Buffo-Typik und sentimentaler Poesie. Die Figur des finanziell zwar ausgebrannten, dennoch lebens- und liebeshungrigen Sir John Falstaff ist ein Inbegriff des Komischen: der sich selber hoffnungslos überschätzende Ritter passt nicht mehr so recht in die kleinstädtische bürgerliche Welt, er gehört einer längst vergangenen Zeit an und wird daher das ahnungslos Opfer der von ihm selbst raffiniert angezettelten Intrige, durch das Liebeswerben um die beiden Damen Meg Page und Alice Ford an das nötige Geld zu kommen, um die Schulden im Wirtshaus zu begleichen – vielleicht aber auch eine Frau und das längst verlorene Lebensglück zu erringen.
Die „lustigen Weiber vom Windsor“ wollen dem scheinbar verliebten Sir John einen Denkzettel verpassen und gehen auf dessen amouröse Angebote ein. Doch auch die Männer haben sich gegen den ebenso ahnungslosen wie unverschämten Ritter ver-schworen und planen einen Rachefeldzug. Während die Frauen den schwerfälligen „Schmerbauch“ – so Verdi und Boito in ihrem Briefwechsel über den Typus der Titelfigur – vor dem wütenden Ford in einem Wäschekorb verstecken, küssen sich hinter dem Paravan heimlich Fords Tochter Nanetta und der schwärmerisch verliebte Fenton. Sir John Falstaff sorgt für ein gehöriges Durcheinander in der Bürgerwelt. Im Wald von Windsor ist Falstaff schließlich der Genarrte. Nur das junge Liebespaar Fenton und Nanetta finden in der allgemeinen Maskerade wahrhaft zueinander. Doch am Ende ist die Welt wieder in Ordnung.
Als Ritter von trauriger Gestalt am falschen Ort ist Falstaff in der Unangemessenheit von Selbsteinschätzung und tatsächlichem gesellschaftlichem Rang zugleich komisch und tragisch. Mit den berühmten, in eine kunstvolle Fuge führenden Schlussworten der Titelfigur „Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch ein geborener Narr“ ist die philosophische Lebensleh-re des über 76jährigen Komponisten ausgesprochen, der in der handschriftliche Partitur über dem Schlussmonolog seines Helden notierte: „Die letzten Noten des Falstaff. Alles ist zu Ende! Geh, geh, alter John. Lauf dahin auf deinem Weg, so lange du kannst ... Lustiges Ori-ginal eines Schurken; ewig wahr, hinter jeglicher Maske, zu jeder Zeit, an jedem Ort!! Geh .... Geh .... Lauf Lauf ... Addio!!!“ Doch dem befreienden Lachen geht in ‚Falstaff’ einiges Verste-cken, Verkleiden, Verwirren und Verirren voraus. „Falstaff’“ ist ein Werk der alten und der neuen Zeit: es endet die alte italienische Opera buffa mit ihren typisierten Figuren und schematischen musikalischen Nummern und es beginnt die musikalische Komödie mit ihrer psychologischen Tiefenschärfe und dem durchkomponierten musikalischen Strom.
Christian Spuck (Inszenierung) gehört international zu den meist gefragten Choreografen seiner Generation, er hat zahlreiche Preise erhalten und ist Träger des deutschen Tanzpreises „Zukunft“ 2006. Christian Spuck war Absolvent der „John-Cranko-Schule“ in Stuttgart und war lange Jahre Tänzer am Stuttgarter Ballett. Erste Choreografien schuf er für die „Noverre-Gesellschaft“ sowie im Kammertheater des Staatstheaters Stuttgart. Seit 1998 hat er dreizehn Choreografien für das Stuttgarter Ballett erarbeitet und wurde 2001 vom Ballettintendanten Reid Anderson zum Hauschoreografen ernannt. In der jährlichen Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Ballett International – Tanz aktuell“ wurde Christian Spuck mehrfach als „Bester Nachwuchschoreograf“ genannt. Als Choreograf gastierte er u.a. am Aalto-Theater Essen, Staatsballett Berlin, Königliches Ballett von Flandern, Königlich Schwedisches Ballett, Israel Ballet Tel Aviv, Aterballetto, Finnisches Nationalballett, American Ballet Theatre, Hubbard Street Dance 2 Chicago sowie außerdem in Saarbrücken, Karlsruhe und Riga. Seit einigen Jahren beschäftigt ihn auch die Auseinandersetzung mit der Kunstform Oper. Am Theater Heidelberg debütierte er als Opernregisseur mit der die zeitgenössische Kammeroper ‚Berenice’ von Johannes Maria Staud. Für die Staatsoper Stuttgart choreografierte und inszenierte er zuletzt Glucks „Orfée et Eurydice“ als große französische Ballettoper. Bühnen-bild und Kostüme für diese Verdi-Neuproduktion hat die Engländerin Emma Ryott entworfen, die seit einigen Jahren schon mit Christian Spuck zusammenarbeitet. Von ihr stammt auch die Ausstattung zum Ballett „Lulu. Eine Monstretragödie“, das als Gastspiel des „Stuttgarter Balletts“ bei den Internationalen Maifestspielen 2008 für Furore gesorgt hat.
Dichtung von Arrigo Boito nach William Shakespeares ‚The Merry Wifes of Windsor’ (1597) und Passagen aus ‚King Henry IV (1597)
In italienischer Sprache mit Übertiteln
Musikalische Leitung Marc Piollet
Inszenierung Christian Spuck
Bühne und Kostüme Emma Ryott
Choreinstudierung Christof Hilmer
Dramaturgie Bodo Busse
– Live-Übertragung in hr2-kultur, der Deutschlandfunk sendet die Aufzeichnung am 6. März 2010 –
Mit Kiril Manolov/Thomas J. Mayer (Falstaff), Thomas de Vries (Ford), Jonas Gudmundsson/Felipe Rojas Velozo (Fenton), Christopher Busietta (Dr. Cajus), Erik Biegel (Bardolph), Bernd Hofmann/Hye-Soo Sonn (Pistol), Sharon Kempton/Tatiana Plotnikova (Alice Ford), Emma Pearson (Nannetta), Diane Pilcher (Mrs. Quickley), Ute Döring (Mrs. Meg Page)
Orchester, Chor und Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden