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OFFENER BRIEF VON KÜNSTLERINNEN UND KULTURSCHAFFENDEN AN DIE POLITIK UND SICH SELBST

Mit einem offenen Brief wenden sich TheatermacherInnen und Kulturschaffende aus ganz Deutschland an die Politik und machen die Abgeordneten auf die empörenden Zustände der deutschen Flüchtlingspolitik aufmerksam. In dem Schreiben fordern sie, die Einschränkung des Artikel 16 durch den sogenannten „Asylkompromiss“ von 1993 wieder rückgängig zu machen, eine menschenfreundliche Asylpolitik dringend umzusetzen und bis dahin geflüchteten Menschen in Deutschland unbürokratisch und menschlich zu helfen.

Die jüngsten Ereignisse um die besetzte Grundschule in der Ohlauer Straße in Berlin-Kreuzberg sehen die Unterzeichner nicht als lokale Eskalation, sondern als Ausdruck der skandalösen Abwesenheit einer deutschen Einwanderungspolitik. Der Brief ist an die Mitglieder des Deutschen Bundestag, an die Parlamentarier des Abgeordnetenhauses von Berlin und an die deutschen Mitglieder des europäischen Parlaments gerichtet:

 

An die Mitglieder des Deutschen Bundestages

An die Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin

An die deutschen Mitglieder des europäischen Parlaments

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit großer Scham, Empörung und Entsetzen verfolgen wir die jüngsten Ereignisse rund um die

Grundschule in der Ohlauer Straße in Berlin Kreuzberg. Inmitten der Hauptstadt eines der reichsten

Länder der Welt, das sich international als Vorbild für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sieht, ist in

kürzester Zeit ein Ausnahmezustand geschaffen worden. Gegen ihre drohende Abschiebung

protestierende Menschen werden kriminalisiert und der Presse der Zugang zu den Flüchtlingen

verwehrt.

 

Wir sehen in diesen Ereignissen keine lokale Eskalation. Das Schicksal der Betroffenen in der Ohlauer

ist mehr als ein Einzelfall. Die verzweifelt protestierenden Menschen in der Ohlauer Straßen haben unsere Solidarität, weil sie in ihrer verzweifelten Lage den Mut haben, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Sie sind zu Stellvertretern geworden für tausende andere, deren „Fälle“ nicht öffentlich werden, weil

ihre Abschiebung „planmäßig“, „reibungslos“ und „gewaltfrei“ abläuft. Sie verweisen mit ihrem Protest auf die skandalöse Abwesenheit einer deutschen Einwanderungspolitik und auf die Unfähigkeit, innerhalb der europäischen Politik eine grundlegende Debatte, jenseits von Einwanderungsverhinderung und Grenzsicherung zu führen.

 

Es erfüllt uns mit Scham, dass wir in Deutschland erneut an den Begriff der „historischen Verantwortung“ erinnern müssen. Aber offenbar ist das Bewusstsein der besonderen deutschen

Verantwortung jenseits von Gedenkfeierlichkeiten nicht verankert. Unsere Geschichte und die

Verfolgten der Gegenwart haben keine Lobby, das wird uns in diesen Tagen erneut schmerzlich

bewusst.

 

Wir fordern Sie auf, die Würde des Grundgesetzes wieder herzustellen. Am 28.6.1993 wurde durch eine empörende Fehlentscheidung das Recht auf Asyl laut Artikel 16 des Grundgesetzes für politisch

Verfolgte bis zur Unwirksamkeit eingeschränkt. Die Verpflichtung, verfolgten Menschen Schutz zu

gewähren, muss wieder uneingeschränkt gelten. Insbesondere in einem Land, das Europa mit einem

Krieg überzogen hat, das 6 Millionen Juden vernichtet hat, das bei seinem eigenen Wiederaufbau profitiert hat von der Hilfe und der Gnade der Weltgemeinschaft und nun für sich in Anspruch

nimmt, „mehr politische Verantwortung in der Welt“ zu übernehmen. Die Einschränkung von Artikel

16 des Grundgesetzes muss rückgängig gemacht werden.

