Mit der Einladung an die Choreografin Christine Gaigg, sich mit der neuen Erzählung von Xaver Bayer, einem der spannendsten Autoren der jungen österreichischen Literaturszene, zu beschäftigen und die Sparten Tanz und Schauspiel in ihrem Projekt aufeinandertreffen zu lassen, stoßen wir in ein für uns neues Gebiet der Textarbeit vor.
Schreiben als das Geschäft, den Bewusstseinsstrom aus geschichteten Gleichzeitigkeiten in ein nachvollziehbares abwechselndes Auftauchen von Beobachtungen, Erinnerungen und Reflexionen zu bringen: Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen ist der Gedankenfluss eines Mannes, der auf dem Brüsseler Flughafen auf seinen Anschlussflug wartet. Unter verschärften Bedingungen - an einem Nicht-Ort, in einer Nicht-Zielgerichtetheit - protokolliert Xaver Bayer, welche Bewusstseinspartikel es an die Oberfläche schaffen. Selten hat mir die Beschäftigung mit einem Text solches Vergnügen bereitet. Die Prosa verläuft in einem einzigen Satz und bedient sich dafür einer eigenen Logik, um die Stränge zu bündeln, sodass ein niemals abreißender Gedankenstrom nachempfunden wird. Allerdings entsteht der Sog nicht zwingend, man hechelt dem Geschehen nicht hinterher. Eher muss man am Text dran bleiben, in einer angemessenen Geschwindigkeit, so wie man beim Wellenreiten auf einer Welle den richtigen Moment erwischen muss. Denn wenn man schnell und flüchtig drüber liest, passiert wenig, und wenn man zu sehr am Wort klebt, auch nicht viel. Aber wenn man sich einklinkt, wenn man den Fährten und Wendungen Bayers folgt und zugleich Platz lässt für das Bewusstwerden der eigenen Assoziationen, ist man mitten drin in einem vielschichtigen Spiel.
Der Ich-Erzähler ist ein Reisender mit Fotoapparat und bevor noch eine einzige Reiseschilderung kommt, weckt er Lust aufs Reisen. Seine Verknüpfungen sind oft fotografisch formal motiviert, manchmal atmosphärisch, manchmal logisch. Eine von einem Geräusch ausgelöste Episode formt sich zu einer komplexen Erinnerung, die gemäß der nachfolgenden Reflexion genauso gut von einer Farbwahrnehmung herstammen könnte. Gleich zu Beginn verbindet Bayer religiöse Symbole mit unseren medial vorformatierten Bildern, später mit persönlichen Erlebnissen. Dann wieder wundert er sich selbst über seine Beobachtungen und versetzt mich so in die Bereitschaft, ihm zu antworten. Sein Text ist eine musikalische, interaktive Partitur, genau so, wie ich mir ein choreografisches Setting erhoffe: Gehaltvoll, präzise und offen produziert er Potentiale. Jedem Moment wohnt eine potentielle Erkenntnis, der Keim einer Aktion, einer Entscheidung, eines Wendepunktes inne. Choreografisch umgesetzt wird sich der Text weiter fortsetzen, ausbreiten und verzweigen, wenn das Ensemble im Spiel - nach der Art der Kinder - ein Netz webt, in dem die Imaginationen der Zuschauer ihre Anknüpfungspunkte finden. (Christine Gaigg)
Autor Xaver Bayer
Regie Christine Gaigg
Bühne Philipp Harnouncourt
Kostüm Eva-Maria Lauterbach
Musik Florian Bogner
Tänzer Petr Ochvat
Tänzerin Anna Prokopová
Tänzerin Eva Maria Schaller
Tänzerin Veronika Zott
Nicola Kirsch
Thiemo Strutzenberger
Eine Koproduktion mit dem Tanzquartier Wien und 2nd Nature
weitere Termine:
Fr, 16. März 2012
Sa, 17. März 2012