Er ist gekennzeichnet von extremen Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstzweifeln des Versicherungsangestellten und Schriftstellers, Emanzipationsversuchen und Unterwerfungsangeboten des Junggesellen, beinhaltet aber auch messerscharfe Anklagen gegen die Übermacht des patriarchalischen Vaters. Dieser Brief ist eines der erschütternsten Dokumente über den Menschen Franz Kafka und gleichzeitig ein Schlüsseltext zu seinem Werk. Schon in seiner frühen Erzählung „Das Urteil“ setzt sich Kafka mit diesem Konflikt auseinander, der in vielen seiner Werke auftaucht. Kafka ging jedoch über die psychologische Ebene der Vater-Sohn-Problematik hinaus und beschrieb Machtstrukturen auch in gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen. „Liebster Vater, du zerreißt mich wie einen Fisch“ ist eine Montage von Kafka-Texten, in dessen Zentrum der „Brief an den Vater“ steht. Passagen aus dem Brief werden von kurzen Erzählungen, Tagebuchnotizen und Briefzitaten flankiert, die zwischen Verzweiflung und Komik, Angst und Widerstand, Traum und Realität von Kafkas Gedankenwelt erzählen. Seine Texte öffnen überraschende Perspektiven auf die Welt und faszinieren gerade dadurch, weil sie nicht vollständig erfassbar sind und dennoch einzigartige Bilder unserer Zeit und Existenz beinhalten. Am 3. Juni 1924 verstarb Franz Kafka im Alter von 40 Jahren an einer Lungenkrankheit. Den „Brief an den Vater“ fand man in seinem Nachlass – er hat ihn nie abgeschickt, der Vater hat ihn nie gelesen.
Inszenierung: Solvejg Bauer, Reiner Müller
Ausstattung: Michaela Springer
Es spielen: Nadine Ehrenreich, Roman Hemetsberger, Jürgen Lingmann