Zwischen der Türkei und der Schweiz bestehen vielfältige – auch historische –Verbindungen. Die moderne Türkei wurde 1923 mit dem Vertrag von Lausanne gegründet. Der Vertrag beendete den türkischen Befreiungskrieg unter Mustafa Kemal Atatürk. Bereits während dieser Spätphase des osmanischen Reiches hatten sich zahlreiche türkische Studenten und politische Flüchtlinge in der Schweiz aufgehalten. Im liberalen Reformklima entwarfen sie die Grundlagen des heutigen laizistischen Staatsmodells ihrer Heimat. 1925 schlossen die Schweiz und die Türkei einen Freundschaftsvertrag. In den 60ern kamen die ersten türkischen Immigranten in die Schweiz. 2008 leben hier 123'000 Menschen, die aus der Türkei stammen und bilden einen wesentlichen Bestandteil der hiesigen Gesellschaft und Kultur.
Mit der Verleihung des Nobelpreises für Literatur 2006 an den türkischen Romanautor Orhan Pamuk ist das Interesse an Literatur aus der Türkei rasant gestiegen. Dieses Jahr war die Türkei Gast an der Frankfurter Buchmesse und stellte das vielfältige literarische Schaffen des Landes am Bosporus eindrücklich unter Beweis. Nicht nur die Literatur, die gesamte Kultur- und Kunstszene der Türkei ist jung und inspirierend. Sie versucht Traditionelles und Modernes auf der Suche nach einer eigenen Identität zu verbinden. Eine ganze Reihe hochkarätiger Künstlerinnen und Künstler, Musiker und Literaten aus der Türkei sind zurzeit in Schweiz unterwegs und werden demnächst auch in Chur Station machen. Eine hervorragende Gelegenheit, um einen Eindruck zu gewinnen von der Kultur des Landes, das an der Schwelle zwischen Europa und Asien liegt.
CULTURESCAPES IN CHUR
Murat Uyurkulak
Lesung aus «Zorn»
So, 16. November, 20 Uhr, Dauer 1 Std. 30 Min.
Murat Uyurkulak liest in türkischer Sprache. Deutsche Lesung: Jaap Achterberg. Moderation: Sabine Adatepe. In Zusammenarbeit mit dem Unionsverlag.
Murat Uyurkulak, geboren 1972 in Adin, studierte zunächst Jura, dann Kunstgeschichte in Izmir, brach jedoch beides ab und zog schließlich nach Istanbul. Dort arbeitete er u. a. als Kellner, Übersetzer, Journalist und Verleger. Sein erster Roman «Zorn» wurde 2002 veröffentlicht und erregte in der Türkei sofort größtes Aufsehen. Es ist dem Unionsverlag Zürich und seiner neuen Reihe «Türkische Literatur» zu verdanken, dass diese wichtige literarische Stimme in der zeitgenössischen türkischen Literatur nun auch in deutscher Sprache zu vernehmen ist.
«Zorn» erzählt von einer langen Zugreise von Istanbul nach Diyarbakır, die einer Zeitreise gleicht. Ein alter Kämpfer, mit Beinamen «der Dichter», und ein junger Enthusiast reisen zufällig im selben Zugabteil, trinken, rauchen Hasch, reden, bis «der Dichter» auf einmal dem jungen Mann ein Konvolut mit Manuskripten in die Hand drückt und sagt: «Los, lies!» Die lose miteinander verwobenen Erzählungen, Beschreibungen und Gespräche handeln, wie der junge Mann bald feststellt, von seinem Vater, den er nie kennengelernt hat. Gleichzeitig erzählen die Fragmente die Geschichte einer ganzen Generation, die die Hoffnung auf eine Revolution nie aufgegeben hat.
So wird die zu Beginn harmlose Zugfahrt zur Reise in die inoffizielle Geschichte der Türkei von den 1950ern bis heute.
Aydin Teker
harS
Samstag, 22. November 20 Uhr. Dauer: 1 Std.
Regie und Choreografie: Aydin Teker. Mit: Ayse Orhon. Kostüme: Aysegul Alev. Licht: Thomas Walgrave. Produktion: Bimeras / iDans (Istanbul). Koproduktion: Festival Culturescapes (Basel).
Aydın Teker ist eine Pionierin im Bereich des zeitgenössischen türkischen Tanzes. Sie begann ihre Karriere am Staatsballett in Ankara, tanzte und unterrichtete mehrere Jahre in den Vereinigten Staaten und gründete 1992 die Aydın Teker Dance Company in Istanbul.
