Es war durchaus eine kühne Idee, mit der Daniel Barenboim die Berliner konfrontierte, als er im Frühjahr 1996 die ersten Staatsopern-Festtage veranstaltete: Wozu Festtage in einer Stadt, die ohnehin schon mehr Hochkultur pflegte, als sie sich eigentlich leisten konnte? In einer Stadt noch dazu, deren Bewohner sowieso jeden Abend Weltniveau in ihren Opernhäusern und Konzertsälen erwarteten und es gar nicht einsahen, einen Placido Domingo oder eine Cecilia Bartoli nur gegen Aufpreis erleben zu können? Und dann auch noch auf dem Boden des ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaats, der die gesamte Bevölkerung quasi zum Nulltarif mit Oper versorgt hatte? Nicht wenige Berliner schüttelten da die Köpfe und sagten diesen Festtagen ein baldiges Ende voraus
Von der anfänglichen Skepsis, die seinem Projekt – wie allen großen Ideen – anfangs entgegenschlug, ließ sich Daniel Barenboim freilich nicht beirren: Neben der erfreulichen Tatsache, dass die Einnahmen der Festtage auch dem laufenden Betrieb seines Hauses zugute kamen, wusste der Generalmusikdirektor der Staatskapelle, dass der neuen Hauptstadt letztlich genau das fehlte: Ein jährliches Festival, das für einige Vorstellungen den Traum jedes Opernliebhabers wahr werden ließ, die besten und berühmtesten Sänger und Dirigenten einmal zusammen auf der Bühne oder im Konzertsaal zu erleben. Ein Traum, für den sonst höchstens Namen wie Salzburg, Bayreuth oder Glyndebourne, kaum aber die herkömmlichen Opernhäuser mit ihrem Ganzjahresbetrieb standen.
Dass hier ein Traum Wirklichkeit geworden war, merkten die Berliner allerdings schnell – schon allein, weil die Festtage von Anfang an ein internationales Publikum gewinnen konnten, das da weniger ideologische Skrupel zu haben schien und vor allem durch die Wagner-Premieren, die Herzstücke jedes Festtags-Programms angezogen wurde. Mit Barenboim und der Staatskapelle im Graben, Sängern wie Domingo, Waltraud Meier oder René Pape auf der Bühne und den modernen, aber nicht provokativen Inszenierungen Harry Kupfers gewannen die Festtage so schnell ein Stammpublikum. Und zwar eines, das nicht nur für eine Opernvorstellung anreiste, sondern das begleitende Angebot an Sinfoniekonzerten, Klavier- und Liederabenden gerne nutzte, um den Aufenthalt in der Hauptstadt noch ein paar Tage auszudehnen.
Die strategisch günstige Platzierung um die Ostertage und die Werbung, die die Staatskapelle auf ihren Auslandstourneen mit Barenboim für das neue Hauptstadt-Highlight machte, taten ein Übriges. Wie fest sich die Festtage auf der internationalen Festival-Landkarte etabliert hatten, zeigte sich, nachdem der Wagner-Zyklus von Kupfer und Barenboim vollendet und 2002 in einem gewaltigen Kraftakt noch einmal alle zehn großen Wagner-Opern in einem Zyklus je zwei Mal innerhalb von 36 Tagen gestemmt worden waren. Die Festival-Gemeinde kam auch zu Verdi und Massenet wieder und sorgte auch für volle Säle, als 2007 gar keine Opernproduktion, sondern eine zyklische Aufführung aller Sinfonien Gustav Mahlers unter Barenboim und Pierre Boulez auf dem Programm stand.
Boulez ist neben Barenboim eine Leitfigur der Festtage und quasi von Anfang an dabei. Schon 1997, zum ersten Geburtstag, dirigierte er in der Lindenoper Strawinskys »Rossignol« und Schönbergs »Pierrot Lunaire«, und auch wenn die Oper, zu der sein Freund Barenboim Boulez lange hartnäckig zu überreden versuchte, wohl nie geschrieben wird, standen immer wieder Boulez-Kompositionen auf den Programmen der Sinfonie- und Kammerkonzerte. Die Hommage, die ihm diesmal zu seinem 85. Geburtstag gewidmet ist, setzt insofern eine kontinuierliche Beschäftigung mit Boulez’ Musik fort, die in dieser Konsequenz vermutlich weltweit einmalig ist. Vielleicht gehört es ohnehin zum Erfolgsgeheimnis der Festtage, auf einen festen Künstlerkreis zu setzen und mit den Jahren so eine Atmosphäre der Vertrautheit zwischen Musikern und ihrem Publikum zu schaffen. Statt mit immer neuen Stars Aufsehen zu erregen, leben die Konzerte und Opernvorstellungen von solchen langfristigen Beziehungen: Zu Rolando Villazón, dem die Staatsoper durch alle Krisen hindurch die Treue gehalten hat und der diesmal in Achim Freyers Inszenierung von Tschaikowsky »Eugen Onegin« sein bewegendes, auch darstellerisch kompromissloses Lenski-Porträt zeigen wird. Zu Waltraud Meyer, der großen Isolde der letzten zwanzig Jahre, ebenso wie zu Plácido Domingo, der in dieser Atmosphäre gegenseitiger Vertrautheit sein Wagnis wiederholen wird, sich als Bariton in der Titelpartie von Verdis »Simone Boccanegra« zu präsentieren. Oder auch zu Anna Netrebko, die hier kein durchreisender Star ist, sondern mit Barenboim zusammen ein russisches Liedprogramm erarbeitet. So schafft man nachhaltige Beziehungen.
