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Städtische Theater Chemnitz: "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" von Bertolt Brecht

Premiere: 19. März 2011, 19.30 Uhr im Schauspielhaus Chemnitz

Chicago, während der Weltwirtschaftskrise. Um nicht in den Turbulenzen der Zeit unterzugehen, versuchen einige Wirtschaftsmagnaten, sich Mittel von der Stadt zu erschleichen.

Offiziell wollen sie neue Kai-Anlagen bauen, Arbeit schaffen, den Handel anregen. Tatsächlich aber stoßen sie sich gesund, am Geld anderer Leute. Und die Stadtvertreter, die um diese Praktiken wissen, verdienen lieber mit, anstatt ihnen einen Riegel vorzuschieben: Geld, Landhäuser, selbst ganze Firmen wechseln unter der Hand die Besitzer.

Bertolt Brecht erzählt in diesem Rahmen die Geschichte vom großen Aufstieg des kleinen Gangsters Arturo Ui. Ehrgeizig und getrieben drängt es ihn in den Mittelpunkt der Macht. Im Stück wie auch in der Inszenierung ist es aber nicht nur Arturo Ui, der in dieses Zentrum strebt. Er ist unterwegs mit einer Viererbande - Freunde, Gesinnungsgenossen, Weggefährten -, die sich aufmachen, den Karfiolhandel (also den Blumenkohlhandel) der Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Und in kürzester Zeit verwandeln sie die Stadt in eine regelrechte Blumenkohlhölle. Aus den vier anfangs scheinbar unschuldigen Männern sickert eine durchdringende Bösartigkeit in alle Bereiche des städtischen Lebens. Ein Knabenchor mit einer bösen Vision.

Es ist eine dekadente, geschlossene Gesellschaft, eingeengt in undurchdringlichen Räumen, dem eigenen Verfall preisgegeben, die dem Treiben Arturo Uis keine Grenzen setzt. Eine Gesellschaft, die über ihre eigenen Eitelkeiten fällt. Man könnte den Untergang immer wieder abwehren, aber alle entscheiden sich für das Prinzip der Egomanie, der Selbstverklärung. Ui und seine Kameraden graben und wühlen sich hinein, suchen in dieser Blumenkohlhölle der Gemüsehändler und Stadtpatriarchen nach dem Schmutz, den Intrigen und finden schnell Sympathisanten. Wer sich ihnen in den Weg stellt, wird erpresst oder ermordet, je nach Dienlichkeit. Uis unbedingter Aufstiegswille setzt alle Regeln außer Kraft. Er entfacht die Gier und die Eitelkeit der anderen Figuren. Er setzt einen Kreislauf der Gewalt um Machterhalt und Machtpartizipation in Gang.

Markus Bothe inszeniert Brechts Stück als zeitloses Tableau gesellschaftlicher Instinkte. Er stellt verschiedene Spielstile ebenso wie Äußerlichkeiten, wie etwa Kostüme und Requisiten, gegeneinander, formuliert so eine eigene Sprache um die Geschichte, die Gegensätzlichkeiten und Paradoxien beschreibt. Holzschnittartig werden die Szenen aneinandergesetzt und steigern sich, bis die Figuren an ihrer Intensität zerbersten. Der Regisseur führt die Figuren an die Grenzen ihrer Integrität. Die Machtfantasie ist allgegenwärtig, und der Wert jedes Einzelnen lässt sich auf einer Skala messen, deren Ausschläge bestimmt sind von illoyalen Bündnissen und der Fähigkeit zur Adaption. Schon Brecht, der in seinen späteren Bemerkungen zum Stück formulierte, dass man den Nationalsozialismus nicht zwingend mitspielen müsste, verwies auf den Eigenwert und die Beständigkeit korrumpierter Gesellschaften. Somit wird sein Text, der ursprünglich ein Gleichnis auf den Aufstieg Adolf Hitlers 1933 war, zu einem zeitlosen Gleichnis auf Machtstrukturen und Machtmechanismen im Allgemeinen.

