Die Mutter Klytaimnestra soll den Gattenmord büssen, den sie gemeinsam mit ihrem Liebhaber Aigisth (dem nunmehrigen König) an Agamemnon verübte – gleich nach dessen siegreicher Heimkehr aus Troja. Nicht nur die drei grossen griechischen Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides nahmen sich des Stoffes an, er inspirierte auch Dichter wie Gerhart Hauptmann und Hugo von Hoffmansthal, dessen
Version sicher eine der bedeutendsten ist.
In Karin Henkels Inszenierung, die am 11. Januar Premiere feiert, ist das in die Schiffbau-Halle eingebaute Atriden-Haus aus zweierlei Blickwinkeln zu erleben. Während die eine Hälfte der Zuschauer vorerst im Hausinneren Platz nimmt, wo sich die kleine Elektra von den Geistern der Vergangenheit umringt sieht, sitzt die andere Zuschauerhälfte vor dem Tor bei der ausgesperrten klagenden Elektra (gespielt von Carolin Conrad). Nach der Pause wird gewechselt, das Spiel beginnt von vorn, alle sehen (fast) alles, auch den letzten von Elektra herbeigesehnten Mord.
Ein berühmtes Haus, ein berüchtigtes Haus, ein brüchiges Haus. Im Königshaus der Atriden im griechischen Mykene lautet das Gesetz „Schuld um Schuld, Blut um Blut, Mord um Mord, Recht um Recht“ – und mittendrin steckt Elektra, die „Waffe ohne Geschoss“ (Einar Schleef). Bevor Elektra zu einer Frau wurde, die Tag und Nacht ihren toten Vater Agamemnon beweint, Hasstiraden gegen ihre Mutter Klytaimnestra und ihren Stiefvater Aigisth ausstösst und auf ihren Bruder Orest wartet, damit dieser den Mord am Vater durch Mord an der Mutter räche, vor diesem Dauerzustand war Elektra Kind. Als Kind hat sie miterlebt – von den Dichtern nur am Rande erwähnt –, wie der Vater ihre Schwester Iphigenie zugunsten seines Kriegszuges nach Troja opferte und wie zehn Jahre später die Mutter den heimkehrenden Vater mit der Axt im Bad erschlug.
Alle drei griechischen Tragiker, allen voran Sophokles, haben den Elektra-Mythos behandelt, die Vorgeschichte erzählen Aischylos in „Agamemnon“ und Euripides in seiner „Iphigenie in Aulis“, für das 20. Jahrhundert hat Hugo von Hofmannsthal den Stoff psychologisiert.
Karin Henkel, geboren 1970 in Köln, begann zu Beginn der 1990er-Jahre als Regieassistentin am Staatstheater Wiesbaden und an der Wiener Burg. Am Burgtheater begann auch ihre Regiekarriere – als jüngste jemals dort tätige Regisseurin. Es folgten Inszenierungen am Thalia Theater Hamburg, an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, am Schauspielhaus Bochum, am Schauspiel Leipzig, am Schauspielhaus Zürich („Woyzeck“ 1999, „Das weite Land“ 2004), am Deutschen Theater
Berlin sowie am Schauspielhaus Düsseldorf. Zuletzt arbeitete sie am Deutschen Schauspielhaus Hamburg („Glaube Liebe Hoffnung“), am Schauspiel Frankfurt („Drei Schwestern“, „Die Wildente“), an den Münchner Kammerspielen („Macbeth“) und am Schauspiel Köln („Der Kirschgarten“, „Der Idiot“). Ihre Kölner Inszenierung „Der Kirschgarten“ wurde 2011 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Am Schauspielhaus Zürich waren in ihrer Regie zuletzt „Viel Lärm um nichts“ von William Shakespeare und „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horváth zu sehen.
ELEKTRA
nach den Tragödien von Sophokles, Hugo von Hofmannsthal, Aischylos und Euripides
Regie Karin Henkel
Bühne Muriel Gerstner
Kostüme Klaus Bruns
Musik Alain Croubalian
Licht Michel Güntert
Dramaturgie Roland Koberg
Mit:
Carolin Conrad Elektra
Michael Neuenschwander Agamemnon/Orest
Lena Schwarz Klytaimnestra
Alexander Maria Schmidt Aigisth
Fritz Fenne Pylades
Lena Lauzemis Chrysothemis
Kate Strong Amme
Paula Blaser/Anna Lou Caprez Gehrig Junge Elektra
Alain Croubalian Live-Musiker
Weitere Vorstellungen im Schiffbau/Halle
Öffentliche Voraufführung am 10. Januar, 19.30 Uhr
13./ 20. Januar, jeweils 18 Uhr
14./ 17./ 18./ 19./ 21. Januar, jeweils 19.30 Uhr
4./ 5. Februar, jeweils 19.30 Uhr
Weitere Vorstellungen im Februar sind in Planung.