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Eröffnungsinszenierungen der Spielzeit im Theater Ulm

1. DIE ZAUBERFLÖTE von Wolfgang Amadeus Mozart

2. Uraufführung von Dagrun Hintzes Stück INTENSIVSTATION

3. KÖNIG ÖDIPUS, ÖDIPUS IN KOLONOS von Sophokles,

4. MINNA VON BARNHELM ODER DAS SOLDATENGLÜCK von Gotthold Ephraim Lessing

 

1. DIE ZAUBERFLÖTE

Große Oper in zwei Aufzügen von Emanuel Schikaneder

Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

Premiere: 17.09.2009, 20 Uhr, Großes Haus

 

Es gibt wohl kaum ein anderes Werk, das gleichsam stellvertretend für eine Gattung schlechthin steht: Die ZAUBERFLÖTE gilt vielen als die Oper. Bereits in der Schule wird das Thema Musiktheater am Beispiel der ZAUBERFLÖTE verhandelt, Kinder wie Erwachsene sind in irgendeiner Form – ob be¬wusst oder unbewusst – mit ihrer Musik vertraut, die zweite Arie der Königin der Nacht ist zum Synonym verzierten Operngesangs geworden und selbst absolute Opernmuffel kennen die ZAUBERFLÖTE zumindest vom Namen her. Sie ist für Opernkenner ebenso faszinierend und unergründlich wie sie für Anfänger die perfekte Einstiegsdroge in die Welt der Oper darstellt.

 

Es ist bemerkenswert, dass gerade dieses scheinbar so beispielhafte Werk in keine opernspezifische Kategorie passen will. Die ZAUBERFLÖTE ist alles andere als eine typische Oper ihrer Zeit – auch keine typische Oper bereits vergangener Jahrzehnte und auch kein Startschuss für folgende Werke. Die ZAUBERFLÖTE ist in ihrer heterogenen Anlage ein einzigartiges Stück Musiktheater. Hier treffen die verschiedensten Operntypen aufeinander, sowohl in musikalischer als auch in dramaturgischer Hin¬sicht, derbe Volkstheaterspäße stehen bruchlos neben den humanitären Ideen der Aufklärung. Man findet Elemente der „Maschinen-Komödie“ und eine dem Märchen verwandte naive Bildsprache ebenso wie Freimaurer-Symbolik und eine zur Entstehungszeit äußerst beliebte Ägypten-Mode. Die ZAUBER¬FLÖTE ist alles zusammen: Singspiel, Opera buffa, Opera seria – und sie macht auch vor noch älteren Formen, wie einer Choralbearbeitung in der Geharnischten-Szene, nicht Halt. Eine ‚große Oper’ nennt sie schlicht und ebenso allgemein wie zutreffend das Original-Textbuch. Mozart selbst notiert in sein eigenhändiges Werkverzeichnis: „eine Teutsche Oper“. Was alle diese heterogenen Elemente letztlich doch zusammenschließt ist klar zu beantworten: Mozarts Musik.

 

INSZENIERUNG Matthias Kaiser

BÜHNE Marianne Hollenstein

KOSTÜME Angela C. Schuett

CHOREINSTUDIERUNG Wolfgang Wels

LEITUNG DES ULMER SPATZEN CHORES Hans de Gilde

DRAMATURGIE Benjamin Künzel

 

MIT Jie Mei (Sarastro), Alexander Schröder (Tamino), Edith Lorans (Königin der Nacht / Papagena), Arantza Ezenarro (Pamina), Tomasz Kaluzny (Papageno), Hans-Günther Dotzauer (Monostatos), Kwang-Keun Lee / Michael Burow-Geier (Ein Sprecher), Oxana Arkaeva (1. Dame), Gillian Crichton (2. Dame), Helena Zubanovich (3. Dame), Solisten des Ulmer Spatzen Chores (Drei Knaben), Girard Rhoden (1. Geharnischter / 1. Priester), Michael Burow-Geier (2. Geharnischter / 2. Priester); Opernchor und Extrachor des Theaters Ulm, Philharmonisches Orchester der Stadt Ulm; Statisterie des Theaters Ulm MUSIKALISCHE LEITUNG GMD James Allen Gähres

 

2. Uraufführung von Dagrun Hintzes Stück INTENSIVSTATION eröffnet am 18. September um 20.15 Uhr die Saison im Podium des Theaters Ulm

 

INTENSIVSTATION erzählt die Geschichte zweier Frauen, die einander zum ersten Mal im Warteraum vor der Intensivstation eines Krankenhauses begegnen, deren Leben aber seit Jahren miteinander verknüpft ist. Die eine: Fay. Ihr Mann liegt nach einem schweren Verkehrsunfall im Koma. Die andere: Carla. Sie ist seine Geliebte, mit ihr trifft er sich seit Jahren für zwei Wochen in Südamerika. Nur langsam kommen die beiden Frauen ins Gespräch und über Belanglosigkeiten nicht hinaus. Erst allmählich erkennen sie: Das ist die andere. Was Dagrun Hintzes Stück zum spannungsgeladenen Erlebnis macht, sind die Gedanken der beiden Frauen, denen der Zuschauer folgt. Ein Gedankendrama von der Besessenheit von Liebe und Zuneigung für zwei Wochen im Jahr oder für ein ganzes Leben.

 

Dagrun Hintzes Stück liegt keine dramatische Situation im Sinn von Handlung zugrunde. Denn der Rahmen des Erzählten - zwei Frauen begegnen sich auf einer Intensivstation - wäre in wenigen Sätzen zusammengefasst. Gerade aber in den Gedanken der beiden Figuren liegt der Reiz des Theaterstückes. Der Zuschauer kann der Entwicklung der Figuren genau folgen, innere und äußere Handlung ergänzen einander und bilden so plastische Figuren. Die Figuren sind vielschichtig gestaltet. Sie sind individuell und spielen doch mit Klischees: Fay, die junge, kluge und schöne aufstrebende Politikerin, Carla, die Schmuckdesignerin und Alt-Achtundsechzigerin, die für die Affäre mit Fays Mann alles aufgegeben hat (ihr Mann ließ sich von ihr scheiden, ihre Kinder besuchen sie nur gezwungenermaßen, Mittelpunkt ihres Lebens sind die zwei Wochen, die sie jedes Jahr mit Fays Mann in Südamerika verbringt).

Auch im Epilog, den Regisseurin Fanny Brunner durch Hinzufügung eines weiteren Textes von Dagrun Hintze für die Ulmer Uraufführungsinszenierung schuf, spielen Klischees eine Rolle, sowohl in der Ge¬staltung der Figuren als auch in ihrer Entwicklung: ICH SCHREIBT ANIMA, mit dem Hintze den zweiten Platz beim internationalen open mike belegte, erzählt auf abstrakte Weise von einem weiblichen ICH und dessen Affäre mit einem männlichen DU und eröffnet damit eine weitere Sichtweise auf das Thema Affären. Nicht zuletzt in seiner sprachlich eindrucksvollen Gestaltung bildet dieser Epilog den passenden Abschluss für Fanny Brunners Inszenierung.

 

DAGRUN HINTZE

Dagrun Hintze wird 1971 in Lübeck geboren. Nach dem Abitur studiert sie in Würzburg und Antwerpen Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft. Im Anschluss geht sie als Regieassis¬tentin ans Theater Lübeck. "Da nahm man Literatur zum Ausgangsmaterial, überprüfte sie an der heutigen Wirklichkeit und entwickelte Inszenierungskonzepte gemeinsam mit Menschen, deren Anliegen es war zu spielen, Menschen, die 'Arbeit' und 'Freizeit' nicht voneinander trennen wollten, die immer obsessiv dranblieben, mit bürgerlichen Lebensentwürfen nichts zu schaffen hatten und außerdem wahnsinnig gut feiern konnten." In Lübeck inszeniert Hintze u.a. JÜRGEN BARTSCH - KINDERMÖRDER. Nach einem zweijährigen Folgeengagement am Staatstheater Kassel entscheidet sie sich dafür, als Freiberuflerin nach Hamburg zu gehen und mit dem Schreiben ernst zu machen. Sie probiert sich in verschiedenen Genres und Formaten, erste Lyrik- und Kurzprosa-Veröffentlichungen in Anthologien und literarischen Zeitschriften folgen. 2002 arbeitet sie als Guide bei der Documenta11 in Kassel. "In einem halbjährigen education program kapierte ich auf einmal, was zeitgenössische Kunst überhaupt ist. Und dass mir nichts den Kopf so frei räumt wie Konzeptkunst - eben weil es keinen definierten 'Kunstbegriff' mehr gibt, keine durch Medien vorgegebene Konvention, kein Abo-Publikum, das bei der Stange gehalten werden will. Und nach genau diesem Gefühl - das Hirn durchgepustet zu bekommen, alles Bekannte zu vergessen, vertraute Systeme aufzugeben, um ein neues zu verstehen - bin ich mittlerweile wohl süchtig. Außerdem bin ich zu einem absoluten Interdisziplinaritäts-Freak geworden, weil ich es häufig ziemlich erschütternd finde, wie wenig die Disziplinen voneinander wissen bzw. welche Missverständnisse da vorherrschen."

Seit 2006 widmet sich Dagrun Hintze auch essayistisch der Vermittlung zeitgenössischer Kunst, Beiträge erscheinen u.a. im revolver-Verlag, in der Süddeutschen Zeitung, bei visuell / Deutsche Bank Art und in der Szene Hamburg. "Für mich gilt, dass ich das Prinzip des permanent Standortwechsels brauche, um in allen Feldern weiterarbeiten zu können, und dass alles, was ich tue, unter 'künstlerische Praxis' fällt: egal ob ich Lyrik schreibe oder Prosa, mit zeitgenössischen Künstlern literarisch 'kollaboriere' oder Katalogtexte für sie schreibe, ob ich was fürs Feuilleton verfasse oder Theaterstücke, ob ich Ausstellungsführungen mache (...), das alles hängt miteinander zusammen, befruchtet sich gegenseitig und verbindet sich quasi unterirdisch. Selbst dass ich - als Brotjob - unter Pseudonym Krimis und Erotikgeschichten für Zeitschriften geschrieben habe, sowie die Romanreihe zu einer Telenovela, lässt sich darunter ordnen. Es geht um Textproduktion auf allen Ebenen, um das Ausloten all der Möglichkeiten, die Sprache hat. Vermutlich versuche ich, mit Sprache so viel Welt wie möglich einzufangen, so viel Zeitgenossenschaft wie möglich."

2003 gewinnt Dagrun Hintze den Wettbewerb „Lyrik 2000s“, 2004 ist sie Preisträgerin der National¬bibliothek deutschsprachiger Gedichte. 2005 belegt sie beim 13. internationalen open mike in Berlin den 2. Platz mit ihrem Text ICH SCHREIBT ANIMA. 2008 nimmt sie auf Einladung von Burkhard Spinnen an den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt teil. Mit der Uraufführung von "Intensivstation" am Theater Ulm gibt sie ihr dramatisches Debüt.

 

INSZENIERUNG Fanny Brunner

RAUM Britta Lammers KOSTÜME Angela C. Schuett

DRAMATURGIE Michael Hanisch

 

MIT Christel Mayr (Carla), Johanna Paschinger (Fay)

 

Vorstellungen im September und Oktober :

23.09. / 25.09. / 02.10. / 08.10. / 15.10. / 17.10. / 22.10. / 29.10.2009

 

3. KÖNIG ÖDIPUS, ÖDIPUS IN KOLONOS

Tragödien von Sophokles, Fassung von Andreas von Studnitz

 

Premiere: 24.09.2009, 20 Uhr, Großes Haus

 

Die Pest bedroht Theben. Die Bürger flehen ihren König Ödipus um Hilfe an. Schon einmal hat er die Stadt gerettet und von der Sphinx befreit. Zum Dank wählten die Thebaner ihn zu ihrem König und gaben ihm, dem Fremden, Jokaste, die Witwe seines Vorgängers, zur Frau. Doch angesichts der Pest ist auch Ödipus ratlos. Er schickt deshalb seinen Schwager Kreon zum Orakel. Dieser kommt mit dem Spruch zurück, man müsse die Mörder des alten König Laios finden und ver¬bannen oder töten. Erbarmungslos macht sich Ödipus auf die Suche nach der Wahrheit. Er muss erkennen, dass er selbst in das Verbrechern verwickelt ist. Schließlich erfüllt sich auch an ihm ein alter Orakelspruch: Einst prophezeiten ihm die Götter, er werde den Vater töten und die Mutter schänden. Seine Eltern setzten ihn aus. Es waren niemand anderes als Laios und Jokaste. Angesichts dieser grausamen Wahrheit erhängt sich Jokaste und Ödipus blendet sich selbst.