Freilich sind die Festtage nicht nur exklusives Ereignis, sondern ebenso auch ein Schaufenster, in dem sich die Staatsoper mit ihrem künstlerischen Profil zeigt: Die Inszenierungen, die es hier zu sehen gibt, laufen auch im »normalen« Repertoire. Freyers aus der spukhaften Romantik eines E.T.A. Hoffmann heraus empfundener »Eugen Onegin« ebenso wie Kupfers schlicht-konzentrierter »Tristan«, der inzwischen zu einem Klassiker des Hauses geworden ist. Zwei Produktionen, die für die Bandbreite der Regiehandschriften stehen, die an der Lindenoper gepflegt wird. Denn in der Ära Barenboim wurde immer modernes Musiktheater gemacht. Vielleicht auch um zu dem Rahmen des Prachtbaus Unter den Linden mit seinen Kristalllüstern und seinen goldbemalten Balkonen eine konstruktive Spannung herzustellen, gab es auf der Bühne keinen Plüsch, sondern neue, oft durchaus kontroverse Sichtweisen. Von Quereinsteigern wie Bernd Eichinger oder Doris Dörrie, aber auch von Regisseuren wie dem Norweger Stefan Herheim und dem ehemaligen Intendanten Peter Mussbach. Einfach hat es sich die Staatsoper in dieser Hinsicht jedenfalls nicht gemacht – der historische Ort mitten im Herzen der Republik bedeutete immer auch die Pflicht zur intellektuellen Auseinandersetzung.
Das Publikum hat das in all den Jahren, wenn auch manchmal mit Murren, bislang akzeptiert, sicher auch weil es intuitiv spürt, dass sich Musiktheater in einer Metropole wie Berlin anders zur Gegenwart bekennen muss als in den ländlichen Idyllen sommerlicher Festspielorte. Und kein Zweifel, dass es Barenboim und der Staatsoper auch die Treue halten wird, wenn das Stammhaus Unter den Linden ab Sommer 2010 für eine Grundrenovierung geschlossen wird und die Musik für dreieinhalb Jahre erst einmal im Westberliner Schillertheater spielt.
Und auch wenn Politik und Denkmalschutz hoch und heilig versichert haben, dass der Zuschauerraum bei der Wiedereröffnung keinen Deut anders aussehen soll als heute, sind die Festtage in diesem Jahr doch auch ein Stückweit ein Abschiedsfest – gemeinsam gefeiert vom Publikum und den Künstlern, deren Entwicklung es in diesen 15 Jahren verfolgt hat.
