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Berliner Theatertreffen 2008 - NACH BERLIN

Die Jury hat die 10 bemerkenswertesten deutschsprachigen Inszenierungen für das Theatertreffen (2. – 18. Mai 2008) ausgewählt, ebenso die zehn europäischen Autorinnen und Autoren für den Stückemarkt.

Hauptspielort des Festivals mit fünf Gastspielen ist das Haus der Berliner Festspiele. Hier finden wieder die Diskussionen, die Lesungen des Stückemarktes, Preisverleihungen, Konzerte der Nachtmusik und die legendären Partys statt. Das Theatertreffen-Geschehen wird auf allen Bühnen, in den Foyers, der Kassenhalle und rund ums Haus zu erleben sein. Weitere Spielorte sind das Deutsche Theater, das Maxim Gorki Theater, die schaubühne am lehniner platz, das Radialsystem V und die Lokhalle im Natur-Park Schöneberger Südgelände.

 

NACH BERLIN – so das diesjährige Motto – werden Inszenierungen aus Frankfurt/Main, Hannover, Hamburg, Köln, München und Zürich eingeladen, zwei Inszenierungen kommen aus dem Deutschen Theater Berlin. Hier die 10 ausgewählten Inszenierungen:

 

Michael Thalheimer / Deutsches Theater Berlin

„Die Ratten“ von Gerhart Hauptmann

 

Jürgen Gosch / Deutsches Theater Berlin

„Onkel Wanja“ von Anton Tschechow

 

Armin Petras / schauspielfrankfurt

„Gertrud“ nach Einar Schleef

 

Sebastian Nübling / schauspielhannover,

Deutsches Schauspielhaus in Hamburg und

Festival Theaterformen 2007

„Pornographie“ von Simon Stephens

 

Stephan Kimmig / Thalia Theater, Hamburg

„Maria Stuart“ von Friedrich Schiller

 

Signa Sørensen und Arthur Köstler /Schauspiel Köln

„Die Erscheinungen der Martha Rubin“

Eine Nonstop-Performance-Installation von Signa

 

Thomas Ostermeier / Münchner Kammerspiele

„Die Ehe der Maria Braun“ nach R. W. Fassbinder

 

Stefan Pucher / Münchner Kammerspiele

"Der Sturm“ von William Shakespeare

 

Christoph Marthaler / Rote Fabrik Zürich und dieproduktion GmbH

„Platz Mangel“

Ein Projekt von Christoph Marthaler

 

Jan Bosse / Schauspielhaus Zürich

„Hamlet“ von William Shakespeare

 

Zur Jury des Theatertreffens gehören in diesem Jahr Eva Behrendt, Jürgen Berger, Karin Cerny, Stefan Keim, Hartmut Krug, Peter Müller und Christopher Schmidt.

 

Eröffnet wird das Theatertreffen am Freitag, den 2. Mai 2008 im Haus der Berliner Festspiele.

 

Der schriftliche Vorverkauf mit Bestellcoupon beginnt voraussichtlich Ende März. Bei Interesse wird der Bestellcoupon zugeschickt: Näheres unter www.theatertreffen-berlin.de oder Tel. (030) 254 89-100.

 

Die Zusammenarbeit mit 3sat und dem ZDFtheaterkanal geht in ihr erfolgreiches 13. Jahr. Bereits zum zwölften Mal wird der 3sat-Preis an eine Künstlerin oder einen Künstler, der an einer Inszenierung des Theatertreffens mitwirkt, verliehen. Einige der Inszenierungen werden im Mai in 3sat ausgestrahlt.

 

Das Theatertreffen wird seit 2004 von der Kulturstiftung des Bundes gefördert.

