Da der Moderator noch nicht da ist, beginnen die drei über ihren Beruf zu plaudern und geraten dabei aneinander. Ein erbitterter Kulturkampf um die richtige Darstellungsweise bricht aus. Soll man sich einfühlen oder eher Distanz wahren zur Figur? Wer ist der beste Hitler?
Kann und darf man das Böse darstellen? Dieser und anderen Fragen gehen drei Schauspieler vor Beginn einer Podiumsdiskussion nach, zu der sie eingeladen wurden, weil sie Figuren der jüngeren deutschen Geschichte gespielt haben: Franz Prächtel und Peter Söst feierten unlängst im Film grosse Erfolge als Hitler-Darsteller, Ulli Lerch spielte Goebbels.
Was zunächst als harmloses Geplänkel unter Kollegen beginnt, wird schnell zu einer Grundsatzdebatte über das Thema Schauspielkunst und Theater überhaupt. Mehr noch: Ein unfreiwillig komischer Glaubenskrieg im Jargon der Kunstschaffenden entbrennt, der um essentielle Fragen des Theaterbetriebs kreist. Regietheater oder Werktreue? Wie frei ist die Kunst? Inwieweit muss das Theater auf fremde Kulturen Rücksicht nehmen? Verharmlost man Hitler eher, wenn man ihn als Mensch zeigt, oder indem man aus ihm eine abstrakte Kunstfigur macht?
Das Stück ist zu Ende, bevor der Moderator erscheint. So prallen die drei Schauspieler alleine aufeinander. Theresia Walser hat den witzigen und rasanten Schlagabtausch zwischen den drei unterschiedlichen Männern unter dem Eindruck des Hitler-Films „Der Untergang“ (2004) verfasst.
In geschliffenen Dialogen und mit feiner Ironie lässt sie die drei Schauspieler aus drei verschiedenen Theatergenerationen aufeinandertreffen, die alle sehr pointierte Meinungen zu ihrem Beruf vertreten. Alle drei sind davon überzeugt, dass ihre Art den Beruf zu verstehen die einzig richtige sei. Sie liefern sich um die unangefochtene Rolle des Platzhirsches einen Kampf mit harten Bandagen, bei dem mehrmals die Fronten gewechselt und kurzfristige Allianzen mit den ungeliebten Kollegen eingegangen werden.
Mitten im Disput dämmert den drei Herren jedoch, wie tief sie eigentlich in der Theaterfalle sitzen. Denn eigentlich war ihr Gespräch erst für später vorgesehen, im Beisein von Publikum.
Das Schauspiel „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ der 43-jährigen Theresia Walser gibt auf amüsante Weise Einblick in das Theaterleben mit seinen vermeintlichen Helden und seinen menschlichen Eitelkeiten. Das vergnügliche Konversationsstück macht sich nicht nur mit präziser Sprache über den Schauspielerstand lustig, sondern thematisiert auch die Problematik des Schauspielers zwischen Mensch und Maske, zwischen Sein und Schein. Das Stück der jüngsten Tochter des Schriftstellers Martin Walser wurde im Oktober 2006 in Mannheim uraufgeführt.
Inszenierung Andy Tobler
Bühne Anna Bucher
Kostüme Verena Kopp
H1: Hitler-Darsteller Franz Prächtel Ernst C. Sigrist
H2: Hitler-Darsteller Peter Söst Thomas Pösse
G: Goebbels-Darsteller Ulli Lerch Sebastian Edtbauer
Die Autorin
Theresia Walser, geboren 1967 in Friedrichshafen, besuchte von 1990 bis 1994 die Hochschule für Musik und Theater Bern, wo sie eine Schauspielausbildung absolvierte. Anschliessend war sie zwei Jahre lang Ensemblemitglied am Jungen Theater Göttingen. 1996 entstand ihr Stück „Das Restpaar“, das im Jahr darauf uraufgeführt wurde.
1998 kam ihr Stück „King Kongs Töchter“ am Theater Neumarkt in Zürich zur Uraufführung. Im gleichen Jahr wurde sie in der jährlichen Kritikerumfrage der Zeitschrift ‚Theater heute’ zur besten Nachwuchsautorin gewählt, 1999 zur besten deutschsprachigen Autorin.
Theresia Walser, heute eine der bekanntesten jüngeren deutschen Dramatikerinnen, setzt sich kritisch mit der Gegenwart auseinander, indem sie diese in all ihren Facetten auf pointierte Weise reflektiert. Ihre Theaterstücke sind als Gegenentwurf zum gängigen Bühnen-Realismus gedacht. Ihre ungewöhnliche, poetische Sprachkunst wird von der Kritik regelmässig gelobt. Theresia Walser lebt in Freiburg im Breisgau.
Wichtige Stücke
• Das Restpaar (Uraufführung Theater die Rampe, Stuttgart 1997)
• King Kongs Töchter (Uraufführung Theater am Neumarkt, Zürich 1998)
• Die Heldin von Potsdam (Uraufführung Maxim Gorki Theater Berlin 2001)
• Wandernutten (Uraufführung Staatstheater Stuttgart 2004)
• Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm (Uraufführung Nationaltheater Mannheim, 2006)
• Morgen in Katar (Uraufführung Staatstheater Kassel, 2008)
• Monsun im April (Uraufführung Nationaltheater Mannheim, 2008)
• Herrenbestatter (Uraufführung Nationaltheater Mannheim, 2009)