 

Wir stimmen mit Navid Kermani überein, der in seiner zutiefst beeindruckenden Rede zum 65.Geburtstag des Grundgesetzes sagte, dass von einem einheitlichen europäischen Flüchtlingsrecht, mit dem 1993 die Reform begründet wurde, auch zwei Jahrzehnte später keine Rede sein könne.

„Dem Recht auf Asyl wurde sein Inhalt, dem Artikel 16 seine Würde genommen.“

 

Wir fordern Sie auf, diese Verantwortung zunächst im eigenen Land und in der Europäischen Union zu übernehmen, indem Sie im Namen der Bundesrepublik in erster Linie zum Anwalt derer werden, die sich schutz- und hilfesuchend an uns wenden. Wir sind uns im Klaren darüber, dass diese Hilfe nicht einfach ist, dass sie finanziell, logistisch und politisch eine Herausforderung ist. Wir bitten Sie aber, sich gemeinsam mit der deutschen Öffentlichkeit dieser Herausforderung zu stellen.

 

Wir fordern Sie auf, auf allen politischen Ebenen, von den Kommunen über den Bund bis zum europäischen Parlament, Ihre Verantwortung als Vertreter auch für jene wahrzunehmen, die in der

Gesellschaft keine lautstarken und finanzkräftigen Fürsprecher haben. Flucht nach Deutschland darf nicht länger als Verbrechen wahrgenommen werden. Die Umsetzung einer menschenfreundlichen

Flüchtlingspolitik wird möglicherweise noch einige Zeit in Anspruch nehmen. So lange muss mit

Flüchtlingen, in der Ohlauer Straße und an anderen Orten, unbürokratisch und menschlich

umgegangen werden.

 

Wir ermutigen Sie, sich nicht von ausländerfeindlichen Stimmen und populistisch-nationalistischen

Tendenzen in der Gesellschaft unter Druck setzen zu lassen. Die Antwort kann nicht bloße Empörung

sein, sondern gegenläufiges politisches Handeln.

 

Wir verpflichten uns, viel mehr als bisher den Menschen, die von Abschiebung und Vertreibung aus

Europa bedroht sind, eine Stimme zu geben. Wir verpflichten uns, Lobbyisten der Geschichte, der zum Schweigen verurteilten und der Verzweifelten zu sein. Wir verpflichten uns, in unserer Arbeit Öffentlichkeit für die Debatte zwischen Betroffenen, Mehrheitsgesellschaft und Politik herzustellen.

 

ERSTUNTERZEICHNER_INNEN

Shermin Langhoff, Intendantin Maxim Gorki Theater

Jens Hillje, Co-Intendant und Leitender Dramaturg Maxim Gorki Theater

Marianna Salzmann, Künstlerische Leitung Studio Я

Jürgen Maier, Geschäftsführender Direktor Maxim Gorki Theater

Matthias Lilienthal, Künstlerischer Leiter „Theater der Welt“ und designierter Intendant der

Münchner Kammerspiele

Amelie Deuflhard, Intendantin Kampnagel

Claus Peymann, Intendant Berliner Ensemble

Jutta Ferbers, Chef-Dramaturgin und Mitglied der Direktion Berliner Ensemble

Miriam Lüttgemann, Geschäftsführende Direktorin Berliner Ensemble

Thomas Ostermeier, Künstlerische Leitung Schaubühne am Lehniner Platz

Tobias Veit, Stellv. Direktor Schaubühne am Lehniner Platz

Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Theatertreffens

Kay Wuschek, Intendant Theater an der Parkaue

Jochen Sandig, Künstlerische Leitung Radialsystem V – New Space for the Arts

Peter Spuhler, Generalintendant Badisches Staatstheater Karlsruhe

Burkhard C. Kosminski, Schauspielintendant Nationaltheater Mannheim

Wagner Carvalho, Künstlerische Leitung Ballhaus Naunynstraße

Tunçay Kulaoğlu, Künstlerische Leitung Ballhaus Naunynstraße

Philippa Ebéne, Künstlerische Leitung Werkstatt der Kulturen

Johan Simons, Intendant Münchner Kammerspiele und designierter Intendant Ruhrtriennale