 

Deutsches Theater Berlin

Die Ratten von Gerhart Hauptmann

Regie Michael Thalheimer

Premiere 6. Oktober 2007

 

Aufrechte Menschen sind in Michael Thalheimers Inszenierung nicht vorgesehen. Eingezwängt zwischen eine portalfüllende Holzpresse spielt das Ensemble des Deutschen Theaters mit eingezogenen Köpfen, gekrümmten Rücken und seltsam verzerrten Proportionen – ein triftiges Bild für die von Ratten behausten Berliner Dachböden, die drückenden Verhältnisse, die der programmatische Naturalist Gerhart Hauptmann schilderte. In diesem Spalt entfaltet das Drama um unerfüllten Kinderwunsch und katastrophischen Babyklau ein zeitlos tragisches Potenzial: Die Unterschichtsdarsteller sprechen überscharf im Dialekt, was der Einfühlung in Frau Johns Torschlusspanik, Pauline Piperkarckas Junkie-Reue und Brunos verschlagene Gewaltbereitschaft einen Riegel vorschiebt. Gleichwohl spielen Constanze Becker und Regine Zimmermann, aber auch Sven Lehmann und Niklas Kohrt unter Gefühls-Hochdruck, Münder und Augen offene Ventile. Dicht daneben streiten mit Theaterdirektor Hassenreuter und Student Spitta zwei – gleichfalls gebeugte – Bohèmiens über Menschenbilder in der Kunst. Weder aktualisiert Thalheimer Hauptmann, noch historisiert er ihn. Mit den „Ratten“ hat er ein dunkles und expressives Menschenporträt gemalt, von dem der Betrachter Augen und Ohren nicht lassen kann.

 

Deutsches Theater Berlin

Onkel Wanja von Anton Tschechow

Deutsch von Angela Schanelec nach einer Übersetzung von Arina Nestieva

Regie Jürgen Gosch

Premiere 12. Januar 2008

 

In den letzten Jahren hat Jürgen Gosch seine Schauspieler in immer neue elementare Spiele verwickelt und fast aggressiv in die Nähe der Performance Art getrieben. Jetzt stellt er demonstrativ einen Samowar in den Mittelpunkt seines „Onkel Wanja“ – und erzählt das Stück ganz psychologisch-realistisch. Ein Anfall von einfühlender Tschechow-Nostalgie? Keineswegs. In dem mit frischer Erde bestrichenen Bühnenkasten von Johannes Schütz, der das Geschehen abstrakt grundiert, blicken Regisseur und Ensemble hellwach und neugierig auf Figuren und Situationen, die sie so ernst nehmen wie sich selbst. „Wenn man kein wirkliches Leben hat, dann nimmt man eben die Illusion“: nach diesem Motto lebt Wanjas Familie samt Sommergästen. Jens Harzers Arzt trinkt und tänzelt über seine Trübsal hinweg, während Ulrich Matthes’ Wanja, dessen depressive Hellsichtigkeit den Abend begleitet wie ein dunkler Bass, am Ende echte Tränen vergießt. Auch die desillusionierte Professorengattin Elena (Constanze Becker), in die alle vernarrt sind, und die ungeliebte Zweckoptimistin Sonja (Meike Droste) bilden ein komplementäres Paar, in dem immer eine das hat, was der anderen zu ihrem Glück fehlt. Neben aller spielerischen Intensität und Komik wird so ein geheimer Bauplan des Menschseins sichtbar. Dazu passt auch die symmetrische Architektur des Abends: Das erste Bild fädelt sich ohne Hast in das Landleben hinein, das vierte fadet langsam aus, dazwischen offene Sinnfragen, hundstraurig verfehlte Lieben und komische Familienkatastrophen. In dreieinhalb Stunden das ganze Leben.

 

schauspielfrankfurt

Gertrud nach dem Roman von Einar Schleef, für die Bühne eingerichtet von Jens Groß

Regie Armin Petras

Premiere 21. Dezember 2007

 