Regie: Markus Bothe

Bühne: Manfred Dittrich

Kostüme: Lydia Kirchleitner

Michael Pempelforth (Arturo Ui, Gangsterchef), Bernhard Conrad (Ernesto Roma, sein Leutnant), Urs Rechn (Manuele Giri), Tilo Krügel (Guiseppe Givola, Blumenhändler / Ankläger), Bernd-Michael Baier (Der alte Dogsborough / Richter / Ignatius Dullfeet), Susanne Stein (Sheet, Reedereibesitzer / Ein Schauspieler / Hook, Grünzeughändler), Ulrike Euen (Flake, Karfioltrust / Dockdaisy / Betty Dullfeet), Dirk Lange (Clark, Karfioltrust / Bowl, Kassierer bei Sheet / Der Angeklagte Fish), Marius Marx (Caruther, Karfioltrust / O´Casey, Untersuchungsbeauftragter / 2. Gemüsehändler), Nikolaus Barton (Butcher, Karfioltrust / Verteidiger / 1. Gemüsehändler), Nils Buchholz* (Ansager), Katharina Schlothauer*, Luise Schubert*, Lena Sophie Vix*, Timo Hastenpflug*, Gordon Kämmerer*, Jan Sabo*, Guido Schikore* (Gemüsehändler)

*StudentInnen der Hochschule für Musik und Theater Leipzig

*****

Das Regieteam

Markus Bothe (Regie)

arbeitet kontinuierlich sowohl für Schauspiel als auch für Oper und inszenierte u. a. an der Deutschen Oper Berlin, Schauspielhaus Hamburg, Staatsoper Hannover, Theater Basel, Volksoper Wien, National Opera Washington D.C. Von 2004 - 2008 war er Mitglied der künstlerischen Leitung der Theaterbiennale „Neue Stücke aus Europa“ in Wiesbaden. In Chemnitz inszenierte er bereits 2009 Franz Wittenbrinks „Männer - Ein Stadionabgesang“. Für die Uraufführung von „Roter Ritter Parzival“ (nach Wolfram von Eschenbach) am Schauspiel Frankfurt wurde Markus Bothe 2010 mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnet.

Manfred Dittrich (Bühne)

studierter Architekt, kam durch die Modellbauarbeit zu Peter Steins Pariser „Rheingold”-Inszenierung 1976 zum Beruf des Bühnenbildners. Seit 1980 arbeitet Manfred Dittrich als freier Bühnenbildner und stattet seitdem Schauspiele, Opern und Musicals an verschiedenen europäischen Theatern aus, u. a. an der Schaubühne am Lehniner Platz, Theater am Neumarkt in Zürich, Teatro de la Plaza in Madrid, Schauspielhaus Bochum und am Düsseldorfer Schauspielhaus. Mit Markus Bothe arbeitete Manfred Dittrich bereits an dessen Chemnitzer Inszenierung „Männer – ein Stadionabgesang“ von Franz Wittenbrink.

Lydia Kirchleitner (Kostüme)

assistierte nach ihrer Ausbildung zur Herrenschneiderin und Diplom-Modedesignerin mit Auszeichnung zunächst am Düsseldorfer Schauspielhaus. Seit 1996 ist sie freischaffende Kostümbildnerin und arbeitete seitdem mit den Regisseuren Anselm Weber, Peter Hailer, Wolf Dietrich Sprenger, Elmar Goerden, Karin Beier, Burkhard C. Kosminski u. a. am Thalia Theater, Schauspielhaus Hamburg, Schauspiel Köln, Burgtheater Wien, Volkstheater Wien, Staatstheater Stuttgart, Oper Erfurt und dem Nationaltheater Mannheim zusammen. Lydia Kirchleitners erste Chemnitzer Arbeit für „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ ist zugleich auch ihre erste Zusammenarbeit mit Markus Bothe.

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