Märchenhaft am Sturm ist zunächst der Sturm selber, der den König von Mailand und sein Gefolge samt seinem Sohn Ferdinand als Schiffbrüchige an den Strand von Prosperos Insel wirft.
Ist es das letzte Drama Shakespeares? Es ist auf jeden Fall das letzte Kapitel eines großen Zauberers: Prospero, der Herzog von Mailand, ist von seinem machthungrigen Bruder Antonio durch eine Intrige vom Thron gestoßen und verbannt worden. Nun lebt er weit ab von der zivilisierten Welt auf einer Insel, zusammen mit seiner jungen Tochter Miranda. Aber auch mit den geheimnisvollen Naturwesen und Naturgeistern der Insel, die er sich – soweit dies bei so wilden Kreaturen überhaupt gelingen kann – dienstbar gemacht hat.
Jetzt aber kommt die Stunde der Abrechnung: Ein glücklich unglücklicher Schiffbruch lässt den König von Neapel und sein buntes Gefolge auf der Insel stranden. Unter ihnen eben auch Prosperos Bruder Antonio. Und alle diese Robinsons begreifen die Chance nicht, die ihnen ihre Rettung bieten könnte. Der Intrigant Antonio plant weiter seine Intrigen.
Die pöbelnden Saufkumpane Stephano und Trinculo pöbeln weiter und saufen weiter. Nur einem passiert das, was im Leben das Unvorhersehbarste ist und bleibt: Ferdinand, der Sohn des Königs von Neapel, verliebt sich in die junge Miranda, die allen Grund hat, erstaunt zu sein über all diese wunderlichen Wesen. Eine ganz neue und faszinierende Welt tut sich ihr auf. Und Shakespeare, der Vater, wird wie in allen seine späten Dramen auch hier nicht losgelassen von dem komischen Grauen, seine eigene Tochter mit irgendwelchen elisabethanischen Trotteln herumflirten sehen zu müssen.
Märchenhafter als das Wüten der Elemente ist: Der Sturm der Herzen. Der sich ja meist zunächst in totaler Blödheit äußert: „Das ist ja herrlich von Gestalt. Ist es ein Geist?“ fragt Prosperos Tochter Miranda, als sie das erste Mal Ferdinand sieht. Und er: „Schönes Wunder, seid ihr ein Mädchen oder nicht?“ Am Märchenhaftesten: Wie aus solchem Unsinn wirklich Liebe werden kann.
Der Opern- und Schauspiel-Regisseur Tilman Knabe, dessen Inszenierung von Enda Walshs Penelope unser Beitrag zur Odyssee Europa im Rahmen der Kulturhauptstadt RUHR.2010 war, inszeniert das letzte Kapitel eines großen Zauberers, der fast sein ganzen Leben lang von den Menschen dadurch abgerückt lebte, dass er ihnen überlebensgroße Spiegel vor die Nase hielt und sich Kreaturen dienstbar machte, welche die Natur selbst geschaffen hatte. Am Ende von Der Sturm gibt dieser Zauberer seine geheimnisvollen Bücher auf und kehrt zu den Menschen zurück. Sein Name ist Prospero Shakespeare.
Regie: Tilman Knabe
Bühne: Kaspar Zwimpfer
Kostüme: Gisa Kuhn
Dramaturgie: Tilman Raabke
Mit: Susanne Burkhard, Angela Falkenhan / Torsten Bauer, Martin Hohner, Marek Jera, Henry Meyer,
Jürgen Sarkiss, Hartmut Stanke, Peter Waros, Michael Witte, Klaus Zwick