Einar Schleefs monumentaler Roman „Gertrud“ ist mehrfach für die Bühne eingerichtet worden, auch vom Autor selbst. Doch noch nie wurde dieser Romanbrocken, laut Schleef „Pyramide für meine Mutter“, zu solch klarer Bühnenerzählung. Wenn sich Gertrud in ihre Einsamkeit bohrt, sich an Erlebtes erinnert und aufbegehrend auf Kommendes blickt, dann spiegelt die Inszenierung in den Erinnerungen einer Kleinbürgerin aus Sangerhausen deutsche Geschichte. Armin Petras und der Dramaturg Jens Groß haben sich bei ihrer Dramatisierung auf die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts konzentriert. Vier wunderbare Schauspielerinnen spielen vier Gertruds, die sich bestätigen, einander widersprechen, sich anfeuern und Erlebtes so nachspielen, dass sich Schleefs monologischer Bewusstseinsstrom zu Dialogen und unangestrengtem Kammerspiel öffnet. Wenn die alte Gertrud in der Vergangenheit zu wühlen beginnt und den Bühnenboden anhebt, kommt im Unterboden die Abstellkammer der Geschichte mit den anderen Gertruds zum Vorschein. Friederike Kammer ist die alte, erschöpft aufbegehrende Gertrud, Anne Müller ist die jüngste, lebenslustigste, Sabine Waibel träumt so komisch wie berührend von Kaiserin Sissi, und Regine Zimmermann sucht auf witzig anrührende Weise vergeblich das Glück mit den Männern. Es gibt keine auftrumpfenden Bilder oder ironischen Kommentare, dafür fantasievoll eingesetzte Requisiten und nur wenige Videos: Dieses Identitäts-Suchspiel ist großartiges Schauspieler-Theater.

 

schauspielhannover / Deutsches Schauspielhaus in Hamburg / Festival Theaterformen 2007

Pornographie von Simon Stephens

Uraufführung

Regie Sebastian Nübling

Premiere Hannover 15. Juni 2007

Premiere Hamburg 5. Oktober 2007

 

London 2005, die Tage der U-Bahn-Anschläge, der Olympia-Nominierung und des Benefiz-Konzerts „Live 8“: eine Stadt zwischen Euphorie und Trauer. Simon Stephens versammelt sieben Geschichten, als Countdown hin zu einer Katastrophe, die er bewusst ausspart. Stattdessen erzeugt er eine Atmosphäre der Verunsicherung und spiegelt in kleinen Alltagsgeschichten den „home grown terrorism“. Da ist die junge Mutter, die im Job gemobbt wird und Firmengeheimnisse verrät; der Schüler, der seiner Lehrerin auflauert; ein Geschwisterpaar, das den Mut zum Inzest aufbringt; ein Familienvater mit einer Bombe in seiner schweren Tasche; ein Professor, der eine ehemalige Studentin für sich tanzen lässt; eine alte Frau, die wildfremde Menschen um Essen bittet. Stephens befasst sich mit den strukturellen Voraussetzungen des Terrorismus. Isolierte Großstadtbewohner brechen Tabus, um sich zu spüren, und geben sich damit der pornographischen Logik anheim. Sebastian Nübling inszeniert mit der für ihn typischen spielerischen Unangestrengtheit im sensationellen Bühnenbild von Muriel Gerstner. Die Schauspieler puzzeln am raumfüllenden Gemälde von Pieter Brueghels „Der Turmbau zu Babel“, schalten sich wie in einem Stafettenlauf immer wieder ins Spiel ein und sorgen für die kongeniale Uraufführung des intelligenten Stückes über eines der wichtigsten Themen unserer Zeit.

 

Thalia Theater, Hamburg

Maria Stuart von Friedrich Schiller

Regie Stephan Kimmig

Premiere 24. Februar 2007

 

Die Wut über die Äußerungen des deutschen Innenministers, Folter als Waffe im Kampf gegen den Terror nicht länger ausschließen zu wollen, war für Stephan Kimmig der Auslösereiz, Schillers „Maria Stuart“ als analytische Studie über Staatsterrorismus zu inszenieren. Susanne Wolff spielt die gefangengesetzte schottische Königin; mit Kabelbindern an einen elektrischen Stuhl gefesselt befindet sie sich im Hinterzimmer eines lichten Bungalows: der Transparenz, Bürgernähe und Aufgeklärtheit suggerierenden Machtzentrale der englischen Königin Elisabeth (Paula Dombrowski). Ineinandergeschachtelte Beton- und Glaswände gewähren Durchsichten und camouflieren doch die Gewaltstrukturen, Staatsbeamte verstecken Todesurteile in unscheinbaren Aktenmappen, und selbst die Bäume im Innenhof sind nur noch Insignien der unterworfenen Natur. Stephan Kimmig erzählt das Historiendrama als Polit-Thriller und hat es dafür so weit von seinem idealistischen Überbau befreit, dass man die Konstruktion der zynischen Machenschaften und die Logik der Staatsgewalt in ihrer ganzen Härte durchschaut. Zugleich zeigt er glasklar, wie man Menschen zu Mördern macht, indem man Verantwortung atomisiert und dadurch jedes Verbrechen anonymisiert. Im Kampf gegen die Terroristin Maria Stuart macht sich der Staat selbst terroristische Methoden zueigen und setzt seine Legitimität aufs Spiel. So rückt uns in Kimmigs luzider und eminent politischer Sichtweise Schillers Tragödie beunruhigend nah, als ebenso brisante wie verstörende Anatomie eines Justizmordes.

