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EIN GRANDIOSER ABSCHIED - "Die Walküre" von Richard Wagner am 4. März 2023 in der Staatsoper/STUTTGARTEIN GRANDIOSER ABSCHIED - "Die Walküre" von Richard Wagner am 4. März 2023 in...EIN GRANDIOSER ABSCHIED...

EIN GRANDIOSER ABSCHIED - "Die Walküre" von Richard Wagner am 4. März 2023 in der Staatsoper/STUTTGART

Drei verschiedene Regisseure haben sich dieser interessanten Produktion im Rahmen des wieder aufgenommenen "Ring"-Zyklus' angenommen.

 

Copyright: Martin Sigmund

Den ersten Akt gestaltet das niederländische Hotel Modern (Pauline Kalker, Arlene Hoornweg, Herman Helle in Kooperation mit Jorn Heijdenrijk, Edwin van Steenbergen, Robbert So und Nick Bos). Im Sinne von Bertolt Brecht werden hier die Formen der Verfremdung ausgeleuchtet. Dabei steht auch die anarchische Seite im Mittelpunkt. In Hermans Modellen werden Rasierpinsel und Petersilie zu Bäumen, das wirkt auch dadaistisch. Krieg, Zerstörung und Tod spielen in diesem ersten Akt ebenfalls eine große Rolle. Ängste und Schmerzen vereinigen das unglückliche Geschwisterpaar Siegmund und Sieglinde, die Bedrohung durch Sieglindes Ehemann Hunding verstärkt diese traumatischen Eindrücke. Die Zuschauer werden zum Teil des Spieles. So beherrschen viele Ratten die Film-Landschaft.

Zerstörte Städte und Landschaften korrespondieren mit dem blutigen Massaker an diesen Tieren. Zuletzt nimmt man ein erschreckendes Schlachtfeld wahr. Die Ratten sind hier ein Synonym für Leben und Tod. Es werden Seile von der Bühnentechnik in geheimnisvoller Weise hereingereicht. Die Figuren agieren wie Marionetten und hängen ebenfalls an kleinen Seilen. Die Spielszene überträgt sich in suggestiver Weise auf die Menschen. Siegmund, Sieglinde und Hunding agieren teilweise mit Rattenköpfen, die sie wieder abnehmen.

Und es gelingt Siegmund und Sieglinde am Ende, sich aus dieser eigentlich grausamen Verwandlung bei ihrer liebenden Vereinigung zu befreien. Das könnte man szenisch auch noch leidenschaftlicher gestalten. Das überdimensionale Schwert Nothung, das Siegmund mit übermenschlicher Kraft aus der Esche zieht und das in riesiger Tuchform auf der Bühne langsam heruntergelassen wird, symbolisiert dabei diese Befreiung. Allerdings ist dieser erste Akt bei dieser Inszenierung mit Einzelheiten überfrachtet, es gibt sogar Assoziationen zu Auschwitz. Und man denkt natürlich an den Ukraine-Konflikt.

Szenisch konzentrierter wirkt dann der zweite Akt in der düster-mystischen Inszenierung von Urs Schönebaum (Kostüme: Yashi). Hier erkennt man die Esche in stark verkleinerter Form wieder, die sich in einem Kasten befindet. Wotan spielt unbefangen mit seinen Kindern, bis ihn die Realität einholt. Schönebaum möchte gerade bei diesem hochdramatischen zweiten Akt die Größe der Musik aufnehmen. Dies gelingt nicht nur bei der entscheidenden Szene zwischen Wotan und Fricka, sondern auch bei der aufwühlenden Begegnung Wotans mit Brünnhilde und vor allem bei der erschütternden Todverkündigung, wo Brünnhilde im Fackelschein Siegmund sein Schicksal offenbart, wobei dieser himmlische Freuden in schroffer Weise ablehnt.

