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Mit Schwung ins Eigentor

„Leben bis Männer“ von Thomas Brussig im Düsseldorfer Schauspielhaus

Auf dem Weg zum Düsseldorfer Schauspielhaus dachte ich an die herrlichen Lesestunden, die ich mit Thomas Brussigs berühmtem Wenderoman „Helden wie wir“ verbracht hatte und freute mich auf sein Monologstück „Leben bis Männer“. Ich wurde nicht enttäuscht, im Gegenteil, ich erlebte einen vergnüglichen, nachdenklich stimmenden, lustigen, tieftraurigen, harten und doch irgendwie versöhnlichen Theatererabend.

Thomas Brussig wurde 1965 in Berlin geboren. In Ost-Berlin. Der erste Teil seines Lebens war eine typische DDR-Jugendzeit, die für sein schriftstellerisches Werk noch heute prägend ist.

Er hat eine Berufsausbildung als Baufacharbeiter, machte das Abitur und jobbte sich bis zur Wende so durch als Museumspförtner, Tellerwäscher, Reiseleiter, Hotelportier, Fabrikarbeiter und Fremdenführer. Auch den Wehrdienst musste er absolvieren. Im vereinigten Deutschland begann er dann ein Soziologiestudium und studierte Dramaturgie an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg. Heute lebt er als freier Schriftsteller. Einem breiten Publikum ist er als Autor des Films „Sonnenallee“ bekannt.

Die ganze Vielfalt und Tiefe seiner Erfahrungen fühlt man mitschwingen, wenn man sich auf eines seiner Werke einlässt. Sein Monologstück „Leben bis Männer“ wurde 2001 im Deutschen Theater Berlin uraufgeführt, den Text kann man in der „Collection“ von S. Fischer nachlesen.

In Düsseldorf ist das kleine Geviert der Probebühne mit einem fußballfeldgrünen Stoff überzogen, darauf stehen drei rote Unkleideraumsitze ohne Lehnen. Um die Bühne verteilt liegen ein paar Fußbälle Und dann tritt er auf. Ein kleiner älterer Mann in einem altmodischen Puma-Sportanzug, mit Umhängetasche und Mineralwasserflasche. Legt sich alles zurecht. Kommt ins Erzählen. Redet sich warm, räsoniert, zieht vom Leder, trumpft auf, gibt Niederlagen zu, um sich gleich wieder aufzuspielen.

Er war der Fußballtrainer einer kleinen Provinzmannschaft in der Magdeburger Börde. Ja, dieser kleine DDR-Fußballverein war seine Welt. Und je mehr er von dieser Welt erzählt, desto mehr gleicht sie im Kleinen der großen Welt um sie herum. So eine Fußballmannschaft ist eine ideale Metapher für ein autoritär geführtes System. Dieser „Cäsar der Seitenlinie“ lässt keine Zweifel daran, dass man mit harter Hand durchgreifen muss, wenn man im Fußball etwas erreichen will. Einer muss befehlen, muss schreien, muss die anderen drangsalieren. Eine Männerwelt. Frauen sind da nur als Energie-Hormon-Adrenalin-Aufputscherinnen willkommen. Sobald sie die Spieler mit eigenen Bedürfnissen nerven, werden sie lästig. Da spricht einer, der den Durchblick hat. Sein Ernst hat für uns etwas ungeheuer Komisches, seine Froschperspektive ist tragisch und lustig zugleich. Vom kleinen Ball kommt er immer wieder auf den großen Erdball und was sich darauf so tut, er gerät ins Philosophieren über die Evolutionsgeschichte der Menschheit und über die Politik, die ihn immer gestützt oder gestört hat. Die Fäden seines Erzählens scheinen sich zu verlieren - aber genau in diesem Moment kommt er auf die Wende zu sprechen

Sie hat ihn ins Abseits geschossen. Sie brachte die Katharsis. Seine Mannschaft zerfiel, sein bester Spieler hatte plötzlich einen Prozess als Mauerschütze am Hals. Was er nur mit verständnislosem Kopfschütteln quittieren kann. Ja, und jetzt bringt er sein Leben so hin, ist beim alten Eisen, niemand braucht ihn mehr - und er hat im Grund nicht viel gelernt aus all den großen und kleinen Umwälzungen.

Brussigs Sprache ist ganz nah bei seinem Helden. Sie versucht nie, den kleinen Mann aus überlegener intellektueller Sicht lächerlich zu machen Sie hält eine feine Balance zwischen Komik und Tragik, Nostalgie und Zukunft. Dass er wie wir alle eben nur ein Mensch und somit zu allem fähig war, ist tieftraurig, weckt durch Brussigs liebevolle Schilderung aber auch irgendwie unsere Fähigkeit zum Nachfühlen. Und reizt zum Nachdenken darüber, wie eine bessere Welt aussehen könnte.

Winfried Küppers verkörpert den kleinen Fußballdiktator a.D. in geradezu idealer Weise. Die behutsame Inszenierung von Adam Nalepa verzichtet auf alle Mätzchen und bringt hochsensibel nichts anderes als diese bemerkenswerte Geschichte zum Leuchten.

Premiere Herbst 2005 auf der Probebühne des Düsseldorfer Schauspielhauses. Vorstellungen auf dem laufenden Spielplan

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