Die SchauspielerInnen nähern sich diesen Figuren an, befragen sich, agieren miteinander: Was passiert, dass man faschistoid zu denken beginnt, welchen Spaß macht es, Macht auszuüben, andere auszugrenzen, zu denunzieren. Wie viel Zivilcourage braucht es im alltäglichen Leben? Wie viel Selbstverantwortung übernehme ich?
Kristo Šagor hat dieses Stück für das Landestheater Linz geschrieben und hat dazu einige Fragen beantwortet:
Das Stück DU HITLER hatte den Arbeitstitel HITLER.JUGEND. Geht es nicht mehr um Hitlers Jugend in Linz? Ich mag Titel, die einerseits auf eine direkte Weise ansprechen, andererseits tiefer in die Struktur des Stückes ragen, als man auf den ersten Blick erkennt. Ich wusste ja von Anfang an, dass ich Hitlers Jugend aus einer heutigen Perspektive beleuchten will und nicht aus einer sozialhistorischen, also etwa mit Szenen aus der Wohnküche von Mama und Papa Hitler. Die Art dieser Perspektivierung wiederum war mir zu dem Zeitpunkt, als der Titel festgelegt wurde, noch nicht klar. HITLER.JUGEND ist ja ein Wortspiel, weil man als erstes an die Organisation Hitlerjugend denkt. Strukturen des NS-Regimes spielen in dem Text aber eine so geringe Rolle, dass mir dieser Assoziationsraum nicht mehr produktiv schien für den Zuschauer. Die vier im Stück entwickelten Figuren spiegeln Reflexe totalitären Denkens, und der Titel wiederum spiegelt das. Ich hoffe, der Titel tippt einem auf eine unangenehme Weise auf die Schulter.
Das Stück hat vier unterschiedliche Teile. Warum - und wie könnte man die Teile beschreiben?
Warum? Ich glaube an Komplexität. Und gerade bei einem Thema wie Hitler sollte man skeptisch sein, was einfache Beschreibungsversuche anbelangt.
Im ersten Teil werden vier Figuren eingeführt: drei Männer und eine Frau, die heute leben, aber abgewandt von anderen um sich selbst kreisen. Der Leser oder Zuschauer erlebt, wie sie erfunden werden. Damit werden sie als Spielmaterial erkennbar gemacht, als mögliche Perspektiven auf das Thema Hitler.
Der zweite Teil öffnet einen diskursiven Raum: Stimmen streiten über die angemessene Weise, über Hitler zu verhandeln. Faktenwissen und Rotzigkeit, Desinteresse und der Versuch, eine politisch vertretbare Haltung zu formulieren, liefern sich einen Schlagabtausch.
Im dritten Teil sehen wir plötzlich eine „richtige“ Szene: Die vier Figuren aus dem ersten Teil stehen an einer Bushaltestelle und versagen kollektiv dabei, auf ein Gewaltdelikt mit Zivilcourage zu reagieren. Nach den distanzierten Verhandlungen im ersten und zweiten Teil ist unser Blick auf diese reale soziale Situation, hoffe ich, verfremdet.
Im vierten Teil kollabieren die gegeneinander aufgebauten Ebenen: Dialoge aus der Situation an der Bushaltestelle wiederholen sich zwischen den verhandelnden Stimmen. Es ist unklar, ob damit die verhandelnden Stimmen zu den Figuren mutieren, oder ob sie diese nur gebraucht haben, um endlich ihre eigenen Bedürfnisse formulieren zu können: Hitler als Anlass, mich selbst zu begreifen.
Im ersten Teil gibt es zwei Zeitebenen - eine Ebene, die Anfang des 20. Jahrhunderts angesiedelt ist, mit einer Figur, möglicherweise der historische Adolf Hitler als Junge in Linz; und die andere Ebene, auf der vier zeitgenössische junge Menschen von heute vorgestellt werden. Warum diese Komposition, mit welcher Absicht und um was zu transportieren?
