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Rheinisches Landestheater Neuss: "Café Umberto" von Moritz Rinke

Premiere 15.03.2008 | 20:00 | Schauspielhaus

Moritz Rinke hat ein Stück geschrieben, das ein brennendes gesellschaftliches Problem unserer Zeit auf die Bühne bringt, und es ist ihm damit - scheinbar paradox - eine optimistische Tragödie gelungen.

„Wo ist dein Stolz? Warum trotzt du nicht der Welt?“ Diese verzweifelte Frage stellt Paula ihrem Freund Anton. Beide drohen sich zu verlieren, sie sucht nach dem Mann, in den sie sich einst verliebt hat, er sehnt sich nach seiner verlorenen Leichtigkeit zurück, denn - beide sind arbeitslos, und das nagt am Selbstwertgefühl, an der Achtung vor sich selbst, und man spürt, dass man sie auch dem anderen gegenüber verliert. Moritz Rinke hat Feldforschung betrieben, indem er monatelang in den Ämtern zugebracht, dort mit Arbeitsberatern und Arbeitslosen unterhalten und seine Geschichten gefunden hat. Moritz Rinke führt drei Paare zusammen an einem Ort, der für viele Menschen heute ein notgedrungen vertrauter Ort geworden ist: der Wartebereich 133 mit dem Nummernapparat, der - und das ist die Idee des Amtsleiters Herzberg - mit der Stimme der „bekannten Fernsehmoderatorin Sonia Berg“ versehen ist, die ihre Stimme als Ausgangsmaterial zur Verfügung gestellt hat für die computergenerierten, in ihrer Nettigkeit grausamen Ansagen an die Wartenden, von denen einer ihr eigener Mann ist, der sich den verbindlichen Sprecherton seiner Frau anhören muss.

Und dann ist da Jule: sie hat versucht, sämtliche Ich-AG-Ideen und Existenzgründungskonzepte auszuprobieren. Sie hat ihre selbstgeschneiderten Kleider an der Leine über die Straße gehängt (da sie ja keine Schaufenster hat), sie trägt sie selbst immer mit einem Preisschild dran, sodass jeder sieht, dass man sie kaufen kann. Jule lernt auf dem Amt den Musiker Jaro kennen, der den großen Traum einer Musik hat, die sich durch die Waggons eines ganzen Zuges ziehen soll. Jaro inszeniert für sie eine Modenschau im Wartebereich, der im Verlauf des Stückes zunehmend den Charakter eines Ämterkorridors verliert und immer mehr zum Café wird, das der stumme Italiener Umberto als gutgehende Ich-AG führt, wo es „den besten Cappuccino der Stadt“ gibt. Rinke schreibt eine Komödie aus tragischen, traurigen Einzelschicksalen, verlorenen Paaren, melancholischen Rückschauen, gescheiterten Plänen. Und ist doch ein Optimist, denn (wie er in einem Interview zu dem Stück sagt) „dafür sind wir doch da“.

Moritz Rinke gehört zu den wichtigsten und meistgespielten deutschen Theaterautoren unserer Zeit: Der graue Engel, Der Mann, der noch keiner Frau Blöße entdeckte, Männer und Frauen, Republik Vineta, Die Nibelungen (für die Freilichtaufführung in Worms). Er ist durchaus umstritten (auch und gerade in der Theaterszene). Seine Texte gelten als versponnen und träumerisch, sie sprechen das Zutrauen aus, dass die Traditionslinien unseres Geistes und unseres Selbstverständnisses (das, was uns gebildet hat) sich aus alter Zeit bis heute weiterspinnen und wirksam sind, als Material uns zur Verfügung zu kreativem Umgang. Rinke schmückt sich nicht mit wohlfeilem Skeptizismus und dunkler Zukunftsschau, sondern riskiert positive Ausblicke, ohne freilich realitätsnahe Bestandsaufnahmen von Menschen und ihren Geschichten unserer Tage zu verweigern. Im Gegenteil: seine Analysen sind aktuell, geistreich, präzise - und komisch.

Inszenierung Sylvia Richter

Bühne und Kostüme Jasna Bosnjak

Mit Tini Prüfert

Anna Warntjen

Birgit Zamulo

Jochen Ganser

Tim Knapper

Kaspar Küppers

Hannes Schäfer

Raik Singer

Martin Skoda

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