31. August - 31. Oktober 2011. Mit dem Theaterfestival ALMANCI! – 50 JAHRE SCHEINEHE feiert und reflektiert das Ballhaus Naunynstraße zum Auftakt der Spielzeit 2011/2012 das 50-jährige Jubiläum des Anwerbeabkommens mit der Türkei.
Eröffnet wird das Festival am 31. August mit Lukas Langhoffs Inszenierung PAUSCHALREISE – DIE 1. GENERATION, mit der er nach den großen Erfolgen von FERIENLAGER – die 3. Generation und KLASSENTREFFEN – die 2. Generation seine Generationen-Trilogie vervollständigt. In einem Land, das auch nach fünfzig Jahren noch die eigene Anwesenheit als Problem zu empfinden scheint, wird man nicht heimisch. Doch auch an den längst verlassenen Ort der Kindheit gibt es kein zurück. Die Pioniere der ersten Generation kehren in einer ihrer hunderttausend letzten Viertelstunden beidem den Rücken und verlegen gemäß Prinzip Hoffnung die wirkliche Genesis ans Ende: Sie errichten mit der dritten Generation das verlorene Reich Mu. Alle drei Stücke sind im Rahmen von Almancı! zum ersten und letzten Mal in der Langen Nacht der Generationen zu erleben (3. und 4. September).
Nach den Produktionen „Klassentreffen – die 2. Generation“ und „Ferienlager – die 3. Generation“, mit denen das Ballhaus Naunynstraße an den Münchner Kammerspielen, am Thalia Theater Hamburg, in Istanbul und im PS122 in New York zu Gast war, vervollständigt Lukas Langhoff mit der Uraufführung Pauschalreise – Die 1. Generation seine Generationentrilogie.
Die Sehnsucht nach dem neuen Besseren war stets ein Leitmotiv von Utopien. Mindestens ebenso stark aber war seit jeher das Ressentiment gegen Veränderungen, die vermeintlich alles Schöne und Heimelige kaputt machen. Auf ewig scheint dieses Ressentiment mit Menschen verknüpft zu sein, die angeblich nicht her gehören. Wonach aber sehnen sich diese Menschen? Wo gehören sie und ihre Sehnsüchte hin? In die Vergangenheit, oder in ein neues Besseres? Diese Frage ist keineswegs banal. In einem Land, das auch nach fünf-zig Jahren noch die eigene Anwesenheit als Problem zu empfinden scheint, wird man jedenfalls nicht heimisch. Doch auch an den längst verlassenen Ort der Kindheit gibt es kein zurück.
Auf der Bühne stehen wie bereits bei den Vorgängerprojekten der akademie der autodidak-ten Protagonistinnen der ersten und der dritten deutschtürkischen Generation mit und ohne Schauspielerfahrung. Im Unterschied zu den ersten beiden Teilen, in denen es hauptsächlich um die persönlichen Geschichten der ProtagonistInnen ging, ist für Pauschalreise mit Hakan Savaş Mican, ein Autor am Werk, der sich bereits in seinen Stücken Der Besuch und die Schwäne eingehend mit dem Transitleben auseinandergesetzt hat.
Die gesamte Generationentrilogie von Lukas Langhoff wird als „Lange Nacht der Generatio-nen“ am 3.9.2011, 20 Uhr und am 4.9.2011, 18 Uhr zu erleben sein.
Kammeroper
WAS WILL NİYAZİ IN
DER NAUNYNSTRASSE?
