Die skurrile und berührende Geschichte, geschrieben 1991 von der russischen
Erzählerin Tatjana Tolstaja, einer entfernten Verwandten Leo Tolstois, handelt vom Unterschied zwischen Sein und Schein. In einem fein ziselierten Hyperrealismus lässt der lettische Regisseur Alvis Hermanis in seiner Inszenierung zwei Männer die traurigplatonische Liebesgeschichte der
beschränkten, doch feinfühligen Sonja im Leningrad der Dreissigerjahre erzählen.
Das Stück beginnt mit zwei ungeschickten Einbrechern, die Sonjas Wohnung
durchsuchen und immer mehr in ihr Leben eindringen, wobei einer der
Einbrecher selbst zu Sonja wird und so den minimalen Unterschied zwischen
Spiel und Ernst aufzeigt. Die beiden Männer spielen in einem fast meditativen
Wechselspiel die traurige Liebesgeschichte der Hauptfigur nach. Diese ist ein
wenig beschränkt, nicht gerade schön und sehr einsam. Aber sie verfügt über
Talente: Sie kann ausgezeichnet kochen und nähen und anderen Leuten auf die Nerven gehen. Doch eines Tages erhält sie einen Liebesbrief, glühend und
ernsthaft, und Sonjas Herz steht in Flammen. Nichts ahnt sie davon, daß die
bösartige Ada den Brief geschrieben hat, und damit Sonjas Leben für immer
verändert.
Der Regisseur meint zu seiner Arbeit: «Sonja ist ein Stück, das auch ohne
Dialoge funktioniert. Ich habe beobachtet, dass alte Leute nicht mehr viel
sprechen. Sie wissen schon, was sie immer seufzen. Alles ist schon gesagt.» Und die Frankfurter Allgemeine soll bei der Premiere beobachtet haben, dass «selbst hart gesottene Theatergänger eine Träne im Auge hatten».
Alvis Hermanis, geboren 1965 in Riga, leitet seit zehn Jahren das Neue Theater Riga und gehört mittlerweile zu den herausragenden Figuren des europäischen Theaters. Internationale Aufmerksamkeit erhielt er mit seiner Inszenierung des «Revisors» von Nikolaj Gogol (2002), die weltweit auf Tournee ging. Danach kreierte Hermanis eine eigens recherchierte Geschichte über Kaspar Hauser und im Dezember 2003/Januar 2004 das Doppelprojekt «Gará dzìve» (Langes Leben) und «Tálák» (nach Maxim Gorkis «Nachtasyl»). Am Schauspielhaus Zürich inszenierte er kürzlich «Väter», ein Stück um Vater-Sohn-Beziehungen und das Verhältnis von Realität und Kunst. Die Bühnenbilder zu den meisten seiner Inszenierungen gestaltet er selbst. Hermanis erweist sich als präziser Beobachter seiner Umwelt, die ihn – im noch kommunistischen Lettland – prägte.
Regie: Alvis Hermanis. Mit: Gundars Abolins, Jevgenijs Isajevs.
Russisch, mit deutscher Übersetzung. Beschränkte Platzzahl.