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Die Natur erwachtDie Natur erwachtDie Natur erwacht

Die Natur erwacht

"b15" in der Deutschen Oper am Rhein

Copyright: Gert Weigelt

 

Wie ein großer Vogelschwarm erscheinen die Tänzer auf der Bühne, die Türen wurden eben erst geschlossen, das Licht im Zuschauerraum ist noch nicht erloschen. Das erste Stück des Ballettabends in der deutschen Oper am Rhein beschäftigt sich mit dem Individuum und der Gruppe. Aus der dynamisch-heiteren Gruppenformation lösen sich immer wieder Einzelne heraus in Posen voller Trauer und Verzweiflung wie auf einem mittelalterlichen Altarretabel. Martin Chaix fragt in seinem Stück "We were right here!! angesichts der Flüchtigkeit der Geschehnisse, der Vergänglichkeit alles Seins nach einem Ort, der so etwas wie Heimat, wenn auch nur vorübergehend, bietet.

 

Eine Neonlichtinstallation wie von Dan Flavin prägt das Bühnenbild von "Rebound - Topple- Splash". Der Titel deutet schon an, von welchen Stilelementen Antoine Jully in seiner Choreographie ausgeht: dem federnden Rückstoß, der strauchelnden Schräglage und dem Nachwirken einer explosionsartigen Ausdehnung. Die Musik dazu, das Concerto in Es mit dem Titel "Dumbarton Oaks" hat Strawinsky einst für das Ehepaar Robert und Mildred Woods Bliss geschrieben. Jully ist aber nicht nur an der tänzerischen Umsetzung seiner formalen Vorgaben interessiert, sondern er versteht es auch vor dem Auge des Zuschauers ein Landschaftbild mit dem Wechsel der Jahreszeiten von Winter zum Frühling entstehen zu lassen.

 

Ebenfalls von Natur und Landschaft inspiriert ist "Pond Way" von Merce Cunningham aus dem Jahre 1998. Den Bühnenhintergrund nimmt das von Roy Lichtenstein kreierte "Landscape with Boat" ein, ein schwarz-weißes Rasterbild mit dem Bug eines kleinen farbigen Bootes. Die Tänzer werden von warmen Licht angestrahlt, als sei soeben die Sonne aufgegangen. In fließenden Bewegungen schweben und flattern sie über die Bühne. Es ist das Leben an einem Teich mit seinen Pflanzen, Insekten und Vögeln, das hier assoziativ hervorgerufen wird. Merce Cunningham hat sich zudem von den kontemplativen Bewegungsmustern des Yoga, Tai Chi und Qiqong anregen lassen. Die weiße Kleidung und die elektronischen Klänge von Brian Enos Musik "New Ikebukuro" tragen zu dem meditativen Charakter des Stückes bei.

 

Von dem warmen Sommertag in "Pond Way" geht es bei "Crop" in nächtliche Gefilde und so wurde Fred Friths "Allegory" mit Eulenrufen unterlegt. Amanda Miller hat sich für ihre Choreographie von den Tätigkeiten im Garten, dem Säen, Sprießen, Blühen und Ernten inspirieren lassen. Dabei wird der Garten als ein Ort gesehen, in dem man zur Ruhe kommen und der liebevollen Respekt vermitteln kann. Zugleich hat er ein System von Ordnung und kann als Metapher für gesellschaftliche Strukturen gesehen werden.

 

Ein einzelner Ahornbaum ist in "Inclination" von Regina van Berkel Inspiration für ihre Choreographie. Es ist eine Hommage an einen alten Baum auf dem Grundstück ihres Onkels in New Hampshire, der einem Blitzschlag zum Opfer fiel. Erinnern und darüber Reflektieren versucht sie tänzerisch sichtbar zu machen. Und das Gazegespinst eines Baumes als Bühnenbild ist Sinnbild für die Splitter der Erinnerung.

 

En abwechslungsreicher Abend, wie immer herausragend getanzt, dessen Naturthemen die Klammer bilden, und der vom Publikum begeistert gefeiert wurde.

 

„WE WERE RIGHT HERE“ (Uraufführung)

Martin Chaix

MUSIK: 1. Satz aus dem Konzert für Chor von Alfred Schnittke

Choreographie: Martin Chaix

Bühne: Felix Aarts

Kostüme: Catherine Voeffray

Licht: Volker Weinhart

 

REBOUND - TOPPLE - SPLASH (Uraufführung)

Antoine Jully

MUSIK: Concerto in Es „Dumbarton Oaks“ von Igor Strawinsky

Choreographie, Bühne und Kostüme: Antoine Jully

Licht: Volker Weinhart

 

POND WAY

Merce Cunningham

MUSIK: „New Ikebukkuro“ für drei CD-Player von Brian Eno

Choreographie: Merce Cunningham

Bühne: Roy Lichtenstein

Kostüme: Suzanne Gallo

Licht: David Covey

Einstudierung: Andrea Weber

 

CROP (Uraufführung)

Amanda Miller

MUSIK: Fred Frith

Choreographie und Kostüme: Amanda Miller

Bühne und Licht: Seth Tillett

 

INCLINATION (Uraufführung)

Regina van Berkel

MUSIK: Streichquartett Nr. 4 („The Ancient Tree“) von Alan Hovhaness

Choreographie und Kostüme: Regina van Berkel

Bühne und Licht: Dietmar Janeck

 

Premiere 12. April 2013

 

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