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Wir und die AnderenWir und die AnderenWir und die Anderen

Wir und die Anderen

"NOUS" von Fabien Prioville Dance Company im Tanzhaus NRW in Düsseldorf

Elektronische Musik, unterlegt mit Vogelgezwitscher und Grillenzirpen. Drei Skulpturen, an Kricke-Plastiken erinnernd, ein filigranes Drahtgespinst, Schattenrisse auf der Wand. Das ist der atmosphärische Hintergrund, vor dem sich Priovilles Stück "Nous" entfaltet. Drei Tänzer versuchen in 80 Minuten auszuloten, wo sich die Grenzen zwischen dem Ich und dem Anderen befinden. Wie weit kann ich gehen, bis Nähe als Bedrohung empfunden wird?

Prioville spielt mit dem Wort "nous" und zeigt, was geschehen kann, wenn sich die Grenzen zwischen "Wir" (nous) und "Nicht-Wir" (No us) verschieben. Es geht um den territorialen Raum, den der Einzelne allein oder in der Gruppe beansprucht, um Abgrenzung innerhalb eines sozialen Gebildes, um Gemeinschaft aber auch um Konflikte, die daraus entstehen, wenn Grenzüberschreitungen geschehen.

Das betrifft den Einzelnen in seinem ganz persönlichen Umfeld, aber auch den Einzelnen als Mitglied einer Nation. Dieses Konzept setzt Prioville atmosphärisch dicht um, im Wechsel zwischen ruhigen und aggressiven Szenen, zwischen Einzel-, Zweier- und Dreierauftritt. Zweimal zitiert er ironisch traditionelle Tänze, wenn es darum geht, die friedvolle Gemeinschaft zu zeigen,- den griechischen Sirtaki-Tanz und einen jüdischen Volkstanz beim Vorlesen eines nicht-koscheren Rezeptes. Scheinbar nicht ganz so friedvoll, denn alsbald gerät er außer Kontrolle und löst sich auf. Das Stück endet mit dem symbolischen Abschreiten einer Nationalhymne, hier nur ein Einzelner, gemartert von in den Rücken geklemmten Wäscheklammern. Ein Statement, angesichts der Unterdrückung der Freiheit des Individuums in vielen nationalistisch geprägten Staaten? Priovilles Stück jedenfalls regt mit seinen lange nachklingenden Bildern zur weiteren gedanklichen Beschäftigung an und fand beim Publikum begeisterte Aufnahme.

Konzept, Choreografie: Fabien Prioville; Tanz: Paolo Fossa, Moo Kim, Fabien Prioville; Musik: Frank Schulte; Video: Naoko Tanaka; Bühnenbild: Ewa Marta; Lichtdesign: Marcus Keller. Kommunikation: Alexandra Schmidt.

11. und 12. Februar 2011

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