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Wie politisch darf ein Mime sein?

Wie politisch darf ein Mime sein? Diese Frage stellt sich hierzulande kaum. Im Westen schon gar nicht, wo Theater- und Filmleute gesellschaftskritische Meinungen nicht in die Tagespolitik, sondern allenfalls in ihre Inszenierungen und Rollen einfließen lassen. In der ehemaligen DDR hingegen waren die Kulturschaffenden zu einem strammen politischen Kurs gezwungen. Nach der Wende freuten sie sich über die neue Freiheit und bekannten sich alsbald nicht mehr zu einer bestimmten politischen Richtung. Spitzenpolitiker aus dem Schauspielerstand, wie es sie in Amerika gibt, sind bei uns bis heute nicht vorstellbar.

Umso mehr Aufsehen musste es erregen, als ein deutscher Fernseh- und Theaterstar nicht nur Farbe, rote Farbe bekannte, sondern beabsichtigte, auf der sächsischen PDS-Liste für den Bundestag zu kandidieren. Es geht um Peter Sodann, 69 Jahre alt, wohlbekannt als Kommissar Ehrlicher aus dem "Tatort" des MDR, der dreimal im Jahr über die Bildschirme flimmert. Bis zum Ende dieser Spielzeit war er außerdem und vor allem Intendant des "neuen Theaters" in Halle, einer äußerst lebendigen Bühne, die er mitgegründet hatte.

In Talkshows und Interviews hat er nie einen Hehl daraus gemacht, dass er einen demokratischen Sozialismus vom Entwurf her für die richtige politische Idee hält und den realen Falschweg und Zusammenbruch dieser Weltanschauung zutiefst bedauert. Er äußerte auch immer freimütig Kritik an den Härten der praktizierten sozialen Marktwirtschaft nach kapitalistischem Muster.

Da war es nur konsequent, dass er schließlich die praktische politische Arbeit ansteuerte, zumal jetzt durch den Zusammenschluss der PDS mit der WASG eine breitere linke Bewegung in ganz Deutschland in den Bereich des Möglichen gerückt ist.

Ob er mit dieser massiven öffentlichen Reaktion rechnete, als er medienwirksam zwischen Lafontaine und Bisky in Erscheinung trat?

Bald danach ließ der Mitteldeutsche Rundfunk nämlich wissen, man wolle wegen des politischen Engagements Sodanns vor der Bundestagswahl keinen neuen Ehrlicher-"Tatort" mehr ausstrahlen. Auch Wiederholungen alter Filme würden ARD-weit nur noch bis spätestens sechs Wochen vor dem Wahltermin gesendet. Warum eigentlich? Weil Politiker verschiedener Parteien sofort protestiert hatten gegen eine mögliche Wettbewerbsverzerrung wegen häufiger TV-Präsenz des frischgebackenen PDS-Kandidaten. Sogar die Kulturstaatsministerin im Kanzleramt, Christina Weiss verlangte eine Sendepause für den politischen Schauspieler, wobei sie nicht vor der Bemerkung zurückschreckte, das sei sonst "Schleichwerbung auch im Tatort". "Pause für den roten Kommissar" titelte genüsslich die nicht gerade linkslastige "Rheinische Post", und andere Zeitungen ließen sich ebenfalls feixende Kommentare nicht entgehen. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht absehbar, ob der Kommissar endgültig abdanken müsste, wenn sein Darsteller in den Bundestag einziehen sollte. Jedenfalls erklärte der MDR vorsichtshalber als Abgeordneter müsse Ehrlicher seine Ermittlungen ruhen lassen. Armes Deutschland.

Jetzt ist die Kirche wieder im Dorf. Vierundzwanzig Stunden später hat Peter Sodann auf seine Parlamentskandidatur verzichtet.

Vera Forester

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