 

Schauspiel Köln

Die Erscheinungen der Martha Rubin

Eine Nonstop-Performance-Installation von Signa

Idee, Konzept, Regie Signa Sørensen und Arthur Köstler

Premiere 13. Oktober 2007

 

Eintauchen in eine fremde Welt, nicht nur geistig, sondern mit dem ganzen Körper: Die Zuschauer bewegen sich in einer abgewrackten Containerstadt. Sie nehmen teil am Leben dieses Niemandslandes, trinken und tanzen mit den Bewohnern, lassen sich massieren oder gehen in die Peepshow. Soldaten gehen Streife, führen Besucher ab, verhören sie. Es geht um Macht, um Nähe und Betrug, um eine seltsame junge Frau, die in einem Schrein über der Containerstadt schläft, tagelang, wochenlang und irgendwann erwacht. Das ist Martha Rubin. Man kann sie besuchen, ihr opfern, darauf hoffen, dass sie kurz die Augen aufschlägt. „Die Erscheinungen der Martha Rubin“ ist eine ganz ungewöhnliche Theaterform. Bis zu 84 Stunden lang improvisieren die Darsteller, die zum großen Teil keine Profis sind. Was die Zuschauer erleben, haben sie selbst in der Hand. Sie recherchieren Hintergründe, sind quasi Ethnologen. Oder einfach nur Beobachter und Touristen, ganz wie sie wollen. Das dänisch-österreichische Performance-Duo Signa denkt die Faszination von Computerspielen ins Fleischliche weiter und gibt dem Theater eine unglaubliche Unmittelbarkeit, Wärme und auch ein starkes Verstörungspotential.

 

Die Nonstop-Performance-Installation des dänisch-österreichischen wird an einem ebenso spektakulären Spielort zu sehen sein: Erstmalig bespielt das Theatertreffen die denkmalgeschützte Lokhalle des Naturparks Schöneberger Südgelände. Iris Laufenberg, die Leiterin des Theatertreffens, ist begeistert: „Wir haben ein optimales Ambiente für diese besondere Performance-Gruppe gefunden, die neun Tage und Nächte die Halle rund um die Uhr bespielen wird.“. Für die Performance-Installation von SIGNA verwandelt sich die Lokhalle vom 2. Mai 12.00 Uhr bis 10. Mai 18.00 Uhr in die abgewrackte Containerstadt Ruby Town. Rund 40 Darsteller beziehen für die Dauer von neun Tagen diese Siedlung, wohnen, schlafen, essen und arbeiten hier. Was die Besucher in Ruby Town erleben, haben sie selbst in der Hand: Sie können am Leben der Bewohner teilnehmen, mit ihnen trinken und tanzen – oder einfach nur Beobachter sein.

„Die Erscheinungen der Martha Rubin“, die bisher längste Inszenierung in der Geschichte des Theatertreffens, wird fast 200 Stunden am Stück dauern und Elemente aus Popkultur, Unterhaltungsindustrie und Filmwelt miteinander verbinden. Das Künstler-Duo SIGNA denkt die Faszination von Computerspielen ins Reale weiter und gibt dem Theater eine unglaubliche Unmittelbarkeit, Wärme sowie ein starkes Verstörungspotential.

 

Karten für „Die Erscheinungen der Martha Rubin“ können nur vor Ort erworben werden und erlauben einen bis zu 12-stündigen Besuch in Ruby Town. Aufgrund einer begrenzten Besucher-Kapazität können Interessierte unter einer Hotline, die rechtzeitig bekannt gegeben wird, die aktuellen Wartezeiten vor den Toren von Ruby Town erfahren. Orts- und wetterbedingte Kleidung bitte mitbringen!

