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Chaya Czernowin, PNIMA, Staatsoper Stuttgart

Premiere 09.07.2010 | 19.30 Uhr im Opernhaus

 

Pnima – hebräisch „ins Innere" – heißt die erste Oper der israelischen Komponistin Chaya Czernowin, die 2000 bei der Münchner Biennale uraufgeführt wurde.

In „Pnima“ verarbeitet Czernowin Teile ihrer eigenen Biografie: Das Werk beschreibt die Auseinandersetzung mit dem Holocaust als Erfahrung der „zweiten Generation“. Inhaltlicher Bezugspunkt ist David Grossmans Roman „Stichwort: Liebe“. Erzählt wird die Geschichte eines israelischen Jungen, der mit dem unausgesprochenen Schrecken der Shoa aufwächst, dem Trauma

der ihn umgebenden Erwachsenen. Dass auch er, als Kind der „zweiten Generation“, diesem Trauma nicht entgehen kann, wird deutlich in der Auseinandersetzung mit seinem Großvater, dessen Grauen bald Teil seiner selbst wird.

 

Es ist eine Oper, die hineinführt ins Innere der Klänge – auch der Zuschauer sitzt umgeben von Klang und Geräusch –, ins Innere psychischer Zustände und Gefühle, ins Innere von Identität und Wesen. Inhaltlicher Bezugspunkt ist der erste Teil von David Grossmans Roman "Stichwort: Liebe", die Geschichte eines Jungen im Israel der 1960er, der aufwächst mit dem unausgesprochenen Schrecken der Shoa, dem Trauma der ihn umgebenden Erwachsenen. Dass auch er, als Kind der „zweiten Generation", diesem Trauma nicht entgehen kann, wird deutlich in der Auseinandersetzung mit seinem Großvater, dessen Grauen bald Teil seiner selbst wird.

Ohne Text nimmt Chaya Czernowin diese Geschichte in ihrer Oper auf und schreibt eine Musik, deren theatrale Kraft bitteren Schmerz und intensives Leben zugleich erzählt.

 

Leben ist möglich: unmittelbar erfahrbar wird dies durch die rund 100 Kinder, die als Teil der Produktion auf und abseits der Bühne den Abend spielend, lachend, lebend mit gestalten. „Den Platz der Lebendigkeit“, so auch Chaya Czernowin, „will ich oder besser: muss ich immer besuchen.“

 

Die Inszenierung von Yona Kim geht aus von der Situation einer Familie, in der scheinbare Normalität nur die Oberfläche bildet. Umgeben von Erwachsenen sehen wir dort ein Kind, das sich der Last der Erfahrungen der vorherigen Generationen immer weniger entziehen kann.

Die musikalische Leitung des Abends hat Johannes Kalitzke inne, der sich besonders als Komponist und Dirigent zeitgenössischer Musik weltweit einen Namen gemacht hat. Er dirigierte auch die Uraufführung 2000 in München und war in Stuttgart bereits mit der Uraufführung von Adriana Hölszkys "Giuseppe e Sylvia" zu erleben.

 

Musikalische Leitung Johannes Kalitzke

Regie Yona Kim

Bühne Herbert Murauer

Kostüme Katharina Weissenborn

Licht Reinhard Traub

Dramaturgie Angela Beuerle, Albrecht Puhlmann

 

Besetzung

Frauenstimme, hoch Yuko Kakuta Frauenstimme, tief Noa Frenkel Männerstimme, hoch Daniel Gloger Männerstimme, tief Andreas Fischer

 

Klarinette Volker Hemken Saxophon Rico Gubler Posaune Uwe Dierksen Singende Säge David Shively Viola Mary Oliver Violoncello Séverine Ballon

 

Staatsorchester Stuttgart

Statisterie der Staatsoper Stuttgart

 

Termine 11.07. | 15.07. | 20.07. | 22.07.

 

Begleitprogramm Pnima

° Kurztagung "Im Inneren der Klänge - Vier Annäherungen an Chaya Czernowins Oper" am 10. Juli, 10.30-17.00 Uhr im Opernhaus

 

° Kaleidoskop am 14. Juli, 20 Uhr im Literaturhaus Stuttgart

 

° Tagung am 9./10. Oktober, in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Nähere Information unter: www.akademie-rs.de

 

****

 

„Wie kann man über Traumata sprechen?" - Die Komponistin Chaya Czernowin im Gespräch mit Albrecht Puhlmann und Angela Beuerle

 

Ihre erste Oper Pnima setzt sich mit dem Schrecken der Shoa in seiner Auswirkung auf die folgende Generation auseinander. Wie kamen Sie darauf, darüber eine Oper zu schreiben?

