Der gemeine Soldat Woyzeck steht auf der untersten Stufe der Gesellschaft: arm, unterdrückt und von allen Seiten ausgebeutet. Mühselig verdient er den Lebensunterhalt für sich, für Marie und ihr gemeinsames Kind. Der Sold, den er als Soldat erhält, reicht hinten und vorn nicht, so dass er auf alle erdenkliche Art Geld dazuverdienen muss. So rasiert er täglich seinen Hauptmann; dem Doktor jedoch dient er als Versuchskaninchen für seine zweifelhaften medizinischen Experimente. Einziger Lichtblick in seinem Leben sind Marie und das gemeinsame Kind. Doch Marie verfällt den Schmeicheleien des feschen Tambourmajors und betrügt Woyzeck. Da sieht er keinen Ausweg mehr für sich und tötet Marie …
In einer kompromisslosen Gesellschaft, so zeigt sich in diesem Fragment, gibt es für einen wie Woyzeck keinen Platz; Täterschaft und Opferdasein erscheinen in einem neuen Licht. 170 Jahre nach der Entstehung dieses Fragments hat sich die Gesellschaft verändert. Unsere Sozialsysteme fangen die Ärmsten – noch – auf. Die Menschen können – vermeintlich – tun und lassen, was sie wollen. Die berufliche Karriere scheint jedem offen: Jeder ist seines Glückes Schmied. Aber ist das tatsächlich so? Daß das kapitalistische System, in dem wir leben, hierarchisch geordnet ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Das Verhältnis von arm und reich wird stetig größer: Die Armen werden nicht nur ärmer, sie werden auch mehr – und die Reichen werden immer wohlhabender. Die Menschen, die unter den armen Umständen leben müssen, gehen erstaunlicherweise nicht auf die Barrikaden. Eine Revolte gegen das bestehende System bleibt bisher aus.
Wir blicken bei „Woyzeck“ nicht nur in die Abgründe eines Menschen, sondern vor allem in die Abgründe einer Gesellschaft. Deshalb gibt es in „Woyzeck“ kein Mitleid. Keine Trauer. Es ist kein Märchen, sondern Wut und gleichzeitig Hilflosigkeit in einer Gesellschaft, in der man nicht mehr leben möchte und doch muss. Und so nimmt es nicht Wunder, dass es in der gerade veröffentlichten Studie „Deutsche Zustände“ u.a. heißt: „Die Höherverdienenden sind stets auf ihren Aufstieg bedacht gewesen; viele Jahrzehnte lang hat dies ja auch funktioniert. Spätestens aber während der Wirtschafts- und Finanzkrise haben viele Menschen aus dieser Schicht gemerkt, dass es auch für sie schnell mal abwärts gehen kann – und darauf reagieren sie, indem sie die Schwachen als Konkurrenten wahrnehmen, die ihnen entweder Geld wegnehmen oder mit denen sie Geld teilen müssen. So entsteht ein eisiger Jargon der Verachtung, der sich in den Eliten breit gemacht hat, eine rohe Bürgerlichkeit.“
Zu dem „Woyzeck“- Fragment kommen nun die Songs von Tom Waits, die dem Text Büchners eine Ebene hinzufügen, die von Verletzungen, Schmerzen und Sehnsüchten der Figuren erzählt, und ihr Inneres nach außen kehrt. Tom Waits sagt dazu u.a.: „Woyzeck handelt von Wahnsinn und von Obsessionen, von Kindern und von Mord – alles Dinge, die uns berühren. Das Stück ist wild und geil und spannend und die Phantasie anregend. Es bringt einen dazu, Angst um die Figuren zu bekommen und über das eigene Leben nachzudenken. Ich schätze mal, mehr kann man von einem Stück nicht verlangen“.
Songs und Liedtexte von Tom Waits and Kathleen Brennan
Konzept von Robert Wilso
Textfassung von Anne Christin Rommen und Wolfgang Wiens
Regie: Alexander Schilling
Bühne: Manfred Kaderk
Kostüme: Valentina Crnkovíc
Musikalische Leitung: Friedericke Bernhardt
Dramaturgie: Wilfried Harlandt
Mitwirkende:
Kathrin-Marén Enders (Margreth), Carolin M. Wirth (Marie); Frank-Peter Dettmann (Hauptmann), Ilja Harjes (Tambourmajor), Johannes-Paul Kindler (Doctor), Tim Mackenbrock (Franz Woyzeck), Johann Schibli (Ausrufer/ Karl, ein Idiot)
Band: Friedericke Bernhardt, Christoph Beck, Tobias Reisiger, Bastian Ruppert, Tobias Schütte
Weitere Vorstellungen im Februar:
Freitag, 11. Februar, 19.30 h
Donnerstag, 17. Februar, 19.30 h
Samstag, 19. Februar, 19.30 h
Mittwoch, 23. Februar, 19.30 h
Samstag, 26. Februar, 19.30 h