In Kehraus um St. Stephan treffen all jene aufeinander, die durch Habgier, Eigennutz und Rücksichtslosigkeit wesentlich zu dem sozialen Kollaps beigetragen haben, der schließlich dem Faschismus den Weg ebnen sollte: verarmte Aristokraten und gewissenlose Industrielle, Offiziere auf der verzweifelten Suche nach einer neuen Identität in einem Staat, der nicht mehr der ihre ist, schmierige Typen, die für Geld alles machen würden, und natürlich das junge Ding, das sich nach oben schläft. Kehraus um St. Stephan thematisiert den Todestanz der eben untergegangenen Donaumonarchie – und Krenek zelebriert ihn mit einem "letzten Wiener Walzer".
1930 komponiert und erst 1990 in einer Produktion der Wiener Staatsoper uraufgeführt, ist Kehraus um St. Stephan eines jener Werke, das hauptsächlich aus politischen Gründen in den Schubladen der Archive verschwunden ist. Entstanden kurz vor dem Kollaps der Weimarer Republik, stieß Kreneks gewagte Satire auf breite Ablehnung. Die Angst, damit das Publikum zu beleidigen, war offenbar zu groß.
Dabei hatte Ernst Krenek mit Kehraus um St. Stephan ganz andere Absichten: "Die Idee, meiner geliebten Heimat in Form eines Bühnenwerks ein Denkmal zu setzen und meiner Ergebenheit Ausdruck zu verleihen, hatte bereits eine Zeitlang in mir gearbeitet", schreibt er in seinen 1952 vollendeten, aber erst 1998 erschienenen Memoiren Im Atem der Zeit. "Angefangen hatte alles damit, dass ich auf einer Straßenbahnfahrt ein Gespräch mit anhörte, in dem ein Mann einem anderen eine Geschichte erzählte, die er sehr komisch fand, nämlich, dass einer seiner Bekannten versucht hatte, sich umzubringen, indem er sich an einem Baum erhängte, und als man ihn gerade noch rechtzeitig abschnitt, war er mit dem Gesicht in eine Pfütze neben dem Baum gefallen, so dass er beinahe ertrank, ehe er schließlich gerettet wurde. Dieser Vorfall kristallisierte sich in meinen Gedanken zu einer Szene, die ich für eine eindrucksvolle Anfangsszene für die neue Oper hielt."
Was den musikalischen Stil des Kehraus betrifft, weist Krenek selbst auf seine Rückgriffe auf die Populär- und Unterhaltungsmusik hin: "Man kann sich leicht vorstellen, dass ich mit großer Begeisterung an die Komposition heranging, denn es (das Libretto, Anm.) enthielt alle Elemente, an denen ich aufs Lebhafteste interessiert war. Auch den Stil der Musik kann man sich denken. Es war der romantische Stil, mit vielen Elementen populärer Musik, wie es dem Charakter des Themas angemessen war. (...) Die schlichten, populären Melodien schienen mir das Beste der Partitur zu sein."
Ernst Kreneks Kehraus um St. Stephan ist ein Werk von schlechthin visionärer Größe: Es zeichnet eine skrupellose, machtgeile, ausbeuterische Gesellschaft des Herbstes 1918 nach, erfüllt von politischem Zynismus, sozialer Gleichgültigkeit, grenzenloser Oberflächlichkeit und rücksichtsloser Geldsucht. Eigenschaften, wie sie in dieser Ausschließlichkeit und Intensität, als Reinkultur sozusagen, eigentlich erst jetzt Realität geworden sind. Was Krenek damals als Satire bezeichnet hat, liest und hört sich heute als dramatisierte Dokumentation eines real existierenden Materialismus, den wir selbst als die „Beautiful People of the Western World“ im Global Village leben.
Inszenierung und Ausstattung von Kehraus um St. Stephan liegen beim Wiener Ehepaar Michael und Nora Scheidl, die ihr Talent für bissige Satire bereits mit Franzobels Der siebte Himmel in Vierteln im Rahmen von Kunst aus der Zeit 2005 unter Beweis gestellt haben. Am Pult des Symphonieorchesters Vorarlberg steht der amerikanische Dirigent John Axelrod.
Musikalische Leitung: John Axelrod
Inszenierung: Michael Scheidl
Bühne und Kostüme: Nora Scheidl
Licht: Markus Holdermann
Chorleitung: Wolfgang Schwendinger
Symphonieorchester Vorarlberg
Kornmarktchor
u.a. mit:
Othmar Brandstetter:
Roman Sadnik
Sebastian Kundrather:
Albert Pesendorfer
Ferdinand:
Christian Drescher
Maria:
Andrea Bogner
Oberwachmann Sachsl:
Gerhard Ernst
Alfred Koppreiter:
Sebastian Holecek
Schwoistaler/Erich Atma Rosenbusch/Moritz Fekete:
Michael Kraus
Emmerich von Kereszthely:
Wolfgang Gratschmaier
Elisabeth:
Elisabeth Flechl
Nora Rittinghaus:
Elisabeth Wolfbauer
Herr Kabulke:
Lars Woldt
Koproduktion mit der Volksoper Wien und dem Luzerner Theater
Weitere Aufführungen:
1. 2. und 5. August - 19.30 Uhr
Preise:
EURO 60/45/25
CHF 103/78/44