 

Zu Erreichen ist die Lokhalle über den S-Bahnhof Priesterweg.

 

Münchner Kammerspiele

Die Ehe der Maria Braun

Drehbuch von Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich

nach einer Vorlage von Rainer Werner Fassbinder

Regie Thomas Ostermeier

Premiere 6. Juni 2007

 

Dreißig Jahre nach der Gründung der BRD warf Rainer Werner Fassbinder in seinem Film „Die Ehe der Maria Braun“ einen kritischen Blick auf die Wirtschaftswunderjahre: Materiell geht es stetig bergauf, aber am Ende muss selbst die emanzipierte Selfmade-Frau Maria Braun erkennen, dass sie nur ein Stück Ware in einem abgekarteten Männerspiel war. Thomas Ostermeier setzt in seiner temporeichen Inszenierung an den Münchner Kammerspielen auf fünf grandiose Darsteller, die in sämtliche Rollen schlüpfen und dabei leichtfüßig das Geschlecht wechseln. Brigitte Hobmaier ist so souverän, sexy und unantastbar wie Hanna Schygulla, die Fassbinders Film damals zum internationalen Star gemacht hat.

 

In seiner geradlinig erzählten, eleganten und höchst komödiantischen Bühnenadaption vermeidet Ostermeier jede Aktualisierung – und doch scheint die Maria Braun seiner 50er Jahre Gender-Studie wie ein früher Vorläufer unserer heutigen Ich-AGs.

 

Münchner Kammerspiele

Der Sturm von William Shakespeare

Deutsch von Jens Roselt in einer Bearbeitung von Stefan Pucher

Regie Stefan Pucher

Premiere 8. November 2007

 

Prospero hat ausgezaubert: Vor dem Hintergrund der heutigen Unterhaltungsindustrie wirken die magischen Fähigkeiten des einsamen Inselherrschers nur noch rührend. Schon der Schiffbruch, mit dem Shakespeares letztes Stück beginnt, ist bei Stefan Pucher das Making-of eines B-Movies. Dem humanistischen Pathos des geläuterten Prospero kann der Regisseur nicht glauben, schließlich ist unsere Weltsicht immer schon medial aufbereitet und codiert. Und so west der von Hildegard Schmahl gespielte Prospero als unerlöster Edel-Zombie aus dem Geist der Grafen Dracula und Monte Christo in einer Art postkolonialer Luxus-Lodge und lässt sich von seinen rebellischen Sklaven Caliban und Ariel bedienen. Die neapolitanischen Havaristen scheinen aus einem Mafia-Film zu stammen, die Liebenden Miranda und Ferdinand hingegen direkt der Yellow Press entsprungen. Und Trinculo und Stephano wandeln auf der skurrilen Spur der britischen Kunstexzentriker Gilbert & George und spielen eine ihrer Performances nach. Die Bühne besteht aus riesigen Buchseiten, die Pucher aufschlägt, als blättere er in Shakespeares Stück wie in einer bunten Pop-up-Fibel der schwarzen Pädagogik. Voller Skepsis und mit melancholisch grundierter Ironie gibt er den popkulturellen Märchenonkel, der uns die todtraurige Geschichte vom gescheiterten Prozess der Zivilisation erzählt und dabei gleichwohl eine autarke Bilderwelt erschafft. Eine so witzige wie wunde Robinsonade über die verpasste „Möglichkeit einer Insel“ (Houellebecq).

 

Rote Fabrik Zürich / dieproduktion GmbH

Platz Mangel

Ein Projekt von Christoph Marthaler

Regie Christoph Marthaler

Premiere 6. Dezember 2007

 

Natürlich ist „Platz Mangel“ unverkennbar ein Marthaler, und wie immer legt sich auch diesmal die Zeit bleiern auf die Figuren. Das Gewicht des Lebens zwingt auf oder ins Bett – und manchmal auch darunter. In weißen Bademänteln und großen Sonnenbrillen liegen sie da, die feudalen Patienten von Dr. Dr. Bläsis Höhen- und Tiefenklinik, machen sich mit vertrackten Versicherungsvarianten vertraut, hören einem Traktat über Geist und Gott zu, wollen jedem Gramm Fett zu Leibe rücken und wissen doch, dass sich vom Himmel nur singen lässt. Schöner und kunstvoller denn je ertönen die Lieder, von Schubert und Mahler über Brigitte Bardot bis zum wiederholten „You can win if you want“ von Modern Talking, um schließlich mit Bachs Johannes-Passion „nach Golgatha!“ zu führen. Marthaler ist der Alte und doch nachdenklicher als früher. Körper, Krankheit, Tod geistern obsessiv durch den klinischen Unort. Die Aufführung mit der wunderbaren „Marthaler-Familie“ geht nahe und wirkt nach.

 

Schauspielhaus Zürich

Hamlet von William Shakespeare

Deutsch von Elisabeth Plessen

Regie Jan Bosse

Premiere 3. März 2007

 

Alles scheint eine Nummer zu groß geraten in der zum Festsaal umgebauten Schiffbauhalle. Die erblindenden Spiegel, unter denen die Zuschauer zu Festgästen an den gedeckten Tafeln des faulen Staates Dänemark werden, der gewaltige Laufsteg in der Mitte, über den das frisch getraute Politpaar Claudius (Edgar Selge) und Gertrud (Franziska Walser) jovial winkend wandelt. Doch aus den Fugen geratene Dimensionen sind in Jan Bosses Inszenierung des Shakespeare-Dramas auch nötig. Denn Joachim Meyerhoff, der nicht mehr ganz junge Hamlet, füllt mit seinem hyperaktiven, scharf artikulierten Denken den größten Festsaal. Und er beansprucht den Raum ganz buchstäblich: Hamlets Rachemission um seines Vaters Geistes willen (den perfiderweise ebenfalls Selge spielt), mutiert zum paranoiden Machttrip; aus dem grauen Nerd wird ein kasperlehafter Meisterdenker, der alle Welt ungefragt in den Bann seiner böse-witzigen Lektionen zieht. Nachdem Hamlet für seine moralischen Überzeugungen zum Mörder geworden ist, krönt er sich, abweichend von Shakespeare, für einen Moment selbst zum König: Aus Hamlet wird der neue Geist, der Geist der Neuzeit, deren Gründungsmythos wieder und wieder erzählt werden muss. Auch Jan Bosse hat sich dem nicht entzogen und eine glasklar gedachte, in Großbuchstaben gespielte Version vorgelegt.

 

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Gerd Wameling ist in diesem Jahr Juror des Alfred-Kerr-Darstellerpreises

 

Der nach dem berühmten Theaterkritiker benannte Alfred-Kerr-Darstellerpreis wird zum 14. Mal im Rahmen des Theatertreffens verliehen. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis würdigt die herausragende Leistung eines/r Nachwuchsschauspielers/in in einer der zehn ausgewählten Inszenierungen des Theatertreffens. Die Preisträger der letzten Jahre sind u. a. Johanna Wokalek, Fritzi HaberlandtAugust Diehl, Devid Striesow und Julischka Eichel.

 

Nach prominenten Kolleginnen und Kollegen wie u. a. Ulrich Mühe, Ulrich Matthes, Martin Wuttke und zuletzt Martina Gedeck übernimmt in diesem Jahr der Schauspieler Gerd Wameling die Aufgabe des Jurors. Am Sonntag, den 18. Mai 2008 wird er den/die Preisträger/in küren und im Haus der Berliner Festspiele den Alfred-Kerr-Darstellerpreis 2008 verleihen.

 

Gerd Wameling, 1948 in Paderborn geboren, absolvierte seine Schauspielausbildung an der Folkwang-Hochschule in Essen. Sein erstes Engagement hatte er am Theater am Turm in Frankfurt am Main.

 

Dort entdeckte ihn Peter Stein und holte ihn 1974 nach Berlin an die Schaubühne, deren renommiertem Ensemble Gerd Wameling fast 20 Jahre angehörte. Seit 1992 arbeitete er u. a. bei den Salzburger Festspielen. In Berlin war er in der Bar jeder Vernunft und im Renaissance-Theater zu sehen.

