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Lachend kann man ernsthaft sein

Lessings "Minna von Barnhelm" am Düsseldorfer Schauspielhaus

Lessing war zu seiner Zeit ein junger Wilder. Ein Aufklärer, Rebell und Pionier. Er war der erste wirkliche Dramatiker Deutschlands. Er schrieb die erste grosse deutsche Komödie, die immer eine herrlichsten bleiben wird: 'Minna von Barnhelm'.

Sie entstand aus einem todtraurigen Dilemma, in das Lessing geraten war. Er hasste Fürstenwillkür, er hasste Nationalismus, er hasste den Krieg. Trotzdem hatte er sich aus Geldnot als Sekretär des Generals Tauentzien in den siebenjährigen Krieg hineinziehen lassen. Jahrelang lungerte er mit viel Zeit fürs Spielen und Trinken in der Kriegsverwaltung in Breslau herum, oft übermannten ihn Zorn und Verzweiflung.

'Oh meine Zeit, meine Zeit, mein Alles, was ich habe - sie so, ich weiss nicht was für Absichten aufzuopfern. Ich habe mit diesen Nichtswürdigkeiten nun schon mehr als drei Jahre verloren. Nur bald Friede, oder ich halte es nicht mehr aus!' Das schrieb er an einen Freund - und hielt trotzdem bis zum Kriegsende durch.

Aus dieser Bedrängnis entstand 'Minna von Barnhelm'. Er wählte die schwebende Komödienform und machte mit der Zauberkraft seiner Genialität gerade darin die äusseren und inneren Verheerungen sichtbar, die der Krieg anrichtet. Seine Titelheldin ist zudem die erste moderne Frau der deutschen Dichtung. Weil sie selbständige Entscheidungen trifft. Sie bringt ihren Kopf und ihr Herz gleichermasssen ins Spiel. Sie verändert ihren störrischen, fast liebesunfähig gewordenen, in starren Moralbegriffen verkrusteten Geliebten Tellheim, sie setzt ihm zu mit den gewaltlosen Mitteln ihrer Schlauheit, sie führt ihn sanft und energisch zurück in eine zivile Gesellschaft. Die Absurdität des Kriegs wird offen gezeigt und für einmal durch die Liebe überwunden.

Kein Wunder, dass das Stück in Preussen jahrelang mit dem Bann des Aufführungsverbots belegt war.

Heute ist Lessings Minna von Barnhelm, ist das bittere 'Soldatenglück' 240 Jahre alt und, wie sich durch die Zeiten erwiesen hat, von zeitloser Frische und Aktualität.

Im Düsseldorfer Schauspielhaus wurde das 'Lustspiel' jetzt von einem jungen österreichischen Regisseur auf die Bühne gebracht, so jung wie Lessing war, als er das Stück ersann. Alexander Kubelka und sein Team liessen die Sprache in ihrer funkelnden Kristallklarheit unangetastet. Ansonsten haben sie Minna energisch in unsere Jugend-Spielkultur geliftet, mit allem was dazugehört. Klamotten im Video-Clip-Look, Leuchtschrift, Monitore, Mikrofone, amerikanistischer Sound. Die Bühne ist eine schicke Baustelle mit offenem Keller, in den man sich herrlich fallen lassen kann und aus dem die Lifte heraufsurren. Minnas Hotelzimmer ein durchsichtiger, beweglicher Plexiglaskasten, Big Brother lässt die Voyeure grüssen

Wäre Lessing heute ein Twen, er hätte seinen Spass daran. Und er würde feststellen, dass der tiefernste Hintergrund seiner Komödie trotzdem zur Geltung kommt: die scheussliche Sinnlosigkeit des Kriegs und der damit verbundenen Ehrbegriffe.

Auch die Schwierigkeit von Mann und Frau, miteinander klarzukommen. Und das fast unverhoffte Glücksgefühl, wenn ein Problem endlich gelöst ist.

Er würde die schöne, starke, kesse, tiefgründige Myriam Schröder als Minna ebenso bewundern wie die grimmig-freche Franziska der Birgit Stöger, den vorlauten Wirt (Winfried Küppers), und Tellheims Getreue Werner und Just (Thomas Wittmann und Alexander Ebeert). Er würde die Verzweiflung seines Tellheims aus dem spröden Spiel von Klaus Rodewald herausspüren, die Verletztheit, die Sturheit, die Sehnsucht nach Frieden. Vielleicht würde er wie ich nur bedauern, dass Tellheims wundervoller Rechtfertigungsmonolog am Schluss gestrichen und der modernen Spasskultur zum Opfer gebracht wurde, die sich nicht mit kopflastigen Erklärungen plagen will.

Ansonsten würde er mit dem Publikum zusammen begeistert applaudieren im beglückenden Bewusstsein der Tatsache, dass 'Minna von Barnhelm', gut inszeniert und gespielt, in jeder Verkleidung taufrisch und quicklebendig sein wird. Auch in vielen Jahren noch, wenn unsere Enkel und Urenkel die Minna für ihre eigene Zeit auf die Bühne bringen.

Gotthold Ephraim Lessings 'Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück' im Düsseldorfer Schauspielhaus, grosses Haus, Premiere 16. Mai 2000

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