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Hamlet als Studentenfutter

Ein Abend bei den Shakespeare-Festspielen im Globe Theater Neuss

Seit 1991 steht auf der Neusser Rennbahn, umrahmt von Bäumen, ein Nachbau von Shakespeares Globetheater. Jedes Jahr werden dort mit einem sommerlichen Festival die unvergänglichen Stücke des elisabethanischen Weltgenies zum Leben erweckt. Eingeladen werden Inszenierungen aus vielen Ländern, ein Schwerpunkt sind Aufführungen in Shakespeares Originalsprache. Theater authentisch und hautnah erleben, das können die Zuschauer auf den 500 Plätzen im Rundbau des Globe Neuss. Sie nehmen dieses Angebot erfreulich zahlreich in Anspruch. Dieses Jahr 2006 dauert das Festival vom 20.Juli bis zum 19. August. Truppen aus New York, Cardiff, Colchester, Seoul und Posen wurden eingeladen, die Berliner und Bremer Shakespeare Companys, und das Landestheater Neuss steuert „Wie es Euch gefällt“ als Heimspiel bei.

Für den 5. und 6. August wurde die Bayerische Theaterakademie August Everding mit ihrer „Hamlet“-Version aufgeboten, die letztes Jahr mit dem 3. Jahrgang des Studiengangs Schauspiel von Schulleiter Jochen Schölch einstudiert worden war.

Jochen Schölchs Ehrgeiz erstreckt sich offensichtlich nicht nur auf die möglichst gute Ausbildung seiner Studenten, sondern auch darauf, als Regisseur von sich reden zu machen. Er verhackstückte das großartige Stück um Prinz Hamlets schwierige Rache an den Menschen, die den Tod seines Vaters auf dem Gewissen haben, zu einer fetzigen Kurzfassung für 7 Darsteller. Dabei dezimierte er ausgerechnet auch das wunderbare Theater im Theater und strich Hamlets zeitlos-gültige Rede an die Schauspieler.

Dafür durften die Mädchen und Jungs besonders im ersten Teil ausgiebig angloamerikanische Songs von heute in Mikrofone röhren oder hauchen, wie das in modernen Klassikerinszenierungen so Brauch ist. Oder war. Denn die Welle ebbt ja im „großen“ Theater schon wieder ab. Überhaupt waren in dieser angestrengten, mit formalen Überdrehungen befrachteten Inszenierung viele Modernismen von gestern zu erkennen. Die vier jungen Männer zeigten sich mit ihren schwergewichtigen Rollen hoffnungslos überfordert. Die viel begabteren drei Mädchen schafften zarte Annäherungswerte. Eines davon spielte den Hamlet und mühte sich redlich mit dieser Wahnsinns-Aufgabe, die selbst für eine erfahrene Schauspielerin eine schwer zu bewältigende Herausforderung wäre. So schleppte sich der Abend dahin. Erst gegen Ende, als nach Ophelias Tod der große Showdown begann, wurde die Spielwiese für Momente zum Spannungsfeld.

Gegen all das ist nichts einzuwenden, wenn es sich im Rahmen einer Hochschule abspielt. Die Frage stellt sich, ob es bei einem Festival mit professionellen Truppen und zu entsprechenden Eintrittspreisen gezeigt werden sollte. Man könnte es doch auch als Schulprojekt ankündigen und entsprechend günstiger anbieten. Das Publikum schien allerdings solche Bedenken nicht zu teilen. Es bedankte sich bei den jugendlichen Schwerarbeitern mit starkem Applaus.

Vorstellungen am 5. und 6. August 2006

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