Rollenauswahl:
Sir Bleoberis in „Merlin oder Das wüste Land“ von Tankred Dorst
Emile, Blumenhändler in „Ein Klotz am Bein“ von Georges Feydeau
Der Stationsvorsteher in „Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow
Hanfriede in „Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist
3. Bürger, Bürger, Bürger am Fenster in „Faust“ von Johann Wolfgang Goethe
Ein Mann in „Bauerntheater“ von Franz Xaver Kroetz
Hennings in „Prinz Friedrich von Homburg“ von Heinrich von Kleist
Ober, Der Kümmerliche in „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ von Bertolt Brecht
Nichts als stumme Auftritte, Ein-, Zwei-, Drei-, Vier-, Fünf-Satz-Rollen im Dutzend – und keine gespielt wie eine Dutzendrolle. Jede Aufgabe heiter angenommen und ernst genommen. Darum ist Mathias Hell mehr als nur ein kleiner gutverträglicher böhmischer Knödel: weil er sich nicht wichtig macht, weil er nicht mehr Platz beansprucht, als die Figur braucht – den aber ausfüllt. Weil keine Figur unter seiner Würde ist, verteidigt er auf der Bühne die Würde noch des Geringsten, Beiläufigsten, Nebensächlichsten. Kein Mensch ist zu klein, als dass er nicht verdiente, dass sich einer seiner annähme, mit allem, was er hat und kann. So scheint in Hells Verständnis vom Beruf gerade in seiner selbstverständlichen Professionalität ein Schimmer dessen auf, was die moralische Anstalt so gerne als Ethos reklamiert, und wovon bei manchem Hauptrollenspieler oft so wenig zu sehen ist. Pathos ist Hell fremd, und es passt auch nicht zu ihm. Dennoch kommt man hier um das Wort Demut schwer herum: vor dem Beruf, vor der Aufgabe, vor der Sache, die mehr meint als nur und einzig Selbstverwirklichung. Demut klingt heute allerdings schon ziemlich wie ein Fremdwort; aber manchmal braucht es Fremdwörter, um eine Sache genau zu benennen … Was andererseits das Theater betrifft, so kann es sich zu einem Hell nur gratulieren: wie einen „Puntila“auf die Bühne bringen, wenn kein Ober ihn bedient, wie eine „Möwe“, wenn kein Jakov ihr die Bühne baut. Kein „Prinz von Homburg“ ohne Hennings, der der Charge nur entgeht, wenn er nicht „spielt“ – das täte eine Statist – sondern einfach nur sein Gesicht, seinen Körper, seine Lebenserfahrung, seinen ganzen Menschen der Szene und den Partnern zur Verfügung stellt. Und so messen sich Rang und Stärke eines Ensembles nicht allein daran, wer den König spielt, sondern wer ihm das Wasser reicht: Er muss ihm das Wasser reichen können.
(Aus »Die Münchner Kammerspiele Mit Dieter Dorn und Michael Wachsmann«)