Ein Abend, der der verführerischen Kraft des Tanzes und den Mechanismen der Verführung selbst gewidmet ist.
Dark Glow – Die dunkle Seite der Verführung
Der Abend öffnet mit einer Uraufführung der Halbsolistin und Choreographin Katarzyna Kozielska, die zum ersten Mal eine größere Arbeit für die Bühne des Opernhauses kreiert. Dark Glow lautet der Titel ihres neuen Balletts, das von der dunklen Seite der Verführung inspiriert ist. Angelehnt an persönliche Beobachtungen schildert Kozielska ihre Sicht auf die Verführbarkeit des Einzelnen und der Massen durch Medien, Religion und Politik und ihre Folgen. „In meinem Stück möchte ich mit abstrakten Bildern
arbeiten“, so Kozielska, „Ich versuche nicht, eine konkrete Geschichte zu erzählen, sondern möchte darin verarbeiten, was ich um mich herum wahrnehme und meine Gedanken und Gefühle dazu in Tanz übersetzen. Verführung hat auch eine negative Seite, wenn man Menschen dazu bringt, etwas zu tun oder zu denken, was sie eigentlich nicht wollten – wenn man sie dazu bringt, ihre Meinung zu ändern. Ich sehe um mich herum die Anfälligkeit der Menschen für diese manipulative Form der Verführung; bis
hin zu dem Punkt, an dem die Menschen aufhören, überhaupt selbst zu denken.“
Kozielska ist bekannt für hochästhetische Bilder und ihre futuristisch anmutende, von der Klassik kommende Bewegungssprache. Dark Glow kreiert sie zu einer Auftragskomposition von Gabriel Prokofiev, Enkel des berühmten Sergej Prokofjew, zu dessen Musik sie 2014 bereits ihren pointierten Pas de Deux Bite choreographiert hat.
Verführung à la Ballets Russes
Der Mittelteil des Ballettabends vereint zwei Stücke, deren Ursprung bei Serge Diaghilevs legendären Ballets Russes liegt, neu interpretiert von zwei der spannendsten Choreographen der Gegenwart: Sidi Larbi Cherkouis Faun und Marco Goeckes Le Spectre de la Rose. In Anlehnung an Vaslav Nijinskys Skandal-Erfolg L’après midi d’un faune von 1912 choreographierte der flämisch-marokkanische Ausnahmechoreograph Sidi Larbi Cherkaoui 2009 seinen Pas de Deux Faun für die Tänzer James O’Hara und Daisy Phillips. Beide studieren das Stück nun mit den Tänzern des Stuttgarter Balletts für seine Stuttgarter Erstaufführung ein.
Das Thema des Original-Balletts aufgreifend, lässt Cherakoui in seinem Stück einen Faun und eine Nymphe aufeinandertreffen, Halbwesen der griechischen Mythologie, teils Mann, teils Tier, teils Frau, teils Pflanze. Zur Originalmusik von Claude Debussy, die von sehnsüchtigen, exotischen Klängen Nitin Sawhneys durchbrochen und ergänzt wird, lässt Cherkaoui die beiden in einem spielerisch naiven, unschuldig forschenden und zugleich sinnlichen Tanz sich einander annähern. Ebenso wie die Tänzer einander umschlingen und vereinnahmen, vereinigt Cherkaouis Choreographie die Gegensätze
von Männlichkeit und Weiblichkeit, Jugend und Weisheit und spielt mit der Verschmelzung verschiedener Kulturen, Zeiten und Stile.
Der Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts, Marco Goecke, widmete sich 2009 einem anderen Erfolgsstück des Tänzers Vaslav Nijinsky, nämlich Le Spectre de la Rose, kreiert 1911 von Michel Fokine im Auftrag des Impresarios Serge Diaghliev. Fokines Ballett handelte von einem jungen Mädchen, das im Traum vom Geist einer Rose, die ihr ein Liebhaber geschenkt hat, zum Tanz verführt wird.