Es kommt zu einem szenisch schockierend-brutalen Schluss, wo Göttervater Wotan und nicht Hunding wie besinnungslos auf Siegmund einsticht. Auch Hunding wird dann mit dem Speer getötet. Und den blutüberströmten Siegmund lässt man wie in einem Horrorfilm nach oben fahren. Die Formen der Verfremdung werden so ins Goteske ausgeweitet. Es gibt in diesem visuell heftigen zweiten Akt zudem sieben Türme, die in verschiedenen Konstellationen immer wieder andere Konstellationen von Architekturen zitieren. Man denkt zuweilen auch an die Tempel verschiedener Religionen. Und alles ist in Nebel eingehüllt. Bei Yashi ist außerdem jede Figur aus einer anderen Epoche eingekleidet, was durchaus Sinn macht.

In eine gänzlich andere Welt entführt die Zuschauer dann der dritte Akt in der Inszenierung von Ulla von Brandenburg (Co-Regie: Benoit Resillot; Raum und Kostüme: Julia Mosse).  Hier wird nämlich die Musik auf eine sinnliche Weise wahrgenommen: Wellenförmig, überirdisch, sogar ein wenig anthroposophisch. Die Gruppe rückt hier bei der gewaltigen Walküren-Szene deutlich ins Zentrum des Geschehens. Ulla von Brandenburg möchte das Publikum in einen anderen Bewusstseinszustand mitnehmen. Farben, Linien und abstrakte Formen gewinnen eine immer größere Bedeutung. Das zeigt sich vor allem bei der Verurteilung Brünnhildes durch den zornigen Wotan, der ihr ihre göttliche Funktion abspricht und sie auf ihre Rolle als Frau reduziert. Das Bühnenbild verwandelt sich dabei von der Göttlichkeit zur Menschlichkeit. Das hat vor allem am Schluss eine ergreifende Wirkung, wenn sich Wotan von Bünnhilde für immer verabschiedet. Da sieht man dann wie im Mondschein am Horizont eine zweite Brünnhilde in einem kreisrunden Objekt, das hell leuchtet. Es könnte auch ein anderer Stern sein. Und obwohl das Feuer nicht zu sehen ist, spürt man den flackernden Zauber bei dieser letzten Szene in bewegender Weise.

Musikalisch  ist diese Aufführung hervorragend. Schon Sturmmotiv und Gewitterzauber brechen zu Beginn ganz unmittelbar herein. Und die klangliche Qualität steigert sich noch. Das Staatsorchester Stuttgart musiziert unter der Leitung von Cornelius Meister im Laufe des Abends mit immer größerer Reife und Intensität. Davon profitieren vor allem auch die Sänger. Christopher Ventris als Siegmund und Simone Schneider als Sieglinde sind ein berührendes Geschwisterpaar, das sich gesanglich in fast idealer Weise ergänzt. David Steffens bietet als Hunding den notwendigen Kontrast, wenngleich ihm des Basses Grundgewalt fehlt. Ein grandioses Paar sind Okka von der Damerau als Brünnhilde und Thomas J. Mayer als Wotan, die sich bei der Abschiedsszene stimmlich in berührender Weise vereinigen.

So kommt die leitthematische Verflechtung dieser Musik in konzentriertester Form zur Wirkung. Und der poetisch-erhabene Eindruck dieser letzten Szene verstärkt sich noch. Der fulminante Klangteppich des Feuerzaubers lässt die Motive hell aufleuchten. Cornelius Meister wählt hier keine übereilten Tempi, sondern lässt die beiden melodischen Themen der Vaterliebe in voller Größe erklingen. Die kontrapunktischen Verstrickungen des Entsagungs- und Schlaf-Motivs werden so präzise ausgeleuchtet. Und in Violinen und Bratschen erklingt wunderbar ausgewogen das Scheidelied.

In weiteren Rollen triumphieren Annika Schlicht als sehr überzeugende Fricka sowie die gesanglich ausgewogen agierenden Walküren Esther Dierkes (Gerhilde), Clare Tunney (Helmwiege), Leia Lensing (Waltraute), Stine Marie Fischer (Schwertleite), Catriona Smith (Ortlinde), Linsey Coppens (Siegrune), Shannon Keegan (Rossweiße) und Maria Theresa Ullrich (Grimgerde).

Ovationen, tosender Beifall, Jubel.  
 

 

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