Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Doppelpremiere mit Generationenkonflikten im Schauspiel LeipzigDoppelpremiere mit Generationenkonflikten im Schauspiel LeipzigDoppelpremiere mit...

Doppelpremiere mit Generationenkonflikten im Schauspiel Leipzig

16.09. 2010 IM CENTRALTHEATER:

 

"Die Räuber" von Friedrich Schiller, 18.00 Uhr, Centraltheater

"Vatermord" nach Arnolt Bronnen, 21.00 Uhr, Centraltheater Hinterbühne

"Die Räuber" von Friedrich Schiller

 

Neben Goethes FAUST ist Schillers DIE RÄUBER das deutsche Drama. Die Uraufführung 1782 war ein Skandal und machte den 22jährigen Autor über Nacht berühmt. Bis heute gilt Schillers Karl Moor als Inbegriff des deutschen Revolutionärs. Sein Aufstand gegen die Obrigkeit ist eine Rebellion der Jugend gegen die Generation der Väter, und damit gegen das herrschende System. Karls Fehler: Es ist eine Revolte für das Volk, aber nicht durch das Volk. Nicht politische Veränderung, sondern materieller Egoismus ist die Maxime seiner Räuberbande. Statt die existierenden Ungerechtigkeiten zu bestrafen, „das stockende Geld in Umlauf bringen, das Gleichgewicht der Güter wieder herstellen“, beherrscht Anarchie ihr Tun. Ernüchtert vom eigenen Scheitern, zieht Karl Resümee: „Zwei Menschen wie ich, könnten den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrunde richten.“ Statt persönlicher Freiheit und der Vision einer neuen politischen Ordnung, steht am Ende die Sehnsucht nach der Rückkehr in die alte Ordnung. Im Verhalten der Brüder Karl und Franz Moor wird Schillers Kritik an der Aufklärung evident. Er stellt die Frage, welcher Mensch – und weiterführend welche Gesellschaft – ohne Kategorien wie Moral, Schuld oder Gewissen bestehen kann.

Michael Billenkamp

 

mit Manolo Bertling, Maximilian Brauer, Artemis Chalkidou, Marina Frenk, Andreas Keller, Peter René Lüdicke, Holger Stockhaus

 

Regie: Martin Laberenz

Bühne: Susanne Münzner

Kostüme: Peter Schickart

Dramaturgie: Michael Billenkamp

 

"Vatermord" nach Arnolt Bronnen

 

Deutschland einig Vaters Land? Die Geschichte der Väter ist zunächst deren Geschichte als Söhne. Söhne von Familienvätern, Übervätern, geistigen Vätern, abwesenden Vätern, Ersatzvätern ... Und es ist eine Geschichte, in der diese Väter nicht selten getötet werden: mit Händen, Waffen, Worten, Blicken, in Gedanken, im ödipalen Reflex, in den politischen Arenen – und auch in der Kunst.

 

Jede neue Generation erlebt zwangsweise ihre Abgrenzung gegenüber dem Alten, jedes Ich seine Abnabelung. In der unweigerlichen Konkurrenzgeste steckt die Gewalt der unerklärten Liebe, die Frage nach der Anerkennung von Autorität und natürlich die Fiktion, alles anders machen zu können. So begründet sich im Kleinen wie im Großen eine Ideengeschichte des symbolischen Vatermordes, der auch seine real Toten fordert. Deutschland als Vaterland denken meint, seine geistige Vaterschaft, den Totentanz der Väter, eine Art Revue erleben.

 

Für Arnolt Bronnen war Deutschland ein biografisches Minenfeld. Mehr als das Kind seiner Eltern war er ein Kind seiner Zeit, in der sich Anfang des 20. Jahrhunderts mit pathetischer Erregtheit zahlreiche Jugendbewegungen formieren. Ihr privater Schrei nach Zukunft versteht sich als ästhetisch-politisches Programm. Sie rufen eine neue Zeit aus, die im Ersten Weltkrieg schnell altert und im Zweiten aus „Wandervögeln“ „Hitlerjungen“ rekrutiert. Bronnen selbst vollzieht seinen symbolischen Mord am jüdischen Vater, indem er sich für seinen „Ariernachweis“ kurzerhand zum Sohn eines anderen erklärt. Im literarischen VATERMORD verbaut er dem Jungen Walter den erträumten Zukunftshorizont durch häusliche Enge, in der die Verdrängung des Vaters so gewaltig und die beruflichen Erwartungen an den Sohn so erdrückend sind, dass die Befreiungsschläge tödliche Wunden reißen.

Anja Nioduschewski

 

mit Günther Harder, Marek Harloff, Okka Hungerbühler, Janine Kreß, Thomas Lawinky, Lenja Raschke, Berndt Stübner

 

Regie: Robert Borgmann

Bühne: Susanne Münzner

Kostüme: Janina Brinkmann

Musikalische Leitung: Frank Raschke

Dramaturgie: Anja Nioduschewski

 

Hinweis: Die Inszenierungen DIE RÄUBER und VATERMORD werden im Repertoire jeweils einzeln zu sehen sein, immer wieder aber auch in einer Langen Nacht hintereinander gespielt! Bitte beachten Sie diesbezüglich unsere besonderen Angebote, allen voran das Kombiticket für die direkt aufeinanderfolgenden Vorstellungen im Laufe eines Abends!

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 19 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

EXPLOSIVE KLANGMISCHUNG -- "Eine florentinische Tragödie" von Alexander Zemlinsky bei NAXOS (BR KLassik)

Nicht sonderlich erfolgreich geriet die Stuttgarter Uraufführung der einaktigen Oper "Eine florentinische Tragödie" von Alexander Zemlinsky im Jahre 1917 unter der Leitung von Max von Schillings. In…

Von: ALEXANDER WALTHER

Die ganze Wahrheit? -- „True Crime“ - Andrey Kaydanovskiy | Hege Haagenrud | Demis Volpi in der Deutschen Oper am Rhein

Drei tänzerische Perspektiven zu Wahrheit und Fiktion: Andrey Kaydanovskiy „Chalk“, Hege Haagenrud „The Bystanders“, Demis Volpi „Non-Fiction Études“  

Von: Dagmar Kurtz

SZENEN OHNE ILLUSIONEN -- "Tosca" von Giacomo Puccini in der Staatsoper Stuttgart

Kann Kunst unsere Wirklichkeit beeinflussen? Diese Frage steht als zentrales Thema im Zentrum der Inszenierung von Willy Decker, dessen Figuren sich in Puccinis "Tosca" in einem schwarzen Kasten…

Von: ALEXANDER WALTHER

RETTET DIE FRAUEN! -- Premiere "Zertretung" von Lydia Haider im Schauspiel Nord STUTTGART

Die 1985 in Oberösterreich geborene Lydia Haider hat hier einen radikalen Text vorgelegt, der zuweilen an Rainald Goetz erinnert. Die zentrale Frage lautet: Wie geht man mit einem System um, das…

Von: ALEXANDER WALTHER

ATEMLOSE HÖHENFLÜGE -- SWR Symphonieorchester mit Busoni und Sibelius im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Zwei unterschiedliche Zeitgenossen standen diesmal im Zentrum: Jean Sibelius und Ferrucio Busoni. Immerhin weiß man, dass beide in Helsinki Schumanns Klavierquintett in Es-Dur gemeinsam musizierten.…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