Am Burgtheater Wien kann man ihn immer wieder als Serge in Yasmina Rezas „Kunst“ bewundern.

 

In Film und Fernsehen war Wameling u. a. in Wim Wenders „In weiter Ferne so nah“, in der Krimireihe „Bella Block“ und im Tatort zu sehen. 2007 arbeitete er erneut mit Wolfgang Panzer bei dessen Remake von Bernhard Wickis „Die Brücke“ zusammen.

 

Seit 1981 unterrichtet Gerd Wameling am Mozarteum Salzburg und an der Universität der Künste, die ihn 2005 zum ordentlichen Professor an die Fakultät Darstellende Kunst berief. 1993 wurde er mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet.

 

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Die stetig wachsende Zahl internationaler Zuschauer, darunter viele Fachbesucher aus den europäischen Ländern und aus Übersee, ist für die Festivalleitung Anlass und Motivation, eine Auswahl der zum Theatertreffen eingeladenen Inszenierungen englisch zu übertiteln. Der Testlauf im vergangenen Jahr fand so viel positive Resonanz, dass 2008 gleich drei der Gastspiele Übertitel erhalten: „Der Sturm“ (Münchner Kammerspiele, Regie: Stefan Pucher) am 2. und 3. Mai, „Gertrud“ (schauspielfrankfurt, Regie: Armin Petras) vom 5. bis 7. Mai und „Pornographie“ (Eine Koproduktion des schauspielhannover mit dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und dem Festival Theaterformen) am 9. und 10. Mai.

 

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Die zehn europäischen Autorinnen und Autoren für den Stückemarkt des Theatertreffens 2008 sind ausgewählt

 

646 Autorinnen und Autoren aus 33 europäischen Ländern haben sich in diesem Jahr für den Stückemarkt beworben. Die Jury aus renommierten Theatermachern und Autoren – Nuran David Calis, Dea Loher, Viola Hasselberg, Iris Laufenberg und Koen Tachelet – hat nun die zehn AutorInnen ausgewählt, die im Mai nach Berlin eingeladen werden.

 

Folgende fünf Autoren – zwei aus Spanien und je einer aus Deutschland, Belgien und Russland – werden im Rahmen des Theatertreffens ihre Stücke in szenischen Lesungen im Haus der Berliner Festspiele präsentieren:

 

Paul Brodowsky (Berlin, Deutschland): „Regen in Neukölln“

 

Sergej Medwedew (Rostow am Don, Russland): „Parikmacherscha“ (Die Friseuse)

 

José Manuel Mora (Madrid, Spanien): „Mi alma en otra parte“ (Meine Seele anderswo)

 

Esteve Soler (Barcelona, Spanien): „Contra el progrés“ (Gegen den Fortschritt)

 

Klaas Tindemans (Brüssel, Belgien): „Bulger“

 

In ihrer thematischen Vielfalt und ihrer sprachlichen Verortung fügen sich die fünf nominierten Stücke zu einem Tableau: In Paul Brodowskys „Regen in Neukölln“ begeben sich Helden der Großstadt auf einen atmosphärisch-surrealen Trip durch die Neuköllner Nacht. „Die Friseuse“ in Sergej Medwedews Stück träumt von Moskau und liebt einen Mörder, den sie nicht kennt. Der Spanier José Manuel Mora erzählt in einem kleinen Stück eine große Familiengeschichte über Blut und Erde. In sieben böse-burlesken Szenen stellt der Katalane Esteve Soler in „Contra el progrés“ die Krankheiten unserer modernen Zivilisation dar. Der belgische Autor Klaas Tindemans seziert in „Bulger“ – ohne es zu werten – ein verstörendes Verbrechen, das 1993 in Liverpool von Kindern verübt wurde.

