Die erste erzählt Heinrich von Kleist. Port-au-Prince, 1802. Eine Liebe inmitten der Wirren des haitianischen Befreiungskampfes – zu jener Zeit, als die Ereignisse der Französischen Revolution in der reichen karibischen Kolonie Santo Domingo ihre verwickelte Fortsetzung erfuhren und sich die Schwarzen gegen die Weißen erhoben, die Sklaven gegen ihre Peiniger.
Gustav von Ried, ein Schweizer im Dienste der französischen Armee, ist auf der Flucht. Um Hilfe flehend, klopft er unwissentlich just an jene Tür, die ihm höchste Gefahr bedeutet, an jene des »fürchterlichen Negers Congo Hoango«. Doch der ist außer Haus. Geöffnet wird dem Fremden von Hoangos Frau Babekan, einer Mulattin, und ihrer Tochter Toni, deren Haut erstaunlich hell ist. Die Frauen haben einen Auftrag. Sie wissen, wie mit verirrten Weißen umzugehen ist. Toni ist schön. Gustav verliert die Orientierung zwischen den Kulturen und schnell sich selbst in einem unübersichtlichen Spiel der Täuschungen und Identitäten, von Liebesbegehren und Verrat. Am Ende steht ein Irrtum, zwei Schüsse und ein Denkmal im fernen Europa.
Kornél Mundruczó lässt die Figuren aus Kleists berühmter Novelle als Untote wiederkehren. Er schreibt sie um, er schreibt sie fort, hinein ins Jahr 2011. Wieder ist Haiti der Schauplatz. Das Armenhaus der Welt, heimgesucht von Katastrophen. Ein neuer Markt. Geschäfte lassen sich überall machen. Das ist die zweite Erzählung: »My Sweet Haiti« – der Titel eines Songs, vielleicht auch der eines Beschwörungsritus. Mit ihr beginnt der Abend. In ihrem Personal finden sich Kleists Figuren als Erinnerung wieder. Ahnen, die einen besetzt halten. Wie in einem Spiegelkabinett auf dem Jahrmarkt begegnen sie uns in »My Sweet Haiti«, in vielfältigen Spielarten, verschiedene Genres zitierend: Monströsitäten, Zerrbilder, Fratzen auch unseres europäischen Selbstverständnisses, der Diskursgeschichte der Aufklärung. Am Ende eine Verwirrung, ein Irrtum auch hier. Bis der Voodoopriester uns wieder ins Jahr 1802 führt, in jene Zeit, als die Ereignisse der Französischen Revolution in der reichen karibischen Kolonie Santo Domingo ihre verwickelte Fortsetzung erfuhren....
Heinrich von Kleist schrieb seine Novelle »Die Verlobung von Santo Domingo« 1804 in Gefangenschaft, in der Festung Fort de Joux im Juragebirge (Schweiz). Kurz zuvor hatte Bonaparte den haitianischen Revolutionsführer Touissant Louverture dorthin verbracht und elend sterben lassen. Die Erzählung erschien erst 1811, drei Monate vor Kleists Freitod.
Die bildmächtigen Film- und Theaterproduktionen des ungarischen Regisseurs Kornél Mundruczó gehören zu den festen Größen der europäischen Festivals. Nach seiner letztjährigen Inszenierung »Eszter Solymosi von Tiszaeszlár« (eingeladen vom Goethe-Institut Budapest und dem tráfo-theater für zeitgenössische Kunst) ist »Die Verlobung von Santo Domingo oder MY SWEET HAITI« seine zweite Arbeit am Schauspiel Hannover.
Regie Kornél Mundruczó
Bühne und Kostüme Márton Ágh
Übersetzung Orsolya Kalász + Musik + Dramaturgie Judith Gerstenberg
Mit Johanna Bantzer + Mathias Max Herrmann + Janko Kahle + Thomas Mehlhorn + Oscar Olivo + Aljoscha Stadelmann + Martin Vischer
Termine
18.09. So 20:00
23.09. Fr 20:00