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"Fidelio" von Ludwig van Beethoven im Hessischen Staatstheater Wiesbaden

Premiere: Samstag, 10. September 2011, 19.30 Uhr, Großes Haus. -----

„Fidelio“ ist ein ganz besonderes Werk – es ist Ludwig van Beethovens einzige Oper. Dafür hat er sich ungewöhnlich lange mit ihr beschäftigt: die mehrfachen Umarbeitungen Beethovens zwischen 1805 und 1814 zeigen sein Bemühen, mit dieser Oper ein wirklich einmaliges Bühnenwerk zu schaffen.

 

„Fidelio“ zählt zum Genre der in den unruhigen Zeiten am Anfang des 19. Jahrhunderts sehr beliebten „Rettungsoper“, in der die Spannung auf eine glückliche Lösung des dramatischen Konflikts bis zum allerletzten Moment hinausgezögert wurde. Für sein Opernprojekt wählte Beethoven einen Stoff aus der französischen opéra comique. „Léonore ou L’amour conjugal“ hieß das sehr erfolgreiche Libretto, das Jean Nicolas Bouilly 1798 für den Komponisten Pierre Gaveaux verfasst hatte. Ganz im Stile der Zeit wurde die Handlung der mutigen Leonore, die als Mann verkleidet in einem Gefängnis arbeitet, um ihren dort unschuldig inhaftierten Ehemann zu retten, als „fait historique“ angepriesen, als „wahre Begebenheit“. Joseph Sonnleithner, Sekretär des Wiener Hoftheaters, übersetzte und bearbeitete das französische Libretto für Beethoven.

 

Wie im französischen Original hat Beethovens Oper die Form des Singspiels: einzelne musikalische Nummern, verbunden durch Dialoge. Das blieb auch so durch die insgesamt drei Versionen der Oper, an die sich Beethoven mit drei unterschiedlichen Textbearbeitern und mit drei verschiedenen Ouvertüren immer wieder machte. Die Premiere 1805 im Theater an der Wien fiel der Besetzung Wiens durch die französischen Truppen zum Opfer. Für die Wiederaufnahme 1806 überarbeitete Beethoven die Oper grundlegend. Diesmal überwarf er sich mit der Theaterdirektion und zog das Werk selbst zurück. Erst 1814 gab es im Wiener Kärntnertortheater die nächste Chance für das Werk, wieder mit einschneidenden Umarbeitungen, diesmal aber mit durchschlagendem und dauerhaftem Erfolg, der zum Rang einer der berühmtesten Oper in deutscher Sprache führte. Beethoven nannte seine Oper „Leonore“, jedoch lief schon die Uraufführung der ersten Fassung unter dem Titel „Fidelio“.

 

Beethoven erzählt in seinem musikdramatischen Werk von der schier unglaublichen Tat Leonores, die sich unter größten Gefahren und Anstrengungen incognito als Mann (unter dem Namen Fidelio) das Vertrauen des Kerkermeisters Rocco erwirbt und auf diese Weise zu ihrem geheim inhaftierten Ehemann gelangt. Unter Einsatz ihres Lebens rettet sie ihn vor dem sicheren Tod. Aber auch dies wäre wohl nicht geglückt, wenn nicht im entscheidenden Moment der Minister Don Fernando zur Visite erschiene und die Machenschaften des grausamen Gouverneurs Don Pizarro aufdeckte. Doch Leonores Einsatz im Namen der Liebe weckt im Gefängnis nicht nur Vertrauen, sondern auch wiederum Liebe: Marzelline, Roccos Tochter, verliebt sich in Fidelio/Leonore und gibt ihrem Verehrer Jaquino den Laufpass, um Fidelio heiraten zu können. Auch um dieser heiklen Lage zu entgehen, muss Leonore schnell handeln.

 

Leonore, die erst im Kerker mit Sicherheit sagen kann, dass der geheime Gefangene tatsachlich ihr vermisster Gatte Florestan ist, kommt zur entscheidenden Erkenntnis: „Wer du auch seist, ich will dich retten.“ Nicht die Person ist mehr das Entscheidende, sondern die Tat und das Ziel: Die Befreiung eines Menschen als Akt der Humanität und die Beseitigung von Willkür. In diesem Sinne ist Beethovens „Fidelio“ visionär: die Oper zeigt die Vision einer gerechten Welt, in der sich Liebe, Treue und Zuversicht durchsetzen, und die auf Freiheit und Brüderlichkeit aufgebaut ist. „Fidelio“ wird in Beethovens visionärer Kraft zu einer zeitlosen Parabel. Nicht nur die „Gefangenen“, auch die Hauptrollen, vom Gefängnis-Pförtner bis hinauf zum Minister stecken zu Beginn in selbstauferlegten oder aufgezwungenen Mustern fest. Leonores Tat hebt alles Vorstellbare aus den Angeln.

 

Jedoch – in welche Zukunft wird uns das grandiose Chorfinale der Oper führen? Während vor allem im zweiten Teil der Oper das dramatische Element den musikalischen Fortgang bestimmt, nimmt sich Beethoven auch viel Raum für die Schilderung der einzelnen Charaktere, ihrer Wünsche, Hoffnungen und Gedanken – ein Höhepunkt ist das berühmte Quartett Nr. 4. Mir ist so wunderbar – , ebenso wie für atmosphärische Musikalisierung der Verzweiflung und Hoffnung in Florestans Kerker.

 

Dichtung von Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke nach Jean Nicolas Bouilly

 

Musikalische Leitung Marc Piollet

Inszenierung Hans Hollmann

Bühne Hans Hoffer

Kostüme Gera Graf

Choreinstudierung Anton Tremmel

Dramaturgie Stephan Steinmetz

 

Mit: Thomas de Vries (Don Fernando), Joachim Goltz (Don Pizarro), Thomas Piffka (Florestan), Sinéad Mulhern (Leonore), Bernd Hofmann, Hye-Soo Sonn (Rocco), Evgenia Grekova, Sharon Kempton (Marzelline), Jonas Gudmundsson (Jaquino), Patrick James Hurley, Kyoung-Soon Kim (1. Gefangener), Jos Hendrix, Martin Stoschka (2. Gefangener), N.N. (Marzelline als Greisin)

 

Orchester, Opernchor, Extra-Chor

 

 

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