 

In der zweiten Tragödie des Sophokles, ÖDIPUS IN KOLONOS, irrt der blinde Ödipus, der von allen gemieden wird, mit seinen Töchtern durch das Land. Er erhofft sich einen Platz, an dem er in Ruhe sterben kann. So betritt er den heiligen Hain Kolonos auf Athener Gebiet. Nach anfäng¬lichen Schwierigkeiten gewährt ihm der legendäre König Theseus Schutz und Zuflucht. Doch der Frieden ist nur von kurzer Dauer. In Theben herrscht Bürgerkrieg, die Söhne des Vaters kämpfen um den Thron. Und der Körper des Vaters wird zum Mittel zur Macht: tot oder lebendig.

 

ZU DEN TEXTVORLAGEN

 

Der Rang der beiden Tragödien des Sophokles steht außer Frage. Schon zu Lebzeiten des Autors gehörten sie zu den bedeutendsten literarischen Texten seiner Zeit. Ein Jahrhundert später wird Aristoteles seine Poetik immer wieder anhand des „König Ödipus“ erklären. Und auch in der Renaissance beherrschten die Stücke das literarische und theatrale Schaffen: „König Ödipus“ ge¬hörte zu den ersten Dramen, die nach dem Mittelalter wieder aufgeführt wurden. Sophokles zweites Stück zur Ödipus-Sage dagegen ist weniger populär. Sophokles verfasste die beiden Teile auch nicht als Einheit. ÖDIPUS IN KOLONOS entstand gegen Ende seines Lebens und wurde erst nach dem Tod des Autors aufgeführt. Der Glanz Athens, Heimatort des Autors und Zentrum des antiken Theaterschaffens, begann zu verblassen. So kann man das Stück um das Sterben eines einst mächtigen und nun verachteten Mannes auch als Parabel auf Athen lesen. KÖNIG ÖDIPUS dagegen entstand auf dem Höhepunkt von Sophokles Schaffen und warnt die Menschen vor Hybris.

 

INSZENIERUNG&MUSIK Andreas von Studnitz

BÜHNE&KOSTÜME Marianne Hollenstein

MASKEN Marianne Hollenstein, Claudia Grages

DRAMATURGIE Michael Hanisch

 

ÖDIPUS TYRANN Christian Taubenheim (Ödipus), Wilhelm Schlotterer (Kreon), Ulla Willick (Teiresias), Christel Mayr (Iokaste), Gunther Nickles (Ein Diener des Polybos), Thomas Kollhoff (Ein Hirte), Tini Prüfert (Chor 1), Sibylle Schleicher (Chor 2), Britta Lammers (Ein Hund), Statisterie (Kinder)

ÖDIPUS IN KOLONOS Christian Taubenheim (Ödipus), Tini Prüfert (Antigone), Gunther Nickles (Wächter), Sibylle Schleicher (Ismene), Thomas Kollhoff (Theseus), Wilhelm Schlotterer (Kreon), Gunther Nickles (Polyneikes), Ulla Willick (Chor 1), Christel Mayr (Chor 2), Statisterie (Soldaten)

 

Vorstellungen im September und Oktober :

26.09./29.09./30.09./01.10./03.10./07.10./10.10./14.10./16.10./18.10./23.10./30.10.2009

 

4. MINNA VON BARNHELM ODER DAS SOLDATENGLÜCK von Gotthold Ephraim Lessing

Premiere: 26.09.2009, 19.30 Uhr, Podium

 

Berlin 1763, Ende des Siebenjährigen Krieges. In den Wirtshäusern wimmelt es von abgedankten Soldaten und Offizieren – aber die wenigsten hat es so schlimm getroffen wie Major von Tellheim. Im Krieg damit beauftragt, Geld im besetzten Sachsen einzutreiben, ließ er Milde walten – was ihm lediglich den Vorwurf der Korruption einbrachte. Innerlich in seiner Ehre beschnitten und äußerlich durch eine Schusswunde verletzt, wartet der Major auf seinen Prozess. Noch nicht einmal von seiner Verlobten Minna von Barnhelm kann er auf Trost hoffen, denn wie könnte er, der entehrte Mann, sich unterstehen ihre Ehre zu kontami¬nieren? Die offenbar ansteckende Ehrlosigkeit hält die junge Frau jedoch nicht davon ab, sich ihrem ge¬liebten Tellheim ebenso forsch wie listenreich zu nähern. Während er sich hartnäckig gegen alle Wohltaten sperrt, wird er unbemerkt von der Heldin des Lustspiels aufs Kreuz gelegt. Lessings unsterbliche Liebesgeschichte ist der Klassiker im Podium.

