Wer eine glaubwürdige, leicht nachvollziehbare Handlung als ausschlaggebend für den Erfolg einer Oper sieht (gute Musik einmal vorausgesetzt), der bekommt mit dem Trovatore das Gegenbeispiel serviert – gilt doch die Handlung von Verdis 1853 uraufgeführter Oper als undurchschaubar. Es sollen schon Preise ausgelobt worden sein für den, dem es gelingt, die Handlung des Trovatore nachzuerzählen …
Doch niemand anderer als der instinktsichere Maestro selbst suchte das düstere, von unerwarteten Wendungen übervolle Drama El trovador seines spanischen Zeitgenossen García Gutiérrez aus. Er musste seinen Librettisten förmlich drängen, an die Arbeit zu gehen, so wenig war dieser von dem Drama überzeugt. Doch Verdi fühlte sich von der „Neuartigkeit und Bizarrerie“ des Stoffes inspiriert und konnte schließlich für Liebe, Leid und Hass der Helden dieses Stücks eine Musik finden, die (die Formulierung sei entschuldigt) wie der Blitz einschlägt. Nicht das Feine, nicht Eleganz waren das, was er hier wollte, sondern die reine Essenz der stärksten Gefühle, zu denen Menschen fähig sind – übertragen in eine schier vor Kraft strotzende Musik.
Und ganz nebenbei gelang Verdi etwas, das selbst den größten Komponisten selten glückte: Wäre der Trovatore ein modernes Pop-Album, dann gäbe es von den „songs“ dieses Albums nicht nur eine Hitsingle, sondern genau so viele wie die Oper Nummern hat. Der melodische Reichtum reicht vom ersten bis zum letzten Takt der Oper. Um sich an diesem Reichtum zu erfreuen, bedarf es keiner großen Vorbereitung für die Zuschauer. Im Gegenteil: Vor allem die Lektüre des Opernführers erweist sich in diesem Falle eher als verwirrend denn klärend. Deshalb folgen auch hier keine Handlungsbeschreibungen, sondern eine Art „GPS“, ein „Navi“ durch den beinahe undurchschaubaren Trovatore.
1. Verdi hat das Drama nicht zuletzt durch die Zuordnung der Stimmgattungen leichter verständlich gemacht – man muss nur das klassische Operndreieck kennen, wie es Verdi oft verwendet hat (in etlichen Frühwerken, aber auch etwa in Un ballo in maschera und Otello). Hier ist es: Manrico, der Troubadour (Tenor) und Graf Luna (Bariton) kämpfen um dieselbe Frau, Leonora (Sopran). Der von der Dame zurückgewiesene Bariton vereitelt schließlich erfolgreich das Glück von Tenor und Sopran. Am Ende unterliegt – dem Modell entsprechend – der Tenor und wird vom Bariton hingerichtet. Der Sopran stirbt fast immer in diesen Dreiecksgeschichten der italienischen Oper; hier vergiftet sich Leonora.
1b. Manrico und Luna sind Brüder – aber sie wissen es nicht.
2. Azucena, die Zigeunerin (der dramatische Mezzosopran), steht außerhalb des Operndreiecks. Doch gerade sie war für Verdi die Hauptfigur; ihr innerer Kampf zwischen zwei fundamentalen Empfindungen, stellte für Verdi das Mark des ganzen Dramas dar: ihre Liebe zur Mutter und ihre Liebe zum Kind. Azucena will ihre Mutter rächen, die vom Vater der beiden Brüder einst umgebracht wurde. Ein erster Versuch scheitert: Azucena möchte ein Grafenkind aus Rache töten; versehentlich wird ihr eigenes Kind das Opfer. Sie zieht nun Manrico, einen der Söhne des Grafen, auf und liebt ihn wie ihr eigenes Kind. Seine Herkunft verschweigt sie ihm. Ihre Rache ereignet sich schließlich anders, als sie dachte: Ein Grafenkind sollte sterben, doch es stirbt ihr geliebter Manrico.
3. Dass die beiden Brüder verfeindeten politischen Lagern angehören, war für den Regisseur Andreas Baesler (zuletzt hatte am Landestheater seine Inszenierung von Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk großen Erfolg) der Anlass, über den Hintergrund der Handlung nachzudenken. Anstatt die Geschichte in einem Erbfolgekrieg im Aragón des 15. Jahrhunderts zu belassen, den heute – zumal außerhalb Spaniens – kaum jemand kennen dürfte, hat er einen historischen Konflikt gefunden, der noch nah ist: den spanischen Bürgerkrieg. Dass gerade jetzt überall auf der Welt Konflikte unter Bürgern auszubrechen scheinen, macht die Warnung, die der Trovatore enthält, noch dringlicher. Trotz aller schwarzen Romantik und aller Operndreiecke enthält das Werk einen harten, sprich, wahren Kern: Wo Bürger gegen Bürger kämpfen, reißt die Decke der Zivilisation besonders rasch auf und setzt Unmenschlichkeit frei. Es wäre zu schön, wenn die Gewalt, die Graf Luna entfesselt, nur ein Schockeffekt des Theaterkenners Verdi wäre …
Libretto von Salvatore Cammarano
nach dem gleichnamigen Drama von Antonio García Gutiérrez
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung Dante Anzolini/ Ingo Ingensand/Marc Reibel
Inszenierung Andreas Baesler
Bühne Hartmut Schörghofer
Kostüme Corinna Crome
Chorleitung Georg Leopold
Dramaturgie Felix Losert
Leonora, Hofdame Irina Rindzuner,
Katrin Adel
Inez, deren Vertraute Myung Joo Lee,
Vaida Raginskyté
Conte di Luna Alik Abdukayumov
Ferrando, Hauptmann im Heer Lunas Nikolai Galkin,
Dominik Nekel
Azucena, eine Zigeunerin Larissa Schmidt
Manrico, Offizier Pedro Velázquez Díaz
Ruiz, Manricos Vertrauter Iurie Ciobanu,
Jacques le Roux
Chor des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz