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SCHWEIZER ERSTAUFFÜHRUNG: ORCHIDEE - Pippo Delbonos Zirkus des Lebens - Theater Chur

Do 23. Oktober 2014, 19 Uhr. -----

Wenn Pippo Delbono mit seiner Compagnie die Bühne entert, wird mit der grossen Theaterkelle angerührt. Der Regisseur entfesselt einen Bildersturm, der das Publikum mit sich fortreisst, ob es will oder nicht. Dabei scheut Delbono weder Kitsch noch Pathos – und schon gar nicht den monumentalen Einsatz von Musik.

 

Dass seine Bühnenspektakel höchst kontrovers diskutiert werden, versteht sich von selbst. Für die einen zählt Delbono zu den originellsten und kühnsten Köpfen des europäischen Theaters; hämische Kritiker hingegen sehen in ihm einen verdrehten Schlingensief, der es sich in seiner Nische von pathetischer Pseudo-Spiritualität allzu bequem macht.

 

Aufgalopp der «fellininesken Truppe»

Delbono polarisiert, und das will er auch. Kritik ist er sich ebenso gewohnt wie gewichtige Auszeichnungen. Anfang 2009 wurde ihm für sein Schaffen der Europäische Preis für neue Theaterrealitäten zuerkannt – nur wenige Monate, nachdem er und seine Compagnie am Theater Chur die Produktion «Questo buio feroce» gezeigt hatten, als Schweizer Erstaufführung notabene. Die Zeitung «Südostschweiz» pries damals das «furiose Theaterspektakel», das Delbono sich und seiner fellininesken Truppe auf die buchstäblich geschundenen Leiber geschneidert hatte: «Ein bildmächtiges,

menschlich ergreifendes Plädoyer für das Leben, während der Tod mit geschärfter Sense in Sichtweite lauert.»

 

Auch in Delbonos jüngster grosser Produktion, «Orchidee», geht es um Leben und Tod, im allumfassenden wie im ganz privaten Sinn. So zeigt der Regisseur Filmszenen, in denen er am Bett seiner sterbenden Mutter sitzt und ihr die Hand hält, während sie dem Jenseits entgegendämmert. Zu viel Privatheit auf der Theaterbühne? Nein, sagt Delbono. «Für mich bedeuten Theater und Kunst, dort etwas zu sehen, wo man dachte, es gäbe nichts mehr zu sagen. Also muss man innehalten, um es zu

erkennen.» Und dann finde man Schönheit bei Menschen, die normalerweise nicht als schön betrachtet würden. Wie bei Vincenzo Cannavaccinolo, genannt Bobò, dem Taubstummen, den der Regisseur einst aus der Psychiatrie auf die Bühne holte und der so etwas wie die Muse Delbonos wurde. Zurschaustellung oder skurriles Manifest? Keines von beiden, sagt Delbono. «In einer Szene mit Bobò braucht man nichts anderes tun, als ihm zuzusehen», antwortete er dem Theatermagazin «Schattenblick» auf die Frage, was ihn an Bobò fasziniere. «Da ist etwas, das man sich nicht

erklären kann. Man versucht es zu verstehen, aber es bleibt ein Geheimnis.» Der heute 78-Jährige sei für ihn ein Protagonist der Ernsthaftigkeit. «Wenn er auf der Bühne ist, ist er absolut.»

 

«Zündender Widerspruchsgeist»

In «Orchidee» verschmelzen Ernsthaftes, Skurriles, Komisches und Erhabenes zu einer wogenden Collage, in der Delbono seinen «Zirkus des Lebens» im Angesicht des Todes heraufbeschwört. Gespickt mit Zitaten von Shakespeare, Tschechow, Büchner, Jack Kerouac und Peter Weiss – umtost von Klängen, die sich aller möglichen Genres bedienen: von Deep Purple und Miles Davis über Philip Glass und Wim Mertens bis zu Pietro Mascagni und Nino Rota.

 

Premiere feierte die Produktion im vergangenen Jahr am VIE-Festival in Modena. Dass sie nun – wiederum als Schweizer Erstaufführung – im Theater Chur die neue Saison eröffnet, ist Kodirektorin Ann-Marie Arioli zu verdanken. Im Rahmen ihres einjährigen Auslandsaufenthalts gehörte Arioli zum künstlerischen Leitungsteam der Wiesbadener Theaterbiennale «Neue Stücke aus Europa», wo auch «Orchidee» aufgeführt wurde. Womöglich war dem Regisseur das Churer Gastspiel von «Questo

buio feroce» in so guter Erinnerung geblieben, dass er ohne Umschweife zusagte, mit «Orchidee» in die Bündner Hauptstadt zu kommen. Das Stück markiert nicht nur den Saisonauftakt, sondern zugleich den Startschuss der Reihe «Welt in Chur» – ein Titel, dem Delbonos grenzüberschreitende Arbeit vollkommen gerecht wird. Denn obwohl «Orchidee» die vielleicht persönlichste Theaterarbeit Delbonos ist, umfasst sie doch seinen ganzen Kosmos. Ein «lauter, bunter, sagenhafter Abend», wie die Zeitschrift «Theater der Zeit» schreibt: «Seinen Widerspruchsgeist zündet Delbono wie zirzensische Raketen, befeuert von der Idee des Anderen, die zu Europa gehört wie die Unterschiedlichkeit seiner Kulturen.»

 

Compagnia Pippo Delbono: Dolly Albertin, Gianluca Ballarè, Bobò, Margherita

Clemente, Pippo Delbono, Ilaria Distante, Simone Goggiano, Mario Intruglio,

Nelson Lariccia, Gianni Parenti, Pepe Robledo, Grazia Spinella

Idee / Regie / Bilder / Filme: Pippo Delbono

Licht: Robert John Resteghini

Technische Leitung: Fabio Sajiz

Ton: Corrado Mazzone

Licht / Video: Orlando Bolognesi

Kostüme: Elena Giampaoli

Chefmaschinist: Gianluca Bolla

Produktionsleitung: Alessandra Vinanti

Organisation: Silvia Cassanelli

Tourmanager: Raffaella Ciuffreda

Musik: Enzo Avitabile & Deep Purple, Miles Davis, Philip Glass, Victor Démé, Joan

Baez, Nino Rota, Angélique Ionatos, Wim Mertens, Pietro Mascagni

Produktion: Emilia Romagna Teatro Fondazione (I)

Koproduktion: Nuova Scena – Arena del Sole – Teatro Stabile di Bologna, Teatro di

Roma, Théâtre du Rond Point Paris, Maison de la Culture d’Amiens – Centre de Création et de Production

 

Sprache: italienisch

Übertitel: deutsch

 

Online-Ticketing www.theaterchur.ch

Kasse Theater Chur Mo bis Fr 17 – 19 Uhr, T +41 (0)81 252 66 44

sowie bei Chur Tourismus im Bahnhof Chur, T +41 (0)81 254 50 60

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