Als die Bitte kam, eine Oper zu schreiben, dachte ich, ich mache etwas, was mich grundsätzlich berührt. Als Ausgangspunkt habe ich David Grossmans Buch "Stichwort: Liebe" genommen, das ich schon lange kannte. Ich kenne jeden Geruch darin, es ist hautnah, es ist mein Leben. Was er schreibt, beschreibt eine ganze Generation.

 

Letztendlich ist so "Pnima" eine politische Oper – und geht damit einen deutlich anderen Weg, als alle Musik, die Sie davor geschrieben haben.

Ja, es war sehr politisch, und es wurde auch so aufgenommen. Doch es ist keine Israelin, die fragt „was habt Ihr uns angetan?" - es ist auch keine Deutsche, die sagte „es tut mir so leid". Es wird über ein Trauma gesprochen und gefragt: Wie kann man über Traumata sprechen? Wie geht es über Generationen weiter?

 

Wie würden Sie Ihr Musiktheater beschreiben?

Es ist ein Prozess, der versucht, Konkret und Abstrakt zusammen zu bringen. Und es ist immer eine Befragung der Gattung selbst, eine Reise in Fragen wie: Was heißt Interpretation? Wie kann Musik theatralisch werden, ohne zuviel von der Musik zu verlieren? Umgekehrt braucht es die Musik für das Theatralische. Es ist ein ständiger Dialog zwischen diesen beiden Seiten.

 

Wie sehen Sie Ihr Verhältnis zum Text – der bei "Pnima" in expliziter Form gar nicht erscheint?

Es gibt einen Text, den ich jedoch als Ausgangspunkt nehmen will und nicht als einen Endpunkt. Der Abstand zwischen Text und Komposition ist die Persönlichkeit des Komponisten, wie er über den Text denkt. Das ist schon eine Positionierung. So entsteht nicht nur die Bedeutung des Textes, sondern darüber hinaus eine Antwort – oder ein Fragezeichen.

 

Welche Figuren aus dem Roman spielen in "Pnima" eine Rolle – auf der Bühne sehen wir zwei Sängerinnen und zwei Sänger ...

Von außen gesehen gibt es zwei große Identitäten: das Kind, den alten Mann. Von ihrer inneren Struktur her sind sie unfassbar. Und eine Berührung zwischen ihnen ist unmöglich. Ich habe so versucht, zwei extreme Gegensätze zu schaffen, die nicht zusammen kommen – als Potential. Hinzu kommt die Idee von sich verbreitenden Identitäten: Das Kind wird von zwei Frauen gesungen, der alte Mann von zwei Männern. Außerdem gehören Instrumente zu den beiden Figuren, für das Kind steht oft die Klarinette, das Saxophon, für den alten Mann die singende Säge und Schlagzeuge. Diese musikalische Identität denkt sich die Charaktere dieser Protagonisten als eine Art psychologische Karte ihrer Gefühle. Das hat viel mit der inneren Lebendigkeit der Existenz zu tun. Es kommt immer etwas dazu – nichts bleibt genau wie es ist.

 

Ihre Oper erscheint unterteilt in drei Szenen. Was erzählt die Abfolge dieser drei Teile?

Der erste Teil beschreibt die Präsentation des alten Mannes, das Kind kommt nur wenig am Ende vor. Wir sehen beide als Partner. Im zweiten Teil kommt es zu einem Versuch der Annäherung. Gelingt er? Gelingt er nicht? Im dritten Teil ist das Kind allein. Es ist nun seine eigene Tragödie. Da ist das Kind selbstständig – was eigentlich sehr stark klingt.

 

Ein „happy end" kann man das dennoch nicht nennen ...

Ja. Aber vielleicht kann man denken: „der Endpunkt hier in der Oper ist nicht der Endpunkt". Und dass es ein Gespräch, einen Versuch der Annährung überhaupt gibt, das ist vielleicht die Hoffnung.

 

Chaya Czernowin wurde 1957 in Haifa, Israel geboren. Nach zahlreichen Stipendien und Preisen sowie Professuren in San Diego und Wien erhielt sie im Sommer 2009 einen Ruf nach Harvard.

 

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