PREMIERE 31.8.2011, 18 Uhr
Weitere Vorstellung 1.9.2011, 18 Uhr
Die Naunynstrasse ohne Türken
wäre zwar noch die Naunynstrasse
aber an ihren alten Tagen
ohne neuen Anfang
(Aras Ören)
Während des Beyond Belonging Festivals 2009 führte der Istanbuler Komponist Alper Maral im Rahmen des von Tunçay Kulaoğlu kuratierten Parcours seine Kammeroper „Was will Niyazi in der Naunystraße?“ auf. Das Werk vertont Texte aus Aras Örens gleichnamigem Poem aus dem Jahre 1973, welches gemeinhin als Anfangspunkt des Schreibens über die Erfahrung der Migration aus der Türkei nach Deutschland gilt. Alper Marals atmosphärisch dichtes Werk vereint anatolische Rezitativtechniken mit
zeitgenössischer Kammermusik und wird weiterhin in Istanbul aufgeführt. Für das Festival Almancı! – 50 Jahre Scheinehe hat der Komponist die Kammeroper erneut weiterentwickelt und bringt exklusiv für unser Publikum seine translokalen Klänge und Texte in ihre alte Heimat, die Naunynstraße.
Komposition: Alper Maral Text: Aras Ören
Mit: Alper Maral, Nazım Çınar, Eray Düzgünsoy, Ayhan Sönmez
Die Berliner Erstaufführung des Stückes PERİKIZI von Emine Sevgi Özdamar am 27. September ist ein weiterer Höhepunkt des Festivals. Die Geschichte eines jungen Mädchens aus Istanbul, das auf der Suche nach Freiheit und Selbstverwirklichung in Deutschland in eine Wunderwelt zwischen düsteren Realitäten und märchenhaften Illusionen gerät, wird von Michael Ronen als surreale Begegnung mit Charakteren und Ereignissen aus der deutsch-türkischen Migrationsgeschichte inszeniert.
Mit dem Theater-Parcours Kahvehane: Turkish Delight - German Fright?* startete Shermin Langhoff 2008 in ihre Neuausrichtung des Ballhauses als postmigrantisches Theater. Sechs der migrantischen und „entgrenzten“ Performances und Installationen in türkischen Kaffeehäusern in Kreuzberg werden nun unter dem Titel Kahvehane Reloaded von Tunçay Kulaoğlu neu aufgelegt (21. bis 25. September).
Almancı! präsentiert mit Lö Bal Almanya, dem ultimativen musikalischen Schauspiel über 50 Jahre Arbeitsmigration, und mit Verrücktes Blut zwei Arbeiten des Regisseurs Nurkan Erpulat.
Außerdem Die Schwäne vom Schlachthaus und Der Besuch, zwei Geschichten von Hakan Savaş Mican, die sich mit Mauern in Berlin und in den Köpfen intensiv beschäftigen. Micans dritte Arbeit am Ballhaus, das Stück SCHNEE, basiert auf Motiven des gleichnamigen Romans von Nobelpreisträger Orhan Pamuk. Die Inszenierung übersetzt den Stoff in die deutsche Gegenwart und thematisiert mit den Mitteln des türkischen Romanciers brennende Fragen unserer Zeit.
Das Festival wird begleitet von Reihen zu Film, Musik und Literatur: Deniz Utlu und Oliver Kontny präsentieren mit Vibrationshintergrund** literarische Erinnerungen und Fortschreibungen, Tunçay Kulaoğlu wirft 50 Filme aus 50 Jahren Gegen die Leinwände und im Musikprogramm laden u. a. Imran Ayata und Bülent Kullukcu mit Aşk, Mark ve Ölüm*** zu einer musikalischen Reise durch die Jahrzehnte der Arbeit und Revolten ein. Renommierte und wie-der- und neuentdeckte AutorInnen und FilmemacherInnen sind an den Abenden der Reihen eingeladen, um mit dem Publikum auf Vergangenheit und Zukunft zu blicken.
* Zitat: Deniz Göktürk **Zitat: Selim Özdogan ***Zitat: Band Ideal
Das Festival ALMANCI! – 50 JAHRE SCHEINEHE wird gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds und die Stiftung Mercator. Einzel- und Sonderprojekte im Rahmen von Almancı werden gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, den Projektfonds Kulturelle Bildung, den Fonds Darstellende Künste und die Interkulturelle Projektförderung.