„Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut / In allen Lüften hallt es wie Geschrei“, veranschaulicht der 1942 im Vernichtungslager Sohibor von den Nationalsozialisten ermordete Lyriker den damaligen „Zeitgeist“ und hätte dabei durchaus auch auf Richard Strauss als musikalischen Kronzeugen zurückgreifen können.
Hatte doch der mutigste Tondichter der Jahrhundertwende mit der Salome (1905) und der Elektra (1909) die biblische bzw. antike Vorlage gleichsam umgedeutet, um Lust und Sexualität bzw. Mord und Tod mit seismographischer Sensibilität als die zeitgenössischen „apokalyptischen Reiter“ der Moderne in seinen grandios-monströsen Opern-Tragödien auszumachen und dabei dem „Bürger“ den „alten Hut“ der Tonalität tüchtig vom Kopf geblasen …
Doch das Jahr 1911 entzweit van Hoddis und Strauss – zumindest vordergründig. „Zurück zu Mozart!“, lautet die Parole, unter der Strauss und sein kongenialer Opern-Dichter Hugo von Hofmannsthal in einer bewusst anachronistischen Entscheidung, inhaltlich und ästhetisch Halt im 18. Jahrhundert suchen: mit dem 1911 in Dresden uraufgeführten Rosenkavalier. Die imaginäre Zeitmaschine führt Komponist und Librettist zurück ins „goldene Zeitalter“ der Regentschaft Maria Theresias und bringt sie zu einer an Mozart-Sehnsucht ausgerichteten Tonsprache, die psychologische Wahrhaftigkeit mit der Schönheit vollendet bewusster Formbeherrschung zu verbinden weiß, wobei das „Walzerglück“ im Rosenkavalier allerdings schon Anklänge Mahlerscher Zerrissenheit aufweist.
Die Fabel ist von Hofmannsthal selbst prägnant auf den Punkt gebracht worden: „Ein dicker, älterer, anmaßender Freier (Baron Ochs auf Lerchenau) vom Vater (Herrn von Faninal) begünstigt, wird von einem jungen, hübschen (Octavian) ausgestochen“, ignoriert dabei allerdings das begehrte Objekt (Sophie von Faninal) und die zentrale Bühnenfigur: die Feldmarschallin, die Octavian gleichsam zum Liebhaber „ausbildet“ und die selbst in der „Schule des Lebens“ lernen muss, dass alles Leben und Lieben dem unbarmherzigen Gesetz der Zeit unterliegt …
Wie in einem Zeit-Spiegel begegnen sich dabei auch die Figuren. Die reife, nicht alte (!) Marschallin war einmal eine junge unschuldig-erwartungsvolle Sophie, die vielleicht einmal eine Marschallin werden wird, und in Octavian und dem Baron Ochs spiegeln sich ein aufblühender und ein schon verblühter Don Juan. Die Zeit wandelt aber nicht nur die Seelen, sondern auch die gesellschaftlichen Verhältnisse: Der adelige Ochs ist total verarmt, der „Kriegsgewinnler“ von Faninal darf sich als neuer Herr gerieren; nicht mehr der Stand sichert die Existenz, sondern das Kapital …
Und plötzlich scheint es, als ob die Zeitreise ins 18. Jahrhundert nur ein genialischer „Trick“ von Strauss und Hofmannsthal gewesen wäre, um das von van Hoddis prognostizierte „Weltende“ noch viel grundsätzlicher zu thematisieren: als das unvermeidliche Ende einer historischen Epoche und das schmerzliche des individuellen Daseins, sofern der Mensch nur dann sinn(en)erfüllt lebt, wenn er liebt …
Wolfgang Haendeler
Musikalische Leitung Dennis Russell Davies /
Takeshi Moriuchi
Inszenierung Anthony Pilavachi
Bühne und Kostüme Tatjana Ivschina
Kostüme Marie-Therese Cramer
Choreographie Guido Markowitz
Chorleitung Georg Leopold
Leitung des Kinder- und Jugendchors Ursula Wincor
Dramaturgie Wolfgang Haendeler
Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg Karen Robertson / Astrid Weber
Der Baron Ochs auf Lerchenau Dominik Nekel
Octavian, genannt Quinquin,
ein junger Herr aus großem Haus Katerina Hebelkova /
Valentina Kutzarova
Herr von Faninal, ein reicher Neugeadelter Stefan Heidemann
Sophie, seine Tochter Mari Moriya
Jungfer Marianne Leitmetzerin, die Duenna Cheryl Lichter
Valzacchi, ein italienischer Intrigant Matthäus Schmidlechner
Annina, seine sogenannte Nichte Christa Ratzenböck
Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin Eugen Fillo / Csaba Grünfelder
Der Haushofmeister bei Faninal Eugen Fillo / Csaba Grünfelder
Ein Polizeikommissar Nikolai Galkin
Ein Notar Leopold Köppl
Ein Wirt / Ein Tierhändler Hans-Günther Müller
Ein Sänger, Allegorie der Zeit Pedro Velázquez Díaz /Jacques le Roux
Drei adelige Waisen Karin Behne / Mitsuyo Okamoto, Yoon Mi Kim-Ernst / Kateryna Lyashenko,
Jadviga Buddeus / Vaida Raginskyté
Eine adelige Witwe Matej Kubus
Eine Modistin Ulrike Weixelbaumer
Vier Lakaien der Marschallin Jochen Bohnen, Jang-Ik Byun, Seogmann Keum, Markus Schulz
Vier Kellner Jochen Bohnen, Siegfried Dietrich, Miguel Angel Santiago Sanpedro, Bonifacio Galván
Amor Magdalena Baehr / Marie-Therese Baehr / Victoria Nagler
Leopold Stefan Faschinger
Der Tod Gergely Dudas
Chor und Herren des Extrachors des Landestheaters Linz
Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz
in Kooperation mit der OÖ Vokalakademie
Statisterie des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz
Weitere Termine 22. und 26. Mai 2012; 12. und 15. Juni 2012; jeweils 18.30 Uhr