Seine Gestrandeten, Liebespaare und kommentierenden Witzfiguren probieren alle immer sich selbst – im Gegenüber – aus. Ihre „Rolle“ komponiert das unbekannte Ich.
Was macht ein Schauspieler? Er verstellt sich in Menschen hinein, die man dann „Figur“ nennt. Er spielt seine Rolle, mehr oder weniger überzeugend, denen vor, die das für bare Münze nehmen sollen. Damit leistet er entfremdete Arbeit, kapitalisiert also seine sogenannte Kunst und scheitert damit zwangsläufig irgendwann unter tosendem Beifall an sich selbst, denn er ist ja in Wirklichkeit ein Anderer. Der Künstlertod auf der Bühne beweist einmal mehr, dass der Kapitalismus zuallererst vom Kapitalismus selbst besiegt wird. So weit Karl Marx, Das Kapital. Und er beweist nebenbei, dass der einzig angemessene Ausdruck des mit dem Herrschaftssystem Schritt halten könnenden Kapitalismusmenschen der Schauspieler sein muss.
Während dies Scheitern im wirklichen(?) Leben wenig Komisches an sich hat, lacht der Zuschauer beim Künstlertod Tränen. All das zeigt, dass es allein auf die Rolle ankommt, die wir spielen – egal ob wir „da oben“ oder „da unten“ sitzen. Die Rolle zu spielen ist schwer. Noch schwerer ist, ihr zu entgehen. Wenn irgendwo da draußen ein Selbst ist, das mir gehört und sich zu verwirklichen lohnt: Wo ist dieses Selbst hin? Kommt es eines Tages wieder? Was in uns ist es dann, das fühlt, liebt und am Ende stirbt? Also sind all das nur Rollen, die mich jemand zu spielen zwingt?
Ob der Schauspieler sich selbst oder den Anderen zu spielen vorgibt, beide Zustände sind gefährliche Hochseilakte waghalsiger Artisten, die entweder an sich oder am Dargestellten verzweifeln müssen, weil sie eben immer nur das Andere erlangen können, das also, was sie gar nicht wollen. Wie im richtigen Leben besteht die Identität des Künstlers damit im permanenten Rollenwechsel (siehe oben). Dazwischen aber liegt jeweils der Verrat des jeweils Anderen, und damit sind wir bei der wahren Erotik des Theaters angekommen.
Ein Schauspielerensemble probiert Shakespeares WAS IHR WOLLT. Das ist naturgemäß nackter Wahnsinn und muss scheitern, wenn alle allen anderen einschließlich sich selbst ein X für ein U vormachen wollen. Aber: Aus dem Geist der feudalen Unterhaltungsschleuder „Revuetheater“ findet der Künstler als Vorreiter des kapitalistischen Rollenspiels doch die Gelegenheit, sein Tun angemessen zu reflektieren und die Kunst-Kampfzone weidlich auszuweiten. Als humorvolles Gegenstück zur Reise nach innen mit Fanny und Alexander von Bergman. Hartmann, Shakespeare, Andere und das Ensemble bastardisieren lustvoll das Scheitern und den Triumph von Theater als Satyrspiel: Eine Eröffnung.
Uwe Bautz
mit: Manolo Bertling, Susanne Böwe, Maximilian Brauer, Artemis Chalkidou, Edgar Eckert, Sarah Franke, Manuel Harder, Matthias Hummitzsch, Andrej Kaminsky, Thomas Lawinky, Hagen Oechel, Barbara Trommer, Birgit Unterweger, Cordelia Wege
Regie und Bühne: Sebastian Hartmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Musik: Steve Binetti
Chorleitung: Walter Zoller
Licht: Lothar Baumgarte
Dramaturgie: Uwe Bautz