Stefan Fischer-Fels, Künstlerischer Leiter GRIPS Theater

Volker Ludwig, Gründer des GRIPS Theaters

Franziska Werner, Künstlerische Leiterin Sophiensaele Berlin

Tina Pfurr, Künstlerische Leitung Ballhaus Ost

Dr. Gisela Höhne, Intendantin des RambaZamba Theaters

Prof. Michael Börgerding, Generalintendant Theater Bremen

Barbara Mundel, Intendantin Theater Freiburg

Peter Carp, Intendant Theater Oberhausen

Wolfgang Stüßel, Leitung Theater Strahl Berlin

Yael Ronen, Regisseurin und Autorin

Nurkan Erpulat, Regisseur

Sebastian Nübling, Regisseur

René Pollesch, Dramatiker und Regisseur

Carolin Emcke, Publizistin

Wolfgang Kaleck, Autor und Rechtsanwalt

Imran Ayata, Autor

Falk Richter, Autor und Regisseur

Daniel Cremer, Regisseur

Michael Ronen, Regisseur

Olga Grjasnowa, Autorin

Mely Kiyak, Publizistin

Hakan Savaş Mican, Autor und Regisseur

Sasha Waltz, Choreografin, Tänzerin und Opernregisseurin

Christian Weise, Regisseur

Hans-Werner Kroesinger, Regisseur

Sebastian Baumgarten, Regisseur

Irina Szodruch, Dramaturgin

Ludwig Haugk, Dramaturg

Holger Kuhla, Dramaturg

Aljoscha Begrich, Dramaturg

Niels Bormann, Schauspieler

Lars Eidinger, Schauspieler

Aram Tafreshian, Schauspieler

Thomas Wodianka, Schauspieler

Falilou Seck, Schauspieler

Sesede Terziyan, Schauspielerin

Bernhard Conrad, Schauspieler

Jasmina Musić, Schauspielerin

Elisabeth Blonzen, Schauspielerin

Vernesa Berbo, Schauspielerin

Nora Abdel-Maksoud, Schauspielerin

Mareike Beykirch, Schauspielerin

Lea Draeger, Schauspielerin

Oscar Olivo, Schauspiele

Knut Berger, Schauspieler

Taner Şahintürk, Schauspieler

Pegah Ferydoni, Schauspielerin

Kurt Krömer, Schauspieler

Marleen Lohse, Schauspielerin

Idil Baydar, Schauspielerin

Silvia Fehrmann, Rat für die Künste und Leiterin Kommunikation Haus der Kulturen der Welt

Tucké Royale, Performer

Hatice Akyün, Autorin und Journalistin

Cagla İlk, Kuratorin und Projektmanagerin

Max Czollek, Autor

Suna Gürler, Regisseurin, Theaterpädagogin und Autorin

Jutta Maria Staerk, Künstlerische Leitung COMEDIA Theater Köln

André Schmitz, Vorstandsvorsitzender der Schwarzkopf-Stiftung

Vera Strobel, Künstlerische Leitung Theater o.N.

Dagmar Domrös, Künstlerische Leitung Theater o.N.

Dr. Torsten Wöhlert, Stellv. Geschäftsführer Kulturprojekte Berlin GmbH

Christian Lagé, Creative Director und Partner, anschlaege.de

Philipp Harpain, Regisseur und Theaterpädagoge GRIPS Theater

Ute Pinkert, Professorin für Theaterpädagogik Universität der Künste

Livia Patrizi, Künstlerische Leitung TanzZeit - Zeit für Tanz in Schulen

Sibylle Berg, Autorin

Miraz Bezar, Filmemacher

Çığır Özyurt, Theaterpädagoge & Musiker

 

Und viele andere…

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