Eine verbindliche Lesefassung kann es von dem Drama ebenso wenig geben wie eine allgemein gültige Inszenierung: in diesem letzten Punkt steht es gleichsam exemplarisch für andere Theatertexte auch, an denen dies nur weniger deutlich auffällt.
Die Geschichte vom "armen" underdog Woyzeck, der von Stimmen gepeinigt, von Hauptmann und Doktor gequält und von seiner Frau betrogen, zuletzt zum Mörder wird, ist oft erzählt worden. Obwohl der Stoff mitten in die aktuelle "Prekariats"-Debatte trifft, ist nichts prekärer auf der Bühne darzustellen als "das Prekariat". Nicht umsonst arbeitet das zeitgenössische Theater verstärkt mit dokumentarischen Mitteln, im und mit "dem Realen", wenn es sich der "Unterschichten"-Problematik nähern will. Drei Befunde sind an dem Stück indes auch jenseits der speziellen Armuts-Thematik virulent: Es geht um Ausbeutung; um Wahnsinn; um Eifer-sucht. Von einer erfolgsorientierten Gesellschaft wird Woyzeck, geschwächt durch physische und psychische Schikanen, durch Eifersucht und eine sich verstärkende Neigung zu dunklen Fantasien und Verfolgungswahn, ausgestoßen. Von hier aus lässt sich eine heutige Gesellschaft von Jungen, Hübschen und Fitten imaginieren, in deren Rattenrennen um die glatteste Oberfläche ein älterer und angegriffener Woyzeck nicht mithalten kann oder will.
Stephan Rottkamp, der in der vergangenen Spielzeit die "Gefährlichen Liebschaften" am Schauspiel Stuttgart inszenierte, arbeitet wieder mit Robert Schweer als Bühnenbildner und Cornelius Borgolte als Musiker. Zu dem bewährten Team stößt Anna Sofie Tuma als Kostümbildnerin. Sebastian Kowski spielt den Woyzeck, Dorothea Arnold die Marie.