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DER IDIOT / EIGHT SONGS FOR A MAD KING im prinz regent theater Bochum

Premiere am Freitag, 12. November 2010, 20 h

 

Zwei selten gespielte zeitgenössische Werke: Hans Werner Henzes "Der Idiot" und Peter Maxwell Davies' "Eight Songs for a Mad King".

Beides sind keine Opern im landläufigen Sinne, und beider Protagonisten sind seltsam aus ihrer Welt gefallene Adelige: der russische Fürst Myschkin aus Dostojewskis Roman und der britische König George III., der wegen seiner Geisteskrankheit 1811 abgesetzt wurde. „Der Idiot“ entstand 1952 ursprünglich als Ballettmusik, die Texte für die Fassung für einen Sprecher und kleines Ensemble schrieb Ingeborg Bachmann. Peter Maxwell Davies' "Eight Songs for a Mad King", entstanden 1969, sind eine tour de force für einen hochvirtuosen Sänger, von dem die Rolle nicht nur einen enormen Stimmumfang, sondern auch die Be­herrschung extremer Stilmittel wie Röcheln, Heulen und den Einsatz der Kopfstimme erfordert.

 

Das Werk Henzes entstand als Kompositionsauftrag, mit dem die damals berühmte Berliner Choreographin Tatjana Gsovsky 1952 den jungen, weitgehend unbekannten Henze betraute. Zu einer Ballettpantomime nach dem Roman Dostojewkskis sollte er die Musik schreiben; Gsovsky selbst steuerte die Handlung des Balletts sowie einige verbindende Zwischentexte bei, die sie aus dem Roman collagierte. Diese Texte sprach übrigens bei der Uraufführung der damals ebenfalls noch recht unbekannte Schauspieler Klaus Kinski. Die Ballettpantomime "Der Idiot" wurde erfolgreich in Berlin und Venedig aufgeführt. Für spätere Aufführungen überarbeitete Henze wenige Monate später die Musik und bat die Dichterin Ingeborg Bachmann um einen neuen Text. Bachmanns schrieb sieben Monologe für Dostojewskis Protagonisten, den Fürsten Myschkin, die sich zu einer freien Paraphrase des Romans zusammenziehen. 1960 wurde "Der Idiot" in seiner endgültigen Gestalt in Berlin uraufgeführt, einer später entstandenen Konzertfassung gab Henze den Titel "Paraphrasen über Dostojewski". Im prinz regent theater ist die Fassung für einen Sprecher und kleines Ensemble zu sehen.

 

Peter Maxwell Davies' "Eight Songs for a Mad King" ist formal ein Liederzyklus, allerdings einer, der nach dem Willen seines Komponisten szenisch aufgeführt werden soll. Der "Mad King" des Titels ist der englische König George III. (1738-1820), der wegen seiner Geisteskrankheit 1811 abgesetzt wurde. George III. sprach in den Jahren seiner Umnachtung oft stundenlang ohne Unterbrechung wirre Dinge; er behauptete, mit Engeln zu reden und grüßte eine Eiche, die er für den preußischen König hielt. Das Libretto zu den 1969 uraufgeführten "Eight Songs" schrieb der australische Autor Randolph Stow; in die acht Monologe des "Mad King" baute er als authentisch überlieferte Sätze George III. ein. Stow kam auf die Idee, sich näher mit dem geisteskranken König zu beschäftigen, als ihm von einem Sammler eine mechanische Orgel vorgeführt wurde, die einst George III. gehört hatte und mit deren Hilfe er versucht hatte, seinen Buchfinken das Singen von Melodien beizubringen. Die Imitation von Vogelgesang findet sich genauso wie Anklänge an barocke Musik und höfische Menuette, aber auch an Tanzmusik der 1920er Jahre in der außerordentlich farbigen Komposition Maxwell Davies' wieder, der als einer der führenden Vertreter der zeitgenössischen Musik Großbritanniens gilt. Vor allem aber sind die "Eight Songs for a Mad King" eine tour de force für einen hochvirtuosen Sänger, von dem die Rolle nicht nur einen enormen Stimmumfang, sondern auch die Beherrschung extremer Stilmittel wie Schreien, Röcheln, Heulen und den Einsatz der Kopfstimme erfordert.

 

"dies ist das Ziel, von uns selbst

nicht besessen zu sein

und jedes Ziel zu verfehlen"

(aus Ingeborg Bachmanns Libretto zu "Der Idiot")

 

Eine Kooperation des prinz regent theaters, der Bochumer Symphoniker und der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 für „Das Henze-Projekt. Neue Musik für eine Metropole“

 

Musikalische Leitung: Errico Fresis.

Inszenierung: Sibylle Broll-Pape.

Ausstattung: Trixy Royeck

 

mit Gavin Taylor (Bariton) und Stephan Ullrich (Schauspieler)

 

Weitere Vorstellungen: 13., 18., 19. November 2010, 20 h

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