 

Fünf weitere AutorInnen wurden mit ihren Stücken zur Teilnahme am Dramatikerworkshop unter der Leitung von John von Düffel eingeladen:

 

Anne Habermehl (Berlin): „Letztes Territorium“

Nicole Kanter (Wien): „Nach unserer Zukunft“

Andreas Liebmann (Zürich/Berlin): „die toten von heilbronn“

Laura Naumann (Hohendorf): „meerrauschenhören“

Sabine Wen-Ching Wang (Zürich): „Hund Hund“

 

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Erika Stucky beim Theatertreffen 2008

Als musikalischer Ehrengast kommt eine außergewöhnliche Künstlerin zum Theatertreffen 2008. Die in den USA und in der Schweiz aufgewachsene Sängerin und Bandleaderin Erika Stucky gastiert mit ihrem aktuellen Programm „Suicidal Yodels“ beim Festival und tritt gemeinsam mit den Musikern Jon Sass und Sebastian Fuchsberger im Haus der Berliner Festspiele auf.

 

In ihren Live-Konzerten kreiert Erika Stucky mit ihrer unverkennbaren Stimme schweizerische Jodel und Alpenblues, gemixt mit Jazztönen und überrascht mit abwechslungsreichen Interpretationen von Britney Spears bis Elvis Presley. Bei den Berliner Festspielen war sie bereits zwei Mal live beim JazzFest vertreten und 2007 mit dem preisgekrönten Schweizer Film „Heimklänge“ auch bei der MaerzMusik.

 

Spätestens seit dem Erfolg dieser Filmdokumentation ist Erika Stucky auch einem breiteren Publikum bekannt. Durch die Einladung zum Theatertreffen wird sie auch der Theaterwelt nicht länger vorenthalten.

Das einmalige Konzert von Erika Stucky im Rahmen des Theatertreffens 2008 findet am Freitag, den 9. Mai um 22.30 Uhr im Haus der Berliner Festspiele statt.

 

Besondere Aufmerksamkeit gilt in diesem Jahr der Nonstop-Performance-Installation "Die Erscheinungen der Martha Rubin" von SIGNA - Signa Sørensen und Arthur Köstler - , die neun Tage lang (2.-10. Mai) rund um die Uhr in der Lokhalle/Schöneberger Südgelände gezeigt wird.

 

www.berlinerfestspiele.de

 

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Das Theatertreffen strahlt weit aus mit 3sat und ZDFtheaterkanal

Fünf TV-Übertragungen der eingeladenen Inszenierungen

 

Die erfolgreiche Medienpartnerschaft zwischen dem wichtigsten Theaterfestival der deutschsprachigen Bühnen – dem Theatertreffen Berlin – und dem ZDF geht ins 12. Jahr.

 

Die Kooperation begann 1997 mit dem erstmaligen Versuch, die nach Berlin eingeladenen Inszenierungen im Fernsehen zu übertragen. Im Jahr 2008 sind es vier Gastspiele, die live oder zeitversetzt auf 3sat und im ZDFtheaterkanal gezeigt werden. Es sind: „Der Sturm“ und „Die Ehe

 

der Maria Braun“, beide von den Münchner Kammerspielen, „Die Ratten“ vom Deutschen Theater Berlin sowie „Pornographie“, eine Koproduktion des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg mit dem schauspielhannover/Festival Theaterformen. Die fünfte Inszenierung, „Maria Stuart“ (Thalia-Theater Hamburg) wird im Herbst ’08 auf ARTE ausgestrahlt.

 

Zum zwölften Mal wird der mit 10.000 Euro dotierte 3sat-Preis verliehen. Im vergangenen Jahr haben ihn Sebastian Nübling, Muriel Gerstner und Lars Wittershagen für „Dido und Aeneas“ vom Theater Basel erhalten. Der 3sat-Preis gehört – wie der Alfred-Kerr-Darstellerpreis und der Theaterpreis der Stiftung Preußische Seehandlung – zu den wichtigsten Ehrungen des Theatertreffens.

 

Die Kooperation mit 3sat/ZDFtheaterkanal ist eine bedeutende mediale Ergänzung des Theatertreffens, das Anziehungspunkt für viele Besucher ist, aber naturgemäß nur relativ wenig Zuschauern Platz bietet. Dank des Fernsehens erreicht das Festival zusätzliche Theaterfreunde allüberall.

 

Die erste Ausstrahlung der Eröffnungsinszenierung tt08 „Der Sturm“ von den Münchner Kammerspielen wird am 3. Mai um 20.15 Uhr auf 3sat ausgestrahlt.

 

 

 

 

 

 

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