Schöne Frauen mit ausschweifendem Lebensstil gehören auch heute zum alltäglichen Lebens- bzw. Medienbild. Ist nur deshalb die Geschichte der Kurtisane Violetta keine historische? Manche/r hat vielleicht Lust, darüber nachzudenken, wer heute und aus welchen Gründen nicht zu bestimmten Gesellschaftsschichten gehören kann oder will – aus Überzeugung und nicht insgeheim darauf wartend, doch noch schnell auf den Zug der den gesellschaftlichen Ton angebenden aufzuspringen.
»La traviata« ist wahrscheinlich neben Mozarts »Zauberflöte« die beliebteste aller Opern. Gern wird sie umgangssprachlich auch »Die Kameliendame« nach dem deutschen Titel des Schauspiels von Alexandre Duma d. J. genannt, auf dem das Libretto größtenteils basiert. Übersetzt man den Verdischen Titel, wäre die Rede von »Die Gefallene« oder, wie Verdi die Titelfigur über sich selbst sagen lässt, »Die vom rechten Weg Abgekommene«.
Eigentlich wollte Verdi seiner dritten Oper der Erfolgstrilogie (trilogia popolare) nach «Rigoletto» und »Il trovatore« den Titel »Amore e morte« geben. »Liebe und Tod« – unzertrennlich in der Opernliteratur schlechthin. Selbst dort, wo sich noch alles dem Leben und damit einem als »gut« befundenen Ausgang zuwendet, gibt es Situationen, in denen die Opernhelden und -heldinnen am Rande des Todes wandeln.
Warum blieb Verdi nicht bei dem ursprünglich gedachten Titel? Weil das Sujet dem Entstehungsjahr 1852/1853 zu ungeschminkt nahe kam. Die Titelheldin Violetta Valéry hat, wie Dumas Titelheldin Marguerite Gautier, Ähnlichkeit mit einer damals bekannten Prostituierten. Mehr als zwei Jahrzehnte, bevor die Zigarettenarbeiterin Carmen die Bühne betritt, ist Violetta da, erkennbar als Kurtisane in der Gesellschaft, die großzügiges Amüsement und engen Moralkodex lebt.
Während Dumas „Kameliendame“ mit sofortigem Erfolg das Licht der Welt erblickte, traf Verdis Oper zur Uraufführung am 6. März 1853 am Teatro La Fenice Venedig auf Ablehnung. Überliefert ist, dass dies an der sehr beleibten Interpretin der Titelpartie (Fanny Salvini-Donatelli) – die Herren, und nicht nur die, lachten während der Vorstellung – und einem überwiegend schlechten Solistenensemble lag. Zur Neuproduktion am Teatro di San Benedetto Venedig, die am 6. Mai 1854 herauskam, überarbeitete Verdi die Partitur und hatte eine ausgezeichnete Solistenbesetzung. Diesmal wurde die Premiere ein Erfolg.
Das Teatro La Fenice, das Uraufführungstheater, an dem der Komponist auch Regie führte, verlegte die Handlung in die Zeit um 1700. Bald eroberte sich das Werk die italienischen Bühnen, zunächst zensiert und unter dem Titel »Violetta«.
Die von Verdi und seinem Librettisten Francesco Maria Piave vorgenommene Konzentration der Handlung auf Violetta, Alfredo und Giorgio macht u.a. auch den Blick frei auf den »menschlichen Faktor« im Funktionieren eines gesellschaftlichen Systems. Die Kurtisane ist eine Dame, die über eine gewisse erotische Vulgarität verfügt, und die längst aufgegeben hatte, an so etwas wie Liebe zu glauben. Alfredo geht mit Violetta in die Einsamkeit, auf eine Insel des Glücks, und damit sozialen Auseinandersetzungen vermeintlich aus dem Weg. Violettas Leben ist dadurch auch in gewisser Weise abgeschnitten. Giorgio mischt sich mit Standesdenken und herrschenden Moralbegriffen folgenreich in die Beziehung ein. Das gelingt ihm letztendlich auch, weil Violetta begreift, dass es für sie nur das eine Leben in ihrer Gesellschaft geben kann. Und sie ist sehr krank, einsam, und lässt keinen Zipfel dessen, was das Leben ihr bieten kann, aus. Und tut es durch Alfredo zwischenzeitlich doch. Wenn er und Giorgio am Schluss auf die Sterbende treffen, gibt es eigentlich kein kleinbürgerliches oder Hollywood-Happy End, sondern für einen Moment die Utopie, das Leben auch freier gestalten zu können, dass Liebe in der Welt sein könnte. Das System, in dem sie alle zuhause sind und in dem sie ihre Chancen suchen, ist kurz außer Kraft gesetzt.
Auf Grund des vorherrschenden Dreivierteltaktes wird die Oper auch gern eine »Walzeroper« genannt und ist für die einen zum Dahinschmachten, für die anderen vor dem Hintergrund eines Tanzes auf dem Vulkan ein Kammerspiel um bekannte Schmerzen, zugefügt von unerfüllten Lebensträumen.
Die Kamelie, die Violetta Alfredo bei der ersten Begegnung reicht, blüht einen Tag. In der Oper dauert beider Glück bis zur rigorosen Trennung fünf Monate. Als Alfredo zurückkehrt zu Violetta, ist es zu spät.
Die Konventionen haben triumphiert. Sie sind jedoch keine von außen hereinbrechende Störung in eine wunderbare Liebesbeziehung. Sie pulsieren in den Figuren selbst, sind ihnen wie eine Haut, die nicht abgelegt werden kann.
Nach einigen Jahren der Abstinenz ab 2. Oktober 2009 wieder auf der Bühne der Semperoper! »La traviata« gehört international zum Kernbestand des Repertoires großer wie kleiner Opernbühnen. Mit der Inszenierung von Verdis »La traviata« durch Andreas Homoki ist das italienisches Opernangebot der Sächsischen Staatsoper um ein Werk reicher und die Verdische »Erfolgstrias« (trilogia popolare) komplett.
Musikalische Leitung Fabio Luisi
Inszenierung Andreas Homoki
Bühnenbild Frank Philipp Schlößmann
Kostüm Gideon Davey/ Frauke Schernau
Licht Fabio Antoci
Choreinstudierung Pablo Assante
Dramaturgie Ilsedore Reinsberg
Violetta Valery Rebecca Babb Nelsen
Alfredo Germont Wookyung Kim
Flora Bervoix Angela Liebold
Giorgio Germont Roberto Servile
Gaston Tom Martinsen
Baron Douphol Christoph Pohl
Marquis D’ Obigny Sangmin Lee
Doktor Grenvil Matthias Henneberg
Giuseppe, Diener Violettas Tobias Schrader
Diener Floras Andreas Heinze
Dienstbote Ilhun Jung* *Mitglied Junges Ensemble
Es singt der Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden
Es spielt die Sächsische Staatskapelle Dresden