Liess sie in einer früheren Arbeit ihre Tänzerinnen in zu grossen Schuhen am Rande des Abgrundes balancieren, wird in der jüngsten Performance eine Harfe zum herausfordernden Gegenüber. Eine Tänzerin untersucht die Beziehung zwischen dem menschlichem Körper und dem vom Menschen erfundenen Instrument. Ayşe Orhon, Harfenistin und Tänzerin, erforscht die räumlichen und kinetischen Möglichkeiten des Instrumentes und kommt dabei zu überraschenden Ergebnissen: Körper und Gegenstand begegnen sich auf unbekanntem Terrain, verbinden sich scheinbar miteinander, bleiben aber doch deutlich autonom. Es entsteht ein Dialog von geometrischer Klarheit, Virtuosität und Kontrolle.
Erkan Oğur & Telvin
Weltmusik-Jazz
Sonntag, 23. November, 20 Uhr, Dauer 1 Std. 30 Min.
Mit: Erkan Ogur (bundlose Gitarre, E-Gitarre, Laute), Ilkin Deniz (Bass) und Turgut Alp Bekoglu (Schlagzeug, Perkussion).
Der Gitarrist Erkan Oğur ist einer der bekanntesten türkischen Jazzmusiker und ein Pionier der bundlosen Gitarre. In Chur ist der «Meister des türkischen Folk» mit seinem exzellent besetzten Trio Telvin zu hören. «Telvin» bedeutet Färbung – ein Wechsel von Farben, ein Stimmungswechsel. Im Falle des türkischen Star-Gitarristen Erkan Oğur kann man auch von einem Gitarrenwechsel sprechen, denn er wechselt innerhalb dieser variablen musikalischen Konstellation oft zwischen akustischer Gitarre, türkischer Kopuz (Langhalslaute) und E-Gitarrre hin und her. Der Begriff «Telvin» ist aber ebenso eine passende Beschreibung des Jazz. Auch bei Telvin wird Improvisation groß geschrieben. Davon zeugt die technisch versierte und hoch-kreative Besetzung: Turgut Alp Bekoğlu am Schlagzeug, Evrim Demirel an den Keyboards und İlkin Deniz an Kontrabass und E-Bass. Erkan Oğur selbst – ein Meister verschiedener Stile, der sich gerne als jemand beschreibt, der auf der Suche nach Musik ist – treibt das Experiment voran, verschiedene Genres aus verschiedenen Teilen der Welt mit traditioneller türkischer Musik zu vereinen.
Die Basis bilden Themen und Motive aus Anatolien, die das Trio adaptiert hat und als Ausgangs- und Orientierungspunkte verwendet, um sie dann in druckvollen Power-Fusion-Jazz zu verwandeln, der sowohl aus Istanbul als auch aus New York stammen könnte.
Mercan Dede vs Stimmhorn
Musikalische Begegnung
Freitag, 28. November. 20 Uhr, Dauer: 1 Std. 30 Min.
Mit: DJ Mercan Dede und dem Schweizer Duo Stimmhorn mit Christian Zehnder (Stimme, div. Instrumente) und Balthasar Streiff (Alphörner, Buchel, Cornet und andere Blasinstrumente).
Arkin Ilicali alias Mercan Dede ist seit rund 15 Jahren einer der herausragenden Protagonisten der internationalen DJ-Szene. Seine Verbindung von traditionellem anatolischem Klangerbe mit den elektronischen Beats des Techno und Hip Hop, sein Mix aus Sufi-Spiritualität und westlichem Dancefloor haben ihn zu einer Symbolfigur für die kulturelle Öffnung der Türkei gemacht. «Ich sehe mich im Geiste der tanzenden Derwische», so sein Bekenntnis. «Einer ihrer Füsse bildet das Zentrum, mit den anderen reisen sie, während sie sich drehen.» Das musikalische Zentrum Mercan Dedes ist immer noch Istanbul, wohin er aus seiner Wahlheimat Montreal immer wieder zurückkehrt. Seine Auftritte auf dem ganzen Globus sind geprägt durch immer wechselnde Kooperationen mit Musikern der jeweiligen Länder.
Für das Festival «Culturescapes» trifft der Zeremonienmeister am DJ-Pult auf das Schweizer Duo Stimmhorn mit Christian Zehnder und Balthasar Streiff. Diese Grenzgänger der helvetischen Klanglandschaft schöpfen ihre entrückt-verqueren Tonwelten aus dem Fundus der hehren Bergwelt und spielen dabei an allen Genres vorbei. Jodel und Obertongesang, Alphorn, Tuba, Barocktrompete und Ziegenhorn, Wippkordeon und Laudola treffen für einen Abend auf Mercan Dedes türkische Weltmusik.