Die Versatzstücke aus Hitlers Biografie werden konsequent in Frageform vorgetragen. Damit werden sie aus der Zeitschicht Anfang des 20. Jahrhunderts herausgelöst und auch von heute aus erfahrbar. Meine Fantasie ist, dass entweder einer der Mitspieler auf der Bühne mit diesen Fragen drangsaliert wird und/oder dass Mitglieder des Publikums gefragt werden. Die Schnittmenge mit den vier entwickelten Figuren ist: Wo versteckt sich Hitler heute? Welche Aspekte von Hitler findet jeder in sich? Die große, erdrückende Frage in Bezug auf Hitler lautet ja: Wie konnte der nur so werden? Und je wahnsinniger, perverser und allmächtiger man sich Hitler denkt, desto unmöglicher scheint es, ihn zu verhindern. Die Pathologisierung des außergewöhnlichen Individuums hat aber vor allem eine Funktion: Die Verführten / Uns Verführbare von jeder Schuld freizusprechen.
Inszenierung Dana Csapo
Bühne und Kostüme Jan Hax Halama
Dramaturgie Franz Huber
Mit Katharina Halus, Katharina Wawrik; Bastian Dulisch, Ralf Wegner
KRISTO SAGOR (AUTOR)
• 1976 geboren in Stadtoldendorf
• 1995 Abitur
• 1996 Studium der Linguistik, der Literatur- und Theaterwissenschaft an der FU Berlin
• 1996 Theater TREKJOP (Regie)
• 1999 Uraufführung des ersten Stückes Dreier ohne Simone
• 2001 Fördergabe des Schiller-Gedächtnispreises, Dramatikerpreis des Thalia Theaters Halle und Publikumspreis des Heidelberger Stückemarktes für Unbeleckt Autoren-Förderpreis der Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein für Federn lassen
• seit 2002 regelmäßige Regie-Tätigkeit u.a. in Bremen, Mannheim, Erlangen, Berlin
• 2003 Autorenpreis für FSK 16 beim 5. Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugendtheaterfestival Kaas & Kappes in Duisburg,
• 2005 Autorenpreis für Trüffelschweine des 6. Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugendtheaterfestivals "Kaas & Kappes" in Duisburg, Kindertheaterpreis der Frankfurter Autorenstiftung 2005 für Ja
• 2008 Deutscher Theaterpreis DER FAUST für die beste Regie im Kinder- und Jugendtheater für Törless am Deutschen Schauspielhaus Hamburg (Junges Schauspielhaus)
Theaterstücke
• ADAM KOMMA EVA, UA: 18. April 2002, Staatstheater Braunschweig
• ALLE KRIEGEN DICK UND WERDEN KINDER, UA: 23. Oktober 2009, Junges Schauspielhaus Hannover
• BEVOR WIR GEHEN, UA: 26. Januar 2008, Schauspielhaus Bochum
• DER EIGENE RAUM, UA: 12. Oktober 2008, Schauspielhaus Bochum
• DREIER OHNE SIMONE, UA: 22. Juli 1999, Kulturhaus Spandau, Berlin, Regie: Kristo Sagor
• DURSTIGE VÖGEL, UA: 20. Dezember 2000, Schauspielhaus Bochum
• FEDERN LASSEN, UA: 17. Mai 2003, Schleswig Holst. Theater, Rendsburg
• FREMDELN, UA: 25. Mai 2001, MOKS am Bremer Theater
• FSK 16, UA: 1. März 2003, MOKS am Bremen Theater
• HAUTKOPF, UA: 13. Oktober 2005, Neuköllner Oper Berlin
• JA, UA: 27. April 2006, Schnawwl, Mannheim
• KEINEM KEINER, UA: 7. Januar 2009, Schauspielhaus Wien
• TRÜFFELSCHWEINE, UA: 13. November 2004, MOKS am Bremer Theater
• UNBELECKT, UA: 2. Mai 2002, Theater der Stadt Heidelberg
• WERTHER. SPRACHE DER LIEBE, UA: 8. März 2003, Nationaltheater Weimar