Strawinsky und Bartók haben sich zwar ursprünglich beide mit der Volks- und Tanzmusik ihrer Heimat beschäftigt, beweisen aber in späteren Kompositionen großes Interesse für mathematische und streng logische Strukturen in der Musik – ähnlich wie Bach. Die Musik folgt inneren Gesetzmäßigkeiten, die systematisch und mathematisch ableitbar sind und erst beim Zuhörer emotionale Assoziationen auslösen. Genau da möchte Thoss choreographisch anknüpfen: Ausgehend von der Sachlichkeit der Komposition, ihrem systematischen Aufbau aus der Verschränkung von Rhythmen und Melodien will er die Musik sichtbar zu machen, wie ein Konzert der Körper.
In seiner Choreografie „Solitaire“ geht es, wie in dem gleichnamigen Karten- oder Brettspiel, um das moderne gesellschaftliche Lebensgefühl der Selbstgenügsamkeit, um das Leben als „Solitaire“ gleich einem funkelnden Edelstein, um das Spiel, für das man keinen Partner mehr braucht, um den freiwilligen Rückzug in eine Welt, in der nur noch die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse Geltung hat. Als musikalische Grundlage wählte Thoss die „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ von Béla Bartók, die nicht zuletzt auf Grund ihrer kühnen Konstruktion zu den faszinierendsten Werken des Komponisten zählt.
Strawinskys Abkehr von der Melodik und der Fokus auf den Rhythmus hat die Faszination für die Maschine zur Konsequenz. Dabei geht es Stephan Thoss choreografisch um die Entdeckung der unbegrenzten Bewegungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers und somit um die Grenzenlosigkeit der entfesselten Natur. Der Moment des Opfers ist ein Moment der Erkenntnis des zu sich selbst erwachten Körpers. Auch der Gegensatz von Tag und Nacht ist eine Grundassoziation in Strawinskys „Sacre du Printemps“: Das Erwachen des Lebens aus der Erstarrung und wieder Versinken in kühle Starre. Das energische Aufbrechen der Natur, die explodierende Farben- und Blütenpracht – also die „Bilder aus dem heidnischen Russland“ – wollte Strawinsky in die Sachlichkeit der Choreographie überführt wissen, es ging ihm nicht um das Nachstellen eines rituellen Vorgangs aus dem alten russischen Volksbrauchtum.
Weitere Termine: 18. Februar und 6. März 2009, jeweils um 19.30 Uhr im Großen Haus
Choreografie: Stephan Thoss
Bühnenbild: Tina Kitzing
Kostüme: Katharina Meintke
Musikalische Leitung: Wolfgang Ott
Ballett und Orchester des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden