Seine Verstümmelung ist eine körperliche und seelische, niemand außer seiner Frau Grete weiß von seiner Not. Auch Grete kann seine Ängste nicht zerstreuen, irgendwann lässt sie sich mit Paul Großhahn ein und wird schwanger. Hinkemann nimmt indessen heimlich eine entwürdigende Arbeit auf dem Rummel an, um seiner Frau etwas bieten zu können. In der Kneipe gerät er in eine politische Diskussion und erkennt, dass nichts die existenzielle menschliche Not je lindern wird: »Da wo eure Heilmittel aufhören, fängt unsere Not erst an.«
Hinkemann ist eine moderne Woyzeck-Figur. Toller zeigt eine verrohte Gesellschaft, deren Alltag längst von den Mechanismen des Krieges durchdrungen ist. In dieser von Armut, Arbeitslosigkeit und ideologischen Konflikten geprägten Atmosphäre beleuchtet er den Absturz eines Einzelnen, dessen Nöte weder von politischen noch sozialen Programmen aufgefangen werden.
Der Dichter und Revolutionär Ernst Toller zählte in den 20er Jahren zu den bekanntesten und bedeutendsten deutschen Dramatikern. »Ich fasse das Leid nicht, das der Mensch dem Menschen zufügt. Würden Täter und Tatlose sinnlich begreifen, was sie tun, der Mensch wäre nicht des Menschen ärgster Feind«, schrieb er während seiner fünfjährigen Festungshaft, die er wegen seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik verbüßen musste. 1922 entstand »Hinkemann«, damals erkannte der 29-jährige Toller »schmerzhaft die tragische Grenze aller Glücksmöglichkeiten sozialer Revolution«. Bis zu seinem Selbstmord im Exil 1939 setzte er sich unermüdlich gegen den Faschismus und für seine humanitären und sozialistischen Ideale ein.
Regie führt Marc Prätsch, der in der vergangenen Saison mit großem Erfolg Shakespeares »Romeo und Julia« im Ballhof eins inszenierte. Im Opernhaus brachte er die Rap-Oper »Culture-Clash: Die Entführung« auf die Bühne.
Mit Christian Erdmann, Wolfgang Michalek (Hinkemann), Tim Porath, Torsten Ranft, Marie Scholastique, Martina Struppek, Konstantin Buryan (Akkordeon)
Regie Marc Prätsch ·
Bühne Philipp Nicolai ·
Kostüme Marysol del Castillo, Eva Krämer ·
Musik Sven Kaiser ·
Dramaturgie Beret Evensen