Fr 26 Mär 2010 | 19.30 Uhr
Eugen Onegin
Oper von Peter I. Tschaikowsky
Daniel Barenboim | Achim Freyer | Lena Lukjanova | Amanda Freyer | Katharina Kammerloher | Anna Samuil | Maria Gortsevskaya | Margarita Nekrasova | Artur Rucinski | Rolando Villazón | René Pape | Stephan Rügamer | James Homann | Rosen Krastev
Sa 27 Mär 2010 | 19.00 Uhr
Simon Boccanegra
Oper von Giuseppe Verdi
Daniel Barenboim | Federico Tiezzi | Maurizio Balò | Giovanna Buzzi | Andrzéj Dobber | Ailyn Perez | Ferruccio Furlanetto | Fabio Sartori | Hanno Müller-Brachmann | Alexander Vinogradov | Evelin Novak
So 28 Mär 2010 | 17.00 Uhr
Tristan und Isolde
Oper von Richard Wagner
Daniel Barenboim | Harry Kupfer | Hans Schavernoch | Buki Shiff | Peter Seiffert | René Pape | Waltraud Meier | Roman Trekel | Reiner Goldberg | Ekaterina Gubanova | Florian Hoffmann | Arttu Kataja | Florian Hoffmann
Mo 29 Mär 2010 | 20.00 Uhr
Liederabend Anna Netrebko | Daniel Barenboim
NIKOLAI RIMSKI-KORSAKOW (1844–1908)
Was in der Stille der Nacht op. 40 Nr. 3
Verzeih! Gedenk nicht mehr der Tage
der Verzagtheit op. 27 Nr. 4
Nicht der Wind, von der Höhe wehend op. 43 Nr. 2
Klingender ist das Lied der Lerche op. 43 Nr. 1
Auf den Höhen Georgiens op. 3 Nr. 4
Ins Reich der Rose und des Weines op. 8 Nr. 5
Suleikas Lied op. 26 Nr. 4
Gefangen von der Rose, singt die Nachtigall op. 2 Nr. 2
Es lichtet sich der Zug der fliegenden Wolken op. 42 Nr. 3
Die Nymphe op. 56 Nr. 1
Traum in der Sommernacht op. 56 Nr. 2
PETER ILJITSCH TSCHAIKOWSKI (1840–1893)
Sag, wovon singt im Schatten der Zweige op. 57 Nr. 1
So schnell vergessen (1870)
Verrückte Nächte op. 60 Nr. 6
Warum? op. 6 Nr. 5
Serenade (Mein Kind, unter deinem Fenster)
op. 63 Nr. 6
Wiegenlied op. 16 Nr. 1
Ich war doch wie das Gras am Feld op. 47 Nr. 7
In trüben Tagen op. 73 Nr. 5
Ob Tag herrscht op. 47 Nr. 6
Philharmonie Berlin
Di 30 Mär 2010 | 19.30 Uhr
Simon Boccanegra
Oper von Giuseppe Verdi
Daniel Barenboim | Federico Tiezzi | Maurizio Balò | Giovanna Buzzi | Andrzéj Dobber | Ailyn Perez | Ferruccio Furlanetto | Fabio Sartori | Hanno Müller-Brachmann | Alexander Vinogradov | James Homann | Evelin Novak
Mi 31 Mär 2010 | 19.30 Uhr
Eugen Onegin
Oper von Peter I. Tschaikowsky
Daniel Barenboim | Achim Freyer | Lena Lukjanova | Amanda Freyer | Katharina Kammerloher | Anna Samuil | Maria Gortsevskaya | Margarita Nekrasova | Artur Rucinski | Rolando Villazón | René Pape | Stephan Rügamer | James Homann | Rosen Krastev
Do 01 Apr 2010 | 20.00 Uhr
Klavierabend Maurizio Pollini
Solist Maurizio Pollini
FRÉDÉRIC CHOPIN
Préludes op. 28
CLAUDE DEBUSSY
Etudes, Buch II
PIERRE BOULEZ
Deuxième Sonate
Philharmonie Berlin
Fr 02 Apr 2010 | 19.30 Uhr
Eugen Onegin
Oper von Peter I. Tschaikowsky
Daniel Barenboim | Achim Freyer | Lena Lukjanova | Amanda Freyer | Katharina Kammerloher | Anna Samuil | Maria Gortsevskaya | Margarita Nekrasova | Artur Rucinski | Rolando Villazón | René Pape | Stephan Rügamer | James Homann | Rosen Krastev
Sa 03 Apr 2010 | 16.00 Uhr
Staatskapelle Berlin
Dirigent Pierre Boulez
Sopran Christine Schäfer
Klavier Daniel Barenboim
PIERRE BOULEZ
»Improvisations sur Mallarmé« Nr. 1 – 3
ARNOLD SCHÖNBERG
Konzert für Klavier und Orchester op. 42
ALBAN BERG
Drei Stücke für Orchester op. 6
Philharmonie Berlin
So 04 Apr 2010 | 20.00 Uhr
Hommage à Pierre Boulez zum 85. Geburtstag
Dirigenten Daniel Barenboim | Pierre Boulez
Alt Hilary Summers
Violine Michael Barenboim
Violoncello Hassan Moataz el Molla
PIERRE BOULEZ
»Messagesquisse« für Violoncello solo und sechs Violoncelli
»Anthèmes 2« für Violine solo und Live-Elektronik
»Le Marteau sans maître« für Alt und sechs Instrumente
Mo 05 Apr 2010 | 17.00 Uhr
zum letzten Mal in dieser Spielzeit
Tristan und Isolde
Oper von Richard Wagner
Daniel Barenboim | Harry Kupfer | Hans Schavernoch | Buki Shiff | Peter Seiffert | René Pape | Waltraud Meier | Roman Trekel | Reiner Goldberg | Ekaterina Gubanova | Florian Hoffmann | Arttu Kataja | Florian Hoffmann