Marco Goecke hat dieses Stück neu choreographiert und dabei die Originalmusik, Carl Maria von Webers Aufforderung zum Tanz, mit Der Beherrscher der Geister um ein weiteres Stück desselben Komponisten ergänzt. In seinem unnachahmlichen Stil, der ihm bereits mehrere Nominierungen und Auszeichnungen einbrachte, verarbeitet Goecke die psychologische und emotionale Essenz des ursprünglichen Stoffes zu seiner individuellen, düsteren Interpretation. Während bei Fokine der Tänzer der männlichen Hauptrolle im Mittelpunkt stand – eine Paraderolle Nijinskys – hat Goecke dazu einen
starken und unabhängigen weiblichen Gegenpart geschaffen. Mit seiner nervösen, energiegeladenen Bewegungssprache und seinem Ideenreichtum hat er eine ureigene zeitgenössische Version des Balletts geschaffen, die bereits bei ihrer Uraufführung in Monte Carlo Publikum und Presse gleichermaßen faszinierte: „Ein Stück, wofür Diaghliev womöglich sein Monokel riskiert hätte.“ (Hartmut Regitz) Im Rahmen des Ballettabends VERFÜHRUNG! kommt Marco Goeckes Le Spectre de la Rose zu seiner deutschen Erstaufführung.
Der Tanz eines Verführers
„Maurice Béjart war ein großer Liebhaber und ein großer Verführer.“ schrieb der Tanzkritiker Manuel Brug 2007 zum Tod von Maurice Béjart in Die Welt. Eines der Meisterwerke dieses Verführers – wenn nicht das Verführungsballett schlechthin – bringt Ballettintendant Reid Anderson nun als krönenden Abschluss des Ballettabends wieder auf die Bühne des Opernhauses: Bolero zur gleichnamigen Musik desfranzösischen Komponisten Maurice Ravel.
In Perfektion spiegelt sich die Struktur der berühmten Komposition in der Choreographie, in der ein Solotänzer in der Mitte die Melodie und die ihn umgebende Gruppe den Rhythmus verkörpern. Aus den anfangs schlichten, sich wiederholenden Bewegungen des Solisten entwickelt sich, dem stetigen Crescendo der Musik folgend, ein hypnotischer, ekstatischer Tanz, dem sich das große Männer-Ensemble nach und nach – wie von einer unsichtbaren Kraft angezogen – anschließt. Mit seinem Bolero
schuf Maurice Béjart ein Ballett, das eine aufgeladene, erotische Spannung heraufbeschwört, der sich weder Tänzer noch Publikum entziehen können. Die Solo-Partie, die sowohl von einem Mann, als auch von einer Frau getanzt werden kann, übernehmen in dieser Spielzeit unter anderem die drei Kammertänzer des Stuttgarter Balletts: Alicia Amatriain, Jason Reilly und Friedemann Vogel.
Dark Glow (Uraufführung)
Choreographie Katarzyna Kozielska
Musik Gabriel Prokofiev (Auftragskomposition)
Dramaturgie Natalia Fuhry
Kostüme Thomas Lempertz
Licht Damiano Pettenella
Faun (Stuttgarter Erstaufführung)
Choreographie Sidi Larbi Cherkaoui
Choreographische Assistenz Daisy Philips, James O’Hara
Musik Claude Debussy – Prélude à l’après-midi d’un faune
Zusätzliche Musik Nitin Sawhney
Kostüme Hussein Chalayan
Licht Adam Carrée
Produziert von Sadler’s Wells (London)
Co-Produziert von Théâtre National de Chaillot (Paris), Monaco Dance Forum, Teatre Nacional de
Catalunya, Mercat de les Flors (Barcelona), Opéra de Dijon, Grand Théâtre de Luxembourg
Mit Unterstützung von Cedar Lake Contemporary Ballet, Het Toneelhuis (Antwerp)
Uraufführung 13. Oktober 2009, Sadler’s Wells Theatre, London
Le Spectre de la Rose (Deutsche Erstaufführung)
Choreographie Marco Goecke
Musik Carl Maria von Weber
Kostüme Michaela Springer
Bühne Marco Goecke, Michaela Springer
Licht Udo Haberland
Uraufführung 14. Juli 2009, Les Ballets de Monte Carlo
Bolero
Choreographie Maurice Béjart
Musik Maurice Ravel
Licht John van der Heyden
Stuttgart, 19. Dezember 2016
Uraufführung 10. Januar 1961, Ballet du XXe Siècle, Brüssel
Erstaufführung beim Stuttgarter Ballett 21. Juli 1984
Musikalische Leitung James Tuggle, Staatsorchester Stuttgart
Weitere Vorstellungen im Opernhaus 7., 8., 10., 11., 14., 23., 27. und 28. Februar, 4. und
7. März 2017