 

DIE THEMEN

Sture Männer – gekränkte Eitelkeit, so möchte man auf den ersten Blick in großen Buchstaben über das Stück setzen, aber dieser Aspekt, wiewohl entscheidend für das Stück, macht nicht seinen Kern aus. Tellheims „sublimer Egoismus“ (Jürgen Jacobs), mit dem er für sich in Anspruch nimmt, Wohltaten zwar selbst zu erweisen aber nie von anderen anzunehmen, stammt aus einem absoluten Verständnis der soeben sterbenden höfischen Weltordnung: Bei Hofe galt die Ehre alles, es galt die Devise „lieber tot als ehrlos“. So ist die Auseinandersetzung zwischen der „ritterlichen“ Haltung Tellheims, mit deren Hilfe er geradewegs in eine Sackgasse gesteuert ist, und der pragmatischen, bürgerlichen Haltung Minnas eine Miniatur der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die in Europa in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Gange sind: Den Hintergrund zu Lessings charmanter, heiterer Komödie bilden gewaltige gesellschaftliche Umwälzungen, die letztendlich zur Französischen Revolution führten.

 

Ein weiterer spannender Aspekt des Stückes ist die eigenartige Selbständigkeit, ja Emanzipation der Titelheldin. Das Selbstbewusstsein dieser jungen Frau, mit dem sie direkt nach Kriegsende ins feindliche Ausland reist, um einen feindlichen Offizier, der vorgeblich nichts mehr von ihr wissen will, zurück zu erobern, ist bemerkenswert. Lessing, der Aufklärer, hält natürlich nichts von einengenden Rollenzu¬schreibungen, vielmehr verleiht er in der Gestaltung der Minna seiner Überzeugung Ausdruck, dass menschliche Reife, überlegtes Handeln und Mut keine Domäne des männlichen Geschlechts sind. Im Gegenteil: Es ist diese Frische und Offenheit, die Minna auch heute noch zu einer interessanten und attraktiven Rolle macht.

 

EIN ZEITSTÜCK?

Wenn vom „Untergang der höfischen Weltordnung“ die Rede ist, klingt das nach großer Zeitgebundenheit. Wie sehr jedoch Fragen der Ehre – gerade im Verhältnis der Geschlechter zueinander – auch heutzutage eine Rolle spielen, haben wir in der letzten Spielzeit sehr eindrucksvoll mit EHRENSACHE von Lutz Hübner, unserem Jugendstück im Podium, gezeigt. Natürlich bietet nicht nur das Aufeinandertreffen von gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen aus der islamischen und der westlichen Welt Folien, auf die MINNA VON BARNHELM heute bezogen werden kann. Bei aller tiefgehenden Verwurzelung im 17. Jahrhundert ist das Lustspiel vom „Soldatenglück“ zeitlos, ja es ist eine der ersten echten Komödien in deutscher Sprache überhaupt, denn die Charaktere, die Lessing in den Ring schickt, sind so lebensecht, dass niemand an ihrem Realitätsgehalt zweifeln kann – es geht um Liebe und Geld – eine Mischung so alt wie die Menschheit.

 

INSZENIERUNG Birgit Angele / Christian Schneller

RAUM&KOSTÜME Birgit Angele / Christian Schneller

DRAMATURGIE Michael Sommer

 

MIT Antonio Lallo (Major von Tellheim), Aglaja Stadelmann (Minna von Barnhelm), Johanna Paschinger (Franziska, ihr Mädchen), Raphael Westermeier (Just, Bedienter des Major), Volkram Zschiesche (Paul Werner, gewesener Wachtmeister des Majors), Karl Heinz Glaser (Der Wirt), Martina Mihanovic (Eine Dame in Trauer), Simon Reimold (Riccaut de la Marlinière)

 

www.theater.ulm.de

 

 

 

 

 

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