Die Bewohner haben sich mit der Situation arrangiert. Immerhin garantiert sie Stabilität. Auch das mörderischste und ungerechteste Willkürregime kann funktionieren, solange es den Menschen vermeintliche Sicherheit bietet. Doch dann kommt ein junger Fremder in die Stadt und stellt die alte, zweifelhafte Ordnung in Frage.
In dieser vorgeblichen Naivität erzählt Jewgeni Schwarz 1943 seine Geschichte vom Drachen; wie stets verpackt er seine Erzählung ins Gewand eines Märchens – und liefert in Wahrheit ein hochbrisantes, zeitkritisches Stück, das die Diktatur des deutschen Nazi-Regimes an den Pranger stellt. Doch das Stück weist über seine Zeit hinaus. Auch die Diktaturen Osteuropas sahen sich rasch im „Drachen“ gespiegelt. Und heute? Heute ist die Diagnose dieses Stückes fast noch beängstigender geworden. Denn Schwarz führt in seiner Theaterparabel den Beweis, dass nur eines schlimmer ist als Oppression und Willkürherrschaft: nämlich die Verinnerlichung der Mechanismen und Werte eines solchen Herrschaftssystems.
„Der Drache“ im Jahr 2013 gelesen, das bedeutet eine Hinterfragung unserer westlichen Gesellschaft. Ist nicht auch unser System mörderisch? Wissen wir nicht um die Opfer, die unser Lebensstil weltweit kostet; wissen wir nicht um den Preis, den andere zahlen? Und leben wir nicht trotzdem weiter, als ob es eben nicht so wäre? Und lächeln, so wie es die Figuren von Schwarz tun? Wir brauchen keinen Oppressor von außen, keinen Drachen – wir tragen ihn bereits in uns, wir haben ihn verinnerlicht. Was würden wir einem Ritter Lanzelot antworten, der vor uns träte und forderte, dass wir unser Leben ändern sollen?
Mit: Christian Clauß, Christine-Marie Günther, Holger Hübner, Thomas Kitsche, Gregor Knop, Lars Jung, Matthias Luckey, Benjamin Pauquet, Tom Quaas, Christian Rien, Ines Marie Westernströer u. a.
Regie: Wolfgang Engel
Bühne: Kostüm Hendrik Scheel
Musik: Thomas Hertel
Choreografie: Harald Wandtke
Dramaturgie: Robert Koall