Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
"Nackter Wahnsinn – Was ihr wollt" nach Shakespeare/Anderen/Hartmann, SCHAUSPIEL LEIPZIG"Nackter Wahnsinn – Was ihr wollt" nach Shakespeare/Anderen/Hartmann,..."Nackter Wahnsinn – Was...

"Nackter Wahnsinn – Was ihr wollt" nach Shakespeare/Anderen/Hartmann, SCHAUSPIEL LEIPZIG

Premiere 19.11., 19.30 Uhr, Centraltheater. -----

William Shakespeare hat in seiner klugen Komödie WAS IHR WOLLT die Frage, ob wir alle nur in der Verstellung zum eigenen Wesenskern vorzudringen im Stande sind, spielerisch elegant mit einem klaren „Jein“ beantwortet.

Seine Gestrandeten, Liebespaare und kommentierenden Witzfiguren probieren alle immer sich selbst – im Gegenüber – aus. Ihre „Rolle“ komponiert das unbekannte Ich.

 

Was macht ein Schauspieler? Er verstellt sich in Menschen hinein, die man dann „Figur“ nennt. Er spielt seine Rolle, mehr oder weniger überzeugend, denen vor, die das für bare Münze nehmen sollen. Damit leistet er entfremdete Arbeit, kapitalisiert also seine sogenannte Kunst und scheitert damit zwangsläufig irgendwann unter tosendem Beifall an sich selbst, denn er ist ja in Wirklichkeit ein Anderer. Der Künstlertod auf der Bühne beweist einmal mehr, dass der Kapitalismus zuallererst vom Kapitalismus selbst besiegt wird. So weit Karl Marx, Das Kapital. Und er beweist nebenbei, dass der einzig angemessene Ausdruck des mit dem Herrschaftssystem Schritt halten könnenden Kapitalismusmenschen der Schauspieler sein muss.

 

Während dies Scheitern im wirklichen(?) Leben wenig Komisches an sich hat, lacht der Zuschauer beim Künstlertod Tränen. All das zeigt, dass es allein auf die Rolle ankommt, die wir spielen – egal ob wir „da oben“ oder „da unten“ sitzen. Die Rolle zu spielen ist schwer. Noch schwerer ist, ihr zu entgehen. Wenn irgendwo da draußen ein Selbst ist, das mir gehört und sich zu verwirklichen lohnt: Wo ist dieses Selbst hin? Kommt es eines Tages wieder? Was in uns ist es dann, das fühlt, liebt und am Ende stirbt? Also sind all das nur Rollen, die mich jemand zu spielen zwingt?

 

Ob der Schauspieler sich selbst oder den Anderen zu spielen vorgibt, beide Zustände sind gefährliche Hochseilakte waghalsiger Artisten, die entweder an sich oder am Dargestellten verzweifeln müssen, weil sie eben immer nur das Andere erlangen können, das also, was sie gar nicht wollen. Wie im richtigen Leben besteht die Identität des Künstlers damit im permanenten Rollenwechsel (siehe oben). Dazwischen aber liegt jeweils der Verrat des jeweils Anderen, und damit sind wir bei der wahren Erotik des Theaters angekommen.

 

Ein Schauspielerensemble probiert Shakespeares WAS IHR WOLLT. Das ist naturgemäß nackter Wahnsinn und muss scheitern, wenn alle allen anderen einschließlich sich selbst ein X für ein U vormachen wollen. Aber: Aus dem Geist der feudalen Unterhaltungsschleuder „Revuetheater“ findet der Künstler als Vorreiter des kapitalistischen Rollenspiels doch die Gelegenheit, sein Tun angemessen zu reflektieren und die Kunst-Kampfzone weidlich auszuweiten. Als humorvolles Gegenstück zur Reise nach innen mit Fanny und Alexander von Bergman. Hartmann, Shakespeare, Andere und das Ensemble bastardisieren lustvoll das Scheitern und den Triumph von Theater als Satyrspiel: Eine Eröffnung.

Uwe Bautz

 

mit: Manolo Bertling, Susanne Böwe, Maximilian Brauer, Artemis Chalkidou, Edgar Eckert, Sarah Franke, Manuel Harder, Matthias Hummitzsch, Andrej Kaminsky, Thomas Lawinky, Hagen Oechel, Barbara Trommer, Birgit Unterweger, Cordelia Wege

 

Regie und Bühne: Sebastian Hartmann

Kostüme: Adriana Braga Peretzki

Musik: Steve Binetti

Chorleitung: Walter Zoller

Licht: Lothar Baumgarte

Dramaturgie: Uwe Bautz

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 16 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

ZAUBER DER PANFLÖTE --- Neue CD "Impressions" bei Dabringhaus & Grimm

Als eine "Liebe auf den ersten Blick" bezeichnet Sebastian Pachel seine erste Begegnung mit der Panflöte, wovon man sich bei dieser Einspielung überzeugen kann. Für die vorliegende Aufnahme…

Von: ALEXANDER WALTHER

IM GESPENSTISCHEN NACHTZIRKUS --- "Das Rheingold" von Richard Wagner in der Staatsoper Stuttgart

Stephan Kimmig verlegt die Handlung von Wagners "Rheingold" in einen unheimlichen Nachtzirkus. Das merkt man schon gleich zu Beginn, wenn die Rheintöchter so ganz ohne Wasser Alberich verführen und…

Von: ALEXANDER WALTHER

Großstadtklänge --- „Surrogate Cities“ von Demis Volpi in der deutschen Oper am Rhein

Auf der leeren Bühne finden sich nach und nach das Orchester, die Tänzer und Tänzerinnen ein. Die Solo Posaune setzt ein und der Zuschauer wird in den Trubel der Straßen einer Großstadt versetzt. Zum…

Von: von Dagmar Kurtz

RÄTSEL UM ERLÖSUNG --- Wiederaufnahme von Richard Wagners "Götterdämmerung" in der Staatsoper STUTTGART

Die verdorrte Weltesche spielt bei Marco Stormans Inszenierung der "Götterdämmerung" von Richard Wagner eine große Rolle. Gleich zu Beginn zerfällt die Wahrheit in seltsame Visionen, der Blick der…

Von: ALEXANDER WALTHER

NICHT AUF DEN LITURGISCHEN BEREICH BESCHRÄNKT --- Bruckners e-Moll-Messe und Motetten bei BR Klassik

Anders als die frühe d-Moll-Messe blieb die 1866 in Linz komponierte e-Moll-Messe nicht auf den liturgischen Bereich beschränkt. Die alten Kirchentonarten stehen bei der Messe in e-Moll von Anton…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