird. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Kinder und Jugendlichen auf diese Weise mit großer Motivation Theateraufführungen von hohem künstlerischen Wert auf die Beine stellen können, die auch erwachsene ZuschauerInnen in ihren Bann
ziehen.
Für die Hauptproduktion im Jahr 2009 wurde Johann Nepomuk Nestroys Talisman ausgewählt. Das Team, das mit den Kindern und Jugendlichen diese Produktion erarbeiten wird, setzt sich aus internationalen Künstlerinnen und Künstlern zusammen, die gemeinsam mit Intendantin und Regisseurin Sylvia Rotter das Inszenierungskonzept erstellt haben. Darüber hinaus hat das Wiener Kindertheater ein umfangreiches Rahmenprogramm und arbeitet an zahlreichen spannenden Projekten, in denen durch die Theaterarbeit Kindern und Jugendlichen, Schülerinnen und Schülern in Österreich und über die Grenzen Österreichs hinaus Kreativität, ein Zugang zur Literatur und - ganz nebenbei - zahlreiche wichtige Kompetenzen wie Selbstbewußtsein, Kommunikationsfähigkeit, Teamgeist, Konfliktbewältigung vermittelt werden.
Regie: Sylvia Rotter
Choreographie: Shona Morris & Paul Cimpoieru
Bühnenbild: Stefanie Willhelm
Requisiten: Eva Redtenbacher-Kohout
Musik: Julia Meinx
Für Erwachsene und Kinder ab 6 Jahren
Weitere Vorstellungen:
11. September 2009, 16.00 und 19.00 Uhr
12. & 13. September 2009, 15.00 und 18.00 Uhr
16., 17. & 18. September 2009, 16.00 und 19.00 Uhr
19. & 20. September 2009, 15.00 und 18.00 Uhr